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Castorf und der Klassiker

Am Königlichen Schauspielhaus in Kopenhagen hat der Chef der Berliner Volksbühne Frank Castorf seine Version des Romans "Stuk" des dänischen Schriftstellers Herman Bang inszeniert. Das Buch von 1887 gilt als einer der ersten dänischen Großstadtromane und entlarvt den schönen Schein der Gesellschaft. Eine Steilvorlage für Frank Castorf.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Es ist die Zeit des Aufbruchs, die Zeit der Euphorie – Gründerzeit im Kopenhagen der 1880er Jahre. Kurz zuvor hatte Dänemark im deutsch-dänischen Krieg gut die Hälfte seiner Einwohner, ein Drittel seines Territoriums verloren, war gedemütigt und amputiert in einen Zustand kleinstaatlicher Depression verfallen. Doch damit soll nun Schluss sein. Kopenhagen will boomen, will Geschäfte und Gewinne machen, sich am Ende des 19. Jahrhunderts zum kulturellen Zentrum des Nordens entwickeln.

    Symbol dafür ist das Victoriatheater, das erste der Stadt mit elektrischem Licht. Verziert mit dem Prunk der Zeit ist es Spiegel der bürgerlichen Gesellschaft. Gebaut auf Anleihen und Spekulation. Die Wände funkeln golden, sind aber gebaut aus Pappmaché. Ibsen und Strindberg, also die literarischen Koryphäen der Gegenwart, sollen gespielt werden. Am Ende aber sind es Operetten – seichte Unterhaltung für eine Gesellschaft, die sich im Wohlstand wägt, tatsächlich jedoch der Dekadenz und zwischenmenschlichen Armut verfällt. Ein Stück also, so Frank Castorf, mit durchaus zeitgenössischen Bezügen:

    " Die ewige Wiederkehr des Gleichen, heißt also, nicht daraus lernen. Auf der anderen Seite dieser Wille zur Macht, der den Menschen auszeichnet, was ja ein aggressives, ein vorwärtsweisendes Moment ist. Und irgendwie glaube ich nicht, dass wir irgendetwas richtig aus etwas lernen. Wir werden immer wieder die gleichen Fehler machen. Der Euphorie, des Omnipotenten. Und dann folgen immer wieder diese Zeiten der Bescheidenheit."

    Und so natürlich auch bei Herman Bang selbst. Am Ende zeigen sie sich als das, was sie sind – die hohlen Fassaden des Theaters, der schöne Schein der Gesellschaft. Eine Steilvorlage für Frank Castorf, möchte man meinen. Ein Roman von fast 500 Seiten mit einer Fülle von Personen und Grotesken, Tempowechseln und sarkastisch-entlarvenden Dialogen.

    Der Dandy und Homosexuelle Herman Bang war ein scharfer Beobachter seiner Gegenwart, der in den Szenen des Alltags das große Ganze der Gesellschaft spiegelte – nüchtern und ohne Utopie. Eine Haltung, mit der sich auch Frank Castorf identifiziert, und die er auch im absurden Theater des Samuel Beckett wiederfindet:
    " Und er ist fast wie jemand, dem der Regen nichts anhaben kann. Er ist am Anfang ungefähr wie Estragon und Wladimir, genauso davon wissend, wenn man ihn fragen würde, analysieren würde: Glaubst du, Godot kommt? Und beide wissen, er wird nie kommen. Und dieses fast nicht berührt werden von dem Amplitudenhaften Ausschlag der Vernichtung, der auch über die Menschen in diesem Stück rübergeht, das tut ihm fast nichts an. Das ist manchmal ne Haltung – er wird dann gefragt am Schluss: Was werden Sie machen? Was soll ich machen? Ich werde schreiben."

    Und Frank Castorf wird wohl auch weiterhin inszenieren. Gewiss, auch dieser Abend hatte seine Lichtblicke. Jens Albinus in der Hauptrolle des Theaterdirektors spielt schlichtweg großartig. Vieles um ihn herum aber wirkt gewollt. Aus aneinandergereihten Miniaturen wird kein Ganzes, aus überzogenen Grotesken am Ende seichte Unterhaltung. Der scharfe Blick eines Herman Bang hätte mehr verdient, mehr verdient als Castorfs ewige Wiederkehr des Gleichen. Auch und gerade in diesen turbulenten Zeiten.