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Causa Böhmermann
"Es ist erkennbar satirisch"

Jan Böhmermann darf für sein Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdogan nach Paragraph 103 strafrechtlich verfolgt werden. Für die juristische Bewertung sei aber jetzt entscheidend, dass es in einen Gesamtkontext eingeordnet werde, in dem das geschehen sei, sagte der Staatsrechtler Alexander Thiele im DLF. Es ist erkennbar bezogen auf eine laufende Debatte.

Alexander Thiele im Gespräch mit Katja Lückert | 16.04.2016
    Jan Böhmermann beim Verlesen seines umstrittenen Gedichts
    Jan Böhmermann beim Verlesen seines umstrittenen Gedichts (Screenshot ZDF "Neo Magazin Royale")
    Katja Lückert: Eine vierwöchige Produktionspause bis zum 12. Mai wollen Böhmermann und seine Produktionsfirma einlegen. Das erklärt Böhmermann auf seiner Facebook-Seite heute und schiebt gleich noch eine Menge Satirisches hinterher. Achtung, Satire in Richtung Nordkorea: Er, Böhmermann, werde sich in Nordkorea die Sache mit der Presse- und Kunstfreiheit noch einmal erklären lassen.
    Der Staatsrechtler an der Universität Göttingen, Alexander Thiele, schreibt in seinem Internet-Blogg: "Satire darf in Deutschland nicht alles, aber fast alles und jedenfalls sehr viel." An ihn ging die Frage: Liegt die Betonung hier auf "in Deutschland" und macht es durchaus einen Unterschied, ob sich der Beleidigte in Deutschland befindet?
    Alexander Thiele: Na ja, zwangsläufig. Das liegt einfach vor allen Dingen daran, dass für unsere Strafgerichte, um die es ja letztlich geht, natürlich die deutsche Interpretation der Meinungsfreiheit entscheidend ist. Und in anderen Staaten ist die Abgrenzung von erlaubter Meinungsfreiheit zu unzulässiger Persönlichkeitsverletzung möglicherweise ganz anders gezogen.
    Entscheidend ist der Gesamtkontext
    Lückert: Jan Böhmermann darf für sein Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten nach Paragraph 103 strafrechtlich verfolgt werden. Die Bundesregierung hat dafür ihre Ermächtigung erteilt in dieser Woche. Was wird nun entscheidend sein, juristisch gesehen: die Frage, ob die Auswahl der geschmähten Person gewissermaßen willkürlich war, oder ob es einen sachlichen Zusammenhang gab?
    Thiele: Genau. Das ist letztlich genau der Punkt. Das Gedicht selbst, so wie es vorgetragen wurde, nur für sich genommen ist als Schmähkritik und damit unzulässig einzuordnen. Entscheidend ist aber für die juristische Bewertung hier, dass wir einen Gesamtkontext haben, in dem das geschehen ist. Es ist eingerahmt worden. Es ist hingewiesen worden auf die Unzulässigkeit. Es ist erkennbar satirisch. Es ist erkennbar bezogen auf eine laufende Debatte, die gerade durch Herrn Erdogan angestoßen ist, so dass auch das eigentlich jedenfalls nicht mehr willkürlich ist, dass gerade Herr Erdogan hier zum Gegenstand des Gedicht gemacht ist. Und diese ganzen Umstände sind bei der Frage der Strafbarkeit zu berücksichtigen.
    Lückert: Es ist natürlich immer eine Sache - Sie nennen es quasi educatorischen Gesamtkontext -, wenn man so etwas einbettet, aber eigentlich dann doch etwas Ungeheuerliches sagt. Gibt es andere Fälle, die Ihnen bekannt sind, wo so etwas passiert ist?
