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CDU und Grüne in Hessen
Entscheidung über Schwarz-Grün

Die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland steht vor der letzten Hürde: Die Parteibasis von CDU und Grünen in Hessen entscheidet heute über eine gemeinsame Koalition. Dem Grünen-Landesvorstand dürfte ein turbulenter Tag ins Haus stehen.

Von Anke Petermann | 21.12.2013
    Eine Hürde muss der Koalitionsvertrag vor der geplanten Unterzeichnung noch nehmen. Auf einem kleinen Parteitag müssen christdemokratische Funktionsträger zustimmen, auf einer Landesmitgliederversammlung ist die grüne Basis gefragt. Abstimmen dürfen nicht nur die rund 600 angemeldeten Grünen-Mitglieder, sondern auch spontan Entschlossene. Bei den Christdemokraten wird mit zügiger Diskussion und breiter Zustimmung gerechnet. Grünen-Anhänger dagegen müssen sich auf turbulente Wortgefechte und einen langen Tag gefasst machen: samt Fluglärmprotest der Bürgerinitiativen zum Auftakt. Am Nachmittag wird ein neuer Landesvorstand gewählt inklusive Doppelspitze. Grünen-Chef Tarek Al-Wazir soll Wirtschafts- und Verkehrsminister werden, die Partei zusammenhalten muss künftig jemand anders. Anke Petermann berichtet.
    Manche Grünen-Anhänger stehen noch unter Schock: für rot-grünen Politikwechsel hatten sie im Vorfeld der Landtagswahl im September gekämpft. Doch jetzt sollen sie einem Koalitionsvertrag mit der CDU zustimmen. Ausgerechnet mit der Hessen-CDU, die in grünen Kreisen bislang als stramm konservativ galt:
    "Wir haben aber das Wahlergebnis zu akzeptieren, die Wunschkoalition geht nicht, und ich glaube, dass gerade angesichts der Tatsache, dass auf Bundesebene eine Große Koalition entstanden ist, viele auch unseren Weg, dass wir gesagt haben, es kann nicht überall nur Große Koalitionen geben, wir müssen mal was anderes probieren, respektieren und sagen: es ist mutig und in den Inhalten auch gut geworden."
    Glaubt Noch-Grünen-Chef Tarek Al-Wazir. Sich und seinen Unterhändlern hält er unter anderem zugute, einen neuen Anlauf für ein Tariftreugesetz durchgeboxt zu haben, das öffentliche Aufträge an Mindestlöhne koppelt.
    Gerangel um die Rolle des sozialen Korrektivs
    Soziale Kürzungen aus der Koch-Ära konnten die Grünen im Koalitionsvertrag mit dessen Nachfolger Bouffier teilweise rückgängig machen. In der großen Koalition auf Bundesebene versteht sich die SPD ja als soziales Korrektiv der Union. Springen da in Hessen die Grünen ein?
    "Die Grünen waren noch nie das soziale Korrektiv in der politischen Landschaft, sondern das soziale Korrektiv in diesem land ist und bleibt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands."
    Betont Thorsten Schäfer-Gümbel, alter und neuer hessischer Oppositionsführer. Der sich um diesen Anspruch allerdings mit den Linken streiten muss. Übereinstimmend beobachten die Roten, dass sich die Grünen an der Seite der Hessen-CDU die Selbsterneuerung bürgerlicher Eliten betreiben. In der Schulpolitik verstärke die Ökopartei das sozial selektive gegliederte Schulsystem, indem sie das elitäre Turbo-Abitur G8 als Option beibehalte, kritisiert GEW-Chef Jochen Nagel. Statt echte Ganztagsschule zur organisieren speise Schwarz-Grün Grundschulkinder mit Nachmittagsbetreuung ab, teilweise zu zahlen von den Kommunen. Linken-Politiker Nagel beschreibt das als grüne Klientelpolitik.
    "Das ist dann eben nicht mehr das Interesse sozialer Umgestaltung, sondern das ist das Interesse eines bestimmten Bereichs von Bürgertum, was dann jetzt auch sagt - okay, wenn mein Kind jetzt betreut ist - das andere kann ich selbst machen."
    Eine solche Schulpolitik verschärfe die soziale Spaltung, statt allen mehr Chancen auf Bildung zu eröffnen, da stimmen auch der hessische Elternbund und die Landesschülervertretung zu. Waren die Grünen mal links oder war das zumindest in den vergangen Jahren nur noch die Wunschvorstellung ihrer Anhänger, fragen sich politische Beobachter. Für die Doppelspitze kandidieren jedenfalls zwei, die für die Öffnung der Grünen zur CDU stehen: die frühere Bundestagsabgeordnete Daniela Wagner und der Koalitions-Unterhändler Kai-Klose.