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Castro und Pinochet

Hans Christoph Buch ist für seine literarischen Reportagen aus vielen Konfliktgebieten der Welt bekannt. Er hat seine Leser mit großartigen Erzählungen und Romanen über die Karibik beglückt und wie kein anderer ihr Verständnis für Haiti geweckt, diese für ihn keineswegs hoffnungslose Insel. Zuletzt hat er den Tod in Havanna beschrieben, sein Abgesang auf die Kubanische Revolution und zugleich ein Stück Selbstkritik. Von Peter B. Schumann.

    Denn auch er gehört zu den 68ern, die das Projekt Fidel Castros einst bejubelten. Aber Hans Christoph Buch scheint immer stärker jener Mode zu verfallen, der alles, was links ist, verdächtig erscheint, seit dieser Begriff von einer Partei okkupiert wurde.

    Kurioserweise stimmt die Denkstruktur eines nordamerikanischen Imperialisten mit der eines südamerikanischen Kommunisten weitgehend überein. Beide glauben an einen Fortschritt, der sich in Form von Schulen und Hospitälern, Glühbirnen und Automobilen ausdrückt, und beide maßen sich das Recht an, fremden Völkern mit Gewalt ihre Ideale aufzuzwingen.

    Das Zitat des US-amerikanischen Reporters Carleton Beals aus dem Jahr 1928, mit dem der Autor seinen Prolog beschließt, hat durchaus seine Berechtigung. Nur verabsolutiert er in den weiteren Kapiteln die Gleichsetzung von rechts und links, so dass sich schließlich an Hand der Konterrevolution eines Pinochet in Chile problemlos "die blockübergreifenden Gemeinsamkeiten" mit der Revolution eines Castro herausarbeiten lassen. Viel ist Buch dazu allerdings nicht eingefallen. Beide sollen in ihrer Jugend "vermutlich" "ganz ähnliche Leitbilder" gehabt haben:

    Denn damals waren Mussolini, Hitler und Stalin in Südamerika populär, weil sie London, Paris und Washington das Fürchten lehrten.

    Wie wenig HC Buch doch seinen Castro kennt, wenn er glaubt, dass dies seine Vorbilder sind. Das Verbindende sieht er auch eher "im Begriff des Caudillo",

    der, changierend zwischen rechts und links, Befreiung und Unterdrückung zugleich verheißt und in Lateinamerika bis heute Respekt genießt.

    Er übersieht nur eines: zum Wesen des Caudillo gehört ein gewisses Maß an Charisma, und daran mangelte es Pinochet, diesem Bürokraten der Macht. Außerdem hat Castro zunächst sein Land von einer Diktatur und der US-amerikanischen Vorherrschaft befreit und ihm jahrelang soziale Gerechtigkeit gebracht, während Pinochet das Projekt eines demokratischen Sozialismus mit Hilfe der USA erstickte. Aber um solche wesentlichen Unterschiede oder einfach nur um nötige Differenzierungen geht es Buch nicht, schon gar nicht in diesem Kapitel, überschrieben mit:

    Herren der Finsternis: Fidel Castro und Augusto Pinochet.

    Er zielt auf die endgültige Liquidierung des kubanischen Máximo Líder, wenn er schreibt:

    Mit Sicherheit hat Fidel Castro mehr Menschenleben auf dem Gewissen als Augusto Pinochet.
    Den Beweis für so viel "Sicherheit" bleibt er uns allerdings schuldig. Dafür erweckt er unser Mitleid mit dem chilenischen Diktator.

    Während die linksliberale Schickeria noch heute mit Castro sympathisiert, stand Pinochet stets allein.

    Nachdem er Fidel Castro erledigt hat, macht er sich an Hugo Chávez - die zweite Hauptfigur auf seiner politischen Bühne Lateinamerikas, die es zu demontieren gilt.

    Im Vergleich zu Chávez ist Putin ein Demokrat und Venezuela ein totalitärer Staat.

    So lässt der Autor den Venezolaner Oswaldo Barreto sich äußern, den er zuvor ausführlich als Teilnehmer vieler Revolutionen, unter anderem auch der kubanischen, legitimiert hat.