    "Ich halte es für gerechtfertigt"
    Thiele: In dieser Form noch nicht, weil das ist das Neue an diesem Fall, dass wir einen Zustand haben, bei dem jemand ausdrücklich sagt, das was jetzt kommt ist unzulässig. Aber ich kann Ihnen ein paar Beispiele nennen von Satire, die als zulässig angesehen wurde von den Gerichten, wo auch viele andere vielleicht auf den ersten Blick ein anderes Ergebnis erwartet hätten. Da ist zum Beispiel ein Bischof sehr konkret in einer Satire-Zeitschrift als Kinderschänder bezeichnet worden im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorfällen. Das wurde als zulässig angesehen. Da ist ein Arzt einer Abtreibungsklinik als Tötungsspezialist für Ungeborene bezeichnet worden und in dem Zusammenhang als zulässig letztlich angesehen worden. Und wir hatten zum Beispiel auch schon Fälle, dass ein Staatsoberhaupt "beleidigt" wird oder sich beleidigt fühlen könnte, nämlich als der Papst beim Christopher Street Day, einer Art homosexuellen Party-Veranstaltung, sage ich jetzt mal, als quasi Homosexueller dargestellt wurde mit einem Kondom über dem Finger und so, und auch das wurde letztlich als zulässiger Beitrag in einer Debatte angesehen. Also es geht schon sehr weit, selbst in den Fällen, wo man vielleicht für sich selbst sagen würde, oh ha, das ist vielleicht ein bisschen drüber.
    Lückert: Ist Ihrer Ansicht nach das Verhalten Böhmermanns im Ergebnis von der Meinungsfreiheit abgedeckt?
    Thiele: Im Ergebnis, glaube ich, ja. Ich glaube, dass dieser, wie ich es genannt habe, educatorische, also erzieherische Gesamtkontext einmal deutlich machen soll, wo Schmähkritik eigentlich wirklich für uns erst losgeht in der Justiz. Das ist den wenigsten natürlich klar. Das ist ein Begriff, der ist völlig diffus erst mal: Was ist Schmähkritik? Für den einen so, für den anderen so. Was das juristisch bedeutet, hat Herr Böhmermann hier sehr deutlich gemacht, klar, dramatisch, drastisch und zweifelsohne auch auf eine sehr verletzende Art vielleicht, aber es hat diesen Kontext und dieses Erzieherische in sich und ich halte es deswegen insgesamt für gerechtfertigt.
    "Für die Schmähkritik ist die Einbettung unerlässlich"
    Lückert: Um es noch mal genau zu sagen: Das heißt, für die Schmähkritik ist diese Einbettung unerlässlich?
    Thiele: Für die Schmähkritik ist diese Einbettung in der Tat unerlässlich und wir haben interessanterweise seit gestern schon ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin in dieser Sache, wo nämlich das Schmähgedicht bei einer angemeldeten Versammlung einfach für sich genommen vorgelesen werden sollte vor der türkischen Botschaft. Und da hat das Gericht ausdrücklich auf diesen von mir bezeichneten edokatorischen Gesamtkontext hingewiesen und gesagt, der fehlt hier, und weil der fehlt, ist es unzulässig und deswegen wurde die Verlesung des Gedichts hier verboten.
    Lückert: Der Paragraph 103 wird ja möglicherweise abgeschafft. Gesetz den Fall, der Prozess würde bis 2018 dauern, nach welchem Gesetz würde denn Böhmermanns Fall dann behandelt werden?
    Thiele: Nicht nach 103. Im Strafrecht gilt der Grundsatz, man wird immer nach dem mildesten Gesetz beurteilt, was zum Zeitpunkt des Urteils gilt, um es mal etwas vereinfacht zu sagen. Und es ist besonders mild, wenn die Strafe abgeschafft wird. Das heißt, wenn der 103 dann nicht mehr existent ist, dann wird diesbezüglich jedenfalls das Verfahren eingestellt. Es bleibt dann noch der 185, die private Beleidigung von Herrn Erdogan, sage ich jetzt mal. Das bleibt weiterhin möglich, eine Verurteilung nach dieser Norm.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.