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CDU-Frau Michaela Noll will Steinbrück noch mal schlagen

Für die Kanzlerkandidaten Angela Merkel (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) ist NRW wahlentscheidend. Steinbrück hat hier seinen Wahlkreis Mettmann I. Seine Gegenkandidatin von der CDU ist Michaela Noll, die schon 2009 mit deutlichem Vorsprung ein Direktmandat gewann. Jetzt tritt sie erneut gegen Steinbrück an.

Barbara Schmidt-Matern | 08.07.2013
    Aufmunternd strahlt Gymnastiklehrerin Iris Bratvogel in die Runde: 20 schwitzende, aber fröhliche Rentner rackern sich in der Turnhalle des Heinrich-Häck-Stadion im rheinischen Monheim ab.

    "Und wir ziehen das Handtuch leicht auseinander…schön!"

    Mittendrin im Turnkreis mit hochgestreckten Armen: Michaela Noll, Bundestagsabgeordnete der CDU im Wahlkreis Mettmann I. Anstrengend findet Noll die Turnerei nicht, sondern:

    "Toll! Das ist das, was ich am meisten vermisse, dass ich nicht mehr so viel Zeit habe, Sport zu machen!"

    Jetzt, wenige Wochen vor dem 22. September, verbindet die schlanke 53-Jährige das Angenehme mit dem Nützlichen: Sportliche Präsenz bei den Wählern zeigen. Rentnerin Ursula Jäckel ist durchaus beeindruckt:

    "Ja, wenn die mitmacht, find ich’s gut!"

    Jede Stimme zählt, denn die Christdemokratin hat einen prominenten Herausforderer, Peer Steinbrück. Der SPD-Kanzlerkandidat hat ihr eine Wette angeboten, letztes Jahr schon beim örtlichen Sommerfest:

    "Er kam mich auf zu und dann sagte er eigentlich nur, Frau Noll, Sie fliegen aus der Regierung. Darauf wette ich sechs Flaschen Semillon."

    Kein Pinot Grigio, sondern eine ziemlich edle Rebsorte.

    "Und dann hab ich gesagt, das ist die zweite Wette, die Sie gegen mich verlieren werden. Klar nehme ich die an…"

    2009 hat sich die Christdemokratin mit elf Prozentpunkten Vorsprung klar gegen Steinbrück durchgesetzt, doch Mettmann I ist ein Wechselwahlkreis, das Rennen ist offen. Die Volljuristin Noll ist in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt. Mit den Themen Frauen-, Familien-, und Integrationspolitik will sie im Wahlkreis punkten. Klar sei Peer Steinbrück viel prominenter, aber das nimmt Michaela Noll durchaus sportlich:

    "Also ich glaub, er denkt, er ist oben auf’m Reck und ich bin auf der Matte. Aber er fällt tiefer!"

    Peer Steinbrück:
    "Alle Fragen sind erlaubt, auch zum Fußball!"

    Lässig sitzt der Kanzlerkandidat ohne Jackett und mit Apfelschorle im Café "La Casa" in der tristen Monheimer Fußgängerzone. Unter der braun-weiß gestreiften Markise umringt ihn eine Traube aus Migranten und Rentnern.

    "Herr Steinbrück, es gibt in der deutschen Bevölkerung eine unwahrscheinliche Stimmung, dass Sie links blinken und wieder rechts abbiegen. Wie stehen Sie dazu?"
    Steinbrück:
    "Ach, wenn Sie meine Reden aus dem Jahr 2002 über die Fliehkräfte der Gesellschaft kennen, dann wissen Sie, dass mich der Zusammenhalt dieser Gesellschaft nicht erst seit gestern interessiert, sondern sehr viel länger, dann sollten Sie sich diese Propaganda nicht zu eigen machen."

