Sexuelle Belästigung
Spanien bestraft "Catcalling", Deutschland debattiert

"Catcalling" kann in extremen Fällen schwere psychische Folgen bei Betroffenen haben. Länder wie Spanien und Frankreich bestrafen die sexistische Anmache bereits. In Deutschland wird noch über eine Strafrechtsreform diskutiert.

    Mit Kreide steht auf Straßenpflaster: @catcallsofberlin - #stoppt Belästigung - "Jemanden wie dich sollte man mal ordentlich durchf**ken. - Ich war elf"
    Ankreideaktion: Die Initiative "catcallsofberlin", die es auch in anderen Städten gibt, macht seit Jahren auf sexuelle Belästigung aufmerksam (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Ein 65 Jahre alter Mann spricht ein elfjähriges Mädchen an: Sie solle mit ihm kommen, er wolle ihr an die „Muschi fassen“. Ein bekannter Fall von sogenanntem Catcalling, der nach geltender Rechtsprechung in Deutschland nicht strafbar ist. 
    Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) will 2026 dafür sorgen, dass – neben voyeuristischen Aufnahmen – auch derartige verbale sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt wird. Doch lässt sich das klar genug definieren? Und wie steht es um die Beweisbarkeit solcher Vorfälle? Darüber wird in Deutschland diskutiert. 
    Spanien, Frankreich und andere europäische Länder haben die Strafbarkeit bereits ins Gesetz aufgenommen. Welche Erfahrungen haben sie gemacht? 

    „Catcalling“ hat mit „Katzenrufen“ nichts zu tun 

    Der englische Begriff „Catcalling“ – „Katzenrufen“ – gehört in Deutschland zur Alltagssprache. Er fasst ein ganzes Spektrum sexueller Belästigung zusammen. Dazu können Hinterherpfeifen, Kussgeräusche, Anstarren, obszöne Gesten oder sexualisierte Sprüche gehören.  
    Nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) von 2021 ist das vor allem für viele Frauen und diverse Personen unerwünschte Alltagserfahrung. Täter sind demnach fast ausschließlich Männer. 
    Bei Betroffenen können laut KFN in extremen Fällen Ängste, dauerhafte Verunsicherung und psychische Erkrankungen bis hin zu Depressionen oder Essstörungen die Folge sein.  
    In Spanien verwendet man den Begriff „Catcalling“ nicht. Die Juristin Angela Jaime de Pablo findet ihn verharmlosend und erniedrigend; er mache Frauen lächerlich. Auch die Feministin Marisa Soleto warnt vor Verharmlosung. Sie sieht in der sexuellen Belästigung „eines von mehreren Elementen in der Eskalation der Gewalt gegen Frauen“. Und ist überzeugt: 
    „Eine Gesellschaft, die diese niedrigschwellige Form der Gewalt toleriert, ebnet den Weg zur schweren sexuellen Aggression und Vergewaltigung.“  

    Was in Ländern wie Spanien und Frankreich strafbar ist 

    Sexuelle Belästigung wurde in das 2022 reformierte spanische Sexualstrafrecht als Straftat – und zwar als „leichtes Vergehen“ – mit dieser Definition aufgenommen:  

    „Ausdrücke, Verhaltensweisen oder Aufforderungen von sexuellem Charakter, die für das Opfer eine objektiv erniedrigende, feindliche oder einschüchternde Situation darstellen – auch wenn sie nicht zu schwerwiegenderen Straftaten führen.“ 

    Spanisches Sexualstrafrecht
    Die Strafen liegen zwischen fünf bis 30 Tagen Hausarrest oder gemeinnütziger Arbeit oder einer Geldstrafe von 30 bis 120 Tagessätzen.  
    Debatten darüber, ob künftig auch „Komplimente“ bestraft würden, waren dem vorausgegangen. Doch ein Spruch wie „Was hast du für schöne Augen!“ war und ist in Spanien nicht strafbar. Wohl aber „Ihr holt mir jetzt die Milch raus“ – die sexualisierte Anmache eines Mannes gegenüber Kellnerinnen einer Kneipe. Er wurde zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. 
    Auch in Frankreich verbietet ein Gesetz, eine Person mit Aussagen oder Verhaltensweisen zu belästigen, die sexistisch aufgeladen sind. Vorausgesetzt, dass sie die Würde verletzen oder eine Einschüchterung oder Bedrohung darstellen. Das kann bis zu 1.500 Euro kosten. In besonders schweren Fällen werden bis zu 3750 Euro fällig: wenn die Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln oder aufgrund der sexuellen Orientierung erfolgt oder wenn sie von Gruppen ausgeht. 
    Ähnliche Regelungen haben beispielsweise die Niederlande, Portugal und Belgien eingeführt. 