    Chávez hat "Mein Kampf" gelesen - die roten T-Shirts seiner Anhänger sind von den Braunhemden der SA inspiriert. Wie Hitler regiert er per Ermächtigungsgesetz.

    Barretos Meinung ist - mit Sicherheit - nicht die Meinung von Buch, aber wozu zitiert er diesen Renegaten, wenn er dessen Wahrheit dem Leser nicht suggerieren möchte? Sie ist der Höhepunkt einer Fülle von Verunglimpfungen des venezolanischen Staatspräsidenten. Dessen umstrittenes Projekt eines 'Sozialismus des 21. Jahrhunderts' könnte er vorstellen, um es dann heftig zu kritisieren. Aber HC Buch liefert den Leser lieber seinem vorgefassten Urteil aus. Von einem Reporter, der ernst genommen werden will, ist zu erwarten, dass er die soziale und politische Realität in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit erst einmal wahrnimmt, bevor er sie bewertet, vor allem dann, wenn er sie bis dahin kaum kennt. Doch Hans Christoph Buch vermittelt den Eindruck, dass er immer nur nach Bestätigung seiner Sichtweise sucht. Das macht ihn als Reporter - zumindest in diesem Band - oft so unglaubwürdig. Es gelingt ihm aber auch mühelos, sich auf andere Weise zu disqualifizieren.

    Die von schmerzhaften Geburtswehen begleitete Modernisierung Mexicos hatte ein postmodernes Nachspiel: Gemeint ist die "zapatistische Revolution" des Subcomandante Marcos im Bundesstaat Chiapas ... Der maskierte Partisanenführer ... knüpfte an die Legende von Zorro an und nahm gleichzeitig die Fernseh-Show des Politclowns Chávez vorweg. So besehen stellte die Spaßguerilla der 90er Jahre einen Fortschritt dar, denn sie ging weniger spektakulär und auch glimpflicher aus als die blutige Mexikanische Revolution.

    Das Kapitel, in dem Hans Christoph Buch sich mit "Mexikos permanenter Revolution" auseinandersetzt, gehört zu den lesenswerten, kenntnisreichen Teilen seines Werks. Nur: Warum muss er in einem 'Postskriptum' den Aufstand der Zapatistas von 1994 diskreditieren? Den verzweifelten Versuch der indigenen Bevölkerung in einer der ärmsten Regionen Mexikos, auf die Entrechtung durch die Großgrundbesitzer und den täglichen Terror des Staates aufmerksam zu machen. Wo ist der Autor geblieben, der sich in seinen Afrika-Reportagen stets gegen Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung gewandt hat? Er scheint seine eigene Sozialisation verdrängt zu haben. Der "undogmatische Marxist", als der er sich gern feiern lässt, gefällt sich als Zertrümmerer linker legendärer Gestalten:

    Pablo Neruda, dieser kommunistische Barde und Bonvivant, dessen erdverbundene Poesie zuweilen nach Blut und Boden riecht.

    Über den ehemaligen chilenischen Präsidenten Allende verbreitet er dagegen keine eigene Meinung, sondern lässt einen chilenischen Alt-Nazi, den nie einer ernst nahm und der inzwischen verstorben ist, orakeln:

    Salvador Allende habe dem Nazijäger Simon Wiesenthal untersagt, in Chile nach NS-Tätern zu fahnden - das sei nachzulesen in Victor Farías Buch über Nazi-Kriegsverbrecher in Südamerika.

    Eine Behauptung mit drei sachlichen Fehlern, längst widerlegt. Es ist die schiere Effekthascherei, die diesen Reporter oft antreibt. Dabei zeigt er in dieser Kollektion von Berichten und Rezensionen aus den letzten Jahren, dass er durchaus in der Lage ist, vorurteilsfreie Texte zu liefern wie beispielsweise ein eindrucksvolles Portrait der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet. Hans Christoph Buch hat also das Schreiben nicht verlernt. Nur bedient er neuerdings das modische Spiel der Gleichsetzung von rechts und links. Und das macht manche seiner Texte unerträglich. "Das rollende r der Revolution" - von dem einer seiner Kronzeugen spricht - erweist sich als eine leichtfertige Litanei über die alte und die neue Linke in Lateinamerika.