    Der Rentner guckt etwas ratlos. Aber der Kandidat will hier auch nicht über sich selbst, sondern über Bildung und Integration sprechen. Monheim mit seinen 27 Prozent Zuwanderern hat beides dringend nötig. Die SPD setze sich unter anderem für eine doppelte Staatsbürgerschaft ein, verspricht Steinbrück und erntet Applaus. Das Klatschen darf noch mitgeschnitten werden – danach folgt ein Mikrofonverbot:

    "Darf ich jetzt mal Ihnen eine Frage stellen? Was ist Ihre Absicht? Mir jetzt die ganze Absicht zu folgen oder. Sie haben jetzt mein Statement aufgenommen, und das ist es!"

    Ein Rentner wird jetzt gleich über die Teuerungsrate schimpfen. Steinbrück korrigiert die Angaben des Mannes, doch der Rentner wird sauer und fragt den Kanzlerkandidaten, ob er eigentlich noch selber einkaufen gehe. Jetzt wird Steinbrück sauer. Im Übrigen solle man nicht alles glauben, was in der Zeitung stehe. Aber wer lese schon Zeitungen. Bei Gertrud Gronimus, 82 Jahre alt, hinterlässt all das keinen guten Eindruck:

    "Der redet wie ein Wasserfall, da kommt man ja nicht zu Wort...!"

    Die alte Dame hätte dem Kanzlerkandidaten gerne noch gesagt, dass auch sie sich eine höhere Rente wünscht. Doch die Stimmung ist minutenlang im Eimer. Zum Abschied herrscht dann wieder eitel Sonnenschein:

    Alaattin Bayrak vom Integrationsausschuss der Stadt Monheim, ein Sozialdemokrat, ist zufrieden:

    "Wir fanden das sehr, sehr toll. Er hat viele Punkte, die uns sehr nah am Herzen sind, auch beantwortet, bevor wir gefragt haben. Und Herr Steinbrück hat uns versprochen, dass er das kommunale Wahlrecht einführt und die doppelte Staatsbürgerschaft."

    "Naja, ich kenne den Wahlkreis schon aus der Zeit, als ich in Düsseldorf in der Regierung war, weil es auch eine gewisse Verwandtschaft hier gibt und weil ich viele Freunde und Bekannte hier habe…"

    Zwischen den Terminen ist Steinbrück dann zu einem Interview bereit.

    "Und als mir dann vor ungefähr sechs Jahren angeboten wurde, diesen Wahlkreis zu repräsentieren, da habe ich das gerne angenommen."

    Nächste Etappe: das Sommerfest der Arbeiterwohlfahrt. Mitten im Getümmel nimmt der Kanzlerkandidat auf einer Bierbank Platz und signiert eine Autogrammkarte:

    "Hier, für Paul!"

    Der blonde Knirps beschwert sich wegen falscher Rechtschreibung…

    "Paul hab ich falsch geschrieben?!"

    Nein, der Sechsjährige behauptet, Steinbrück habe das Wort "für" mit Y geschrieben.

    "Er meint, ich hab für mit y geschrieben, wie hast Du denn Deinen Enkel erzogen?!"

    Zum ersten Mal wirkt Steinbrück jetzt entspannt. Zwei Würstchen wird er bei der AWO noch verzehren und dann weiter zum Weinfest nach Mettmann fahren. Das mit den sechs Flaschen Semillon habe Frau Noll von der CDU übrigens falsch verstanden:

    "Ich bezog das nicht auf den Wahlkreis, sondern auf die Tatsache, dass es nach den Bundestagswahlen keine schwarz-gelbe Mehrheit mehr gibt im Deutschen Bundestag. Aber da müssen wir uns dann einigen. Vielleicht sind’s dann drei – drei Flaschen."

    Drei für Noll, drei für Steinbrück – das klingt nach Großer Koalition, die Steinbrück doch ablehnt. Michaela Noll bietet während der Wirbelsäulengymnastik ohnehin viel lieber eine neue Wette an – ganz sportlich:

    "Schwimmen. Langstrecke. Von mir aus jeder See, der wartet. Und dann gucken, wer am nächsten Ufer wieder rauskommt. Hm?!"