    Erfahrungen: Wenige Anzeigen, aber Signalwirkung  

    In Spanien hat es zwar eine Reihe von Verurteilungen nach dem neuen Gesetz gegeben. Insgesamt jedoch kommen nur wenige Fälle zur Anzeige, wie der Richter Joaquim Bosch sagt. Er vermutet, dass es Betroffenen lästig sein könnte, wegen einer verbalen Belästigung zur Polizei zu gehen – oder dass sie es beschämend finden, in einem öffentlichen Verfahren aussagen zu müssen. 
    Auch in Frankreich ist die strafrechtliche Verfolgung schwierig, weil auch dort eine Anzeige Voraussetzung ist. Nach einer Erhebung des Innenministeriums von 2023 wurde nur in zwei Prozent der Fälle Anzeige erstattet. Demnach wurden 3.400 Fälle von 1.400 Personen angezeigt. Knapp 90 Prozent der Betroffenen waren Frauen unter 30 Jahre, fast alle angezeigten Personen Männer. 
    Schwierigkeiten bereitet auch der Umstand, dass es einen Bewertungsspielraum gibt: Was ist abwertend und verletzt die Würde? Im Zweifel muss das vor Gericht geklärt werden. Zudem sind die Chancen gering, dass die Polizei eine Person wiederfindet, gegen die Anzeige erstattet wurde.  
    Allerdings hat das Gesetz dazu geführt, dass die Aufmerksamkeit für dieses Thema in der Öffentlichkeit gestiegen ist: Ein bestimmtes Verhalten ist einfach unangebracht. Und kontinuierlich werden mehr Fälle angezeigt. 
    Auch die spanische Feministin Marisa Soleto betont, dass die Aufnahme sexueller Belästigung in den Strafkatalog auch ein pädagogisches Ziel habe: Damit solle deutlich werden, dass Männer allein mit Worten Gewalt gegen Frauen ausüben können. 

    Wann sexuelle Belästigung in Deutschland strafbar ist 

    Nach derzeitigem Recht ist sexuelle Belästigung in Deutschland nur unter bestimmten Umständen strafbar. Laut Paragraf 184i Strafgesetzbuch droht eine bis zu zweijährige Haftstrafe, wenn jemand "eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt". In besonders schweren Fällen drohen bis zu fünf Jahre Haft. Kommt es nicht zu einer körperlichen Berührung, kann dieser Paragraf nicht angewendet werden.  
    Außerdem gibt es den Tatbestand der Beleidigung. Er erfordert, dass ein Angriff auf die Ehre vorliegt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof 2017 entschieden, dass eine „Ehrverletzung“ durch eine sexuelle Äußerung nur dann vorliegt, wenn aus dieser Äußerung klar hervorgeht, dass der Täter die betroffene Person abwerten oder sie bewusst herabwürdigen wollte. Das sahen die Richter im Fall des 65-Jährigen, der eine Elfjährige mit einem sexualisierten Spruch belästigte, als nicht gegeben an.  

    Bedenken: Wäre ein Gesetz rechtssicher und praktikabel?

    Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) fordert, dass sich Frauen im öffentlichen Raum sicher fühlen müssen: „Deshalb kann es nicht sein, dass ihnen mit unflätigen, bedrohlichen sexistischen Sprüchen hinterhergerufen wird.“ Sie will für einen „klaren strafrechtlichen Schutz“ sorgen und 2026 einen Gesetzentwurf vorlegen.    
    Die Debatte über Strafbarkeit nicht-körperlicher sexueller Belästigung läuft schon seit einiger Zeit in Deutschland. So gab es 2024 einen Gesetzentwurf vom Bundesland Niedersachsen. Die Initiative scheiterte unter anderem an Bedenken aus der Union. Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) etwa bezweifelt, dass ein Gesetz klar genug formuliert werden kann. Denn nicht jede Form von „Catcalling“ sei strafwürdig. Außerdem sieht die Senatorin Probleme bei der effektiven Strafverfolgung aufgrund der meist schwierigen Beweislage. 
    Anja Schmidt vom Deutschen Juristinnenbund argumentiert anders. Auch beim Straftatbestand der Beleidigung gebe es einen „Graubereich“. Allerdings würden durch die Rechtsprechung Fälle entschieden, die man dann vergleichen könne. Die Juristin ist überzeugt, dass sich Kriterien für eine Erheblichkeit finden lassen.  
    Sie plädiert aber für einen „einheitlichen Straftatbestand der sexuellen Belästigung“: Einbezogen werden sollen demnach alle Fälle, bei denen „Sexualität aufgedrängt“ wird. Das würde auch die jetzt bereits strafbaren Taten wie körperliche Übergriffe, männlichen Exhibitionismus und das unverlangte Zusenden pornografischer Inhalte einbeziehen.  
    Ähnlich wie ihre spanischen Kolleginnen hebt auch Schmidt die Signalwirkung eines Gesetzes hervor. Allerdings lasse sich das Phänomen strafrechtlich „nicht gänzlich“ verbieten. Fragen zu Geschlechterverhältnissen und sexualisierter Gewalt müssten neben dem Recht auch gesellschaftlich wirksam verhandelt werden. 

    Radio-Beitrag: Hans-Günter Kellner, Peggy Fiebig. Onlinetext: Beate Thomsen