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CDU-Vize Böhr: Große Koalition muss Gesundheitsreform hinbekommen

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Christoph Böhr hat das Gelingen der Gesundheitsreform als Bedingung für den Erfolg der großen Koalition bezeichnet. Es müsse einen Kompromiss geben, sonst stelle sich die Frage nach der Existenzberechtigung des Bündnisses, sagte Böhr. Die Union müsse dabei am Ansatz festhalten, einen erheblichen Teil der Gesundheitsfürsorge über Steuern zu finanzieren.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Der rheinland-pfälzische CDU-Partei- und Fraktionschef verteidigte zugleich die Ablehnung des Arzneimittel-Sparpakets im Bundesrat, obwohl die Große Koalition selbst das Gesetz im Bundestag beschlossen hatte. Der Bundesrat müsse die Interessen der Länder wahren, da könne schon mal anders abgestimmt werden.

    Friedbert Meurer: In Rheinland-Pfalz ist Wahlkampf, Herr Böhr, das soll gleich unser Thema sein, auch die innenpolitische Situation überhaupt. Vielleicht aber zunächst: Gestern kam die Meldung, dass Slobodan Milosevic gestorben ist - eine Symbolfigur aus den 90er Jahren, der für eine unheilvolle Zeit in den 90er Jahren stand, für Krieg und für Nationalismus. Was bedeutet der Tod dieses Mannes für Europa und für die Situation auf dem Balkan und in der EU?

    Christoph Böhr: Ich verbinde damit die Hoffnung, dass die Symbolfigur schlechthin, die für Mitteleuropa für Nationalismus, für nationalistische Exzesse, auch für Mord und Folter gestanden hat, dass mit dem Tod dieser Symbolfigur vielleicht auch die Bewegung, diese nationalistische Bewegung, allmählich im Sande verläuft. Es ist ja oft so, dass solche Bewegungen eine solche Symbolfigur brauchen und sich auch sozusagen ihre Beweggründe beziehen im Blick auf eine solche Symbolfigur. Und ich habe die Hoffnung, dass der Nationalismus in Europa damit vielleicht schwächer wird. Das wäre jedenfalls sehr zu wünschen.

    Meurer: Es ist natürlich immer noch zu beobachten - nationale Tendenzen nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in den europäischen Ländern, die großen Schwierigkeiten Europas zusammenzufinden, die Interessen Osteuropas, Ost- und Mitteleuropas und der alten EU-Staaten. Also, ist das Gespenst des Nationalismus gebannt in Europa?

    Böhr: Nein, ich glaube, dass wir nie erleben werden, dass es ein für alle Mal gebannt sein wird. Es wird immer wieder nationale und eben auch nationalistische Tendenzen geben in Europa. Das liegt doch auf der Hand. Es gibt Spannungen in der Wahrnehmung der Interessen, es gibt sehr unterschiedliche Interessen, und deswegen wird es immer die Verführung geben, sich zu besinnen sozusagen auf das, was einem selbst am nächsten liegt, und da seine Bedeutung abzustufen, das, was andere dann auch verbinden an Interessen und an Anliegen. Aber ich glaube, dass wir auf einem sehr guten Weg sind und dass die Europäische Union in einer viel besseren Verfassung sich befindet, als es gemeinhin nach außen empfunden wird. Der Euro ist in diesem Zusammenhang ein Segen, weil er natürlich sozusagen institutionalisiert nationalistische Interessen begrenzt und sie in Zaum hält. Von daher wird das ein langer Weg sein mit der Europäischen Union und nach den Erweiterungsrunden erst recht. Aber es wird ein Weg sein, von dem heute schon alle einen unglaublichen Vorteil haben.

    Meurer: Sie möchten, Herr Böhr, am 26. März Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz werden. Viele rechnen allerdings damit, dass der Amtsinhaber Kurt Beck von der SPD sich noch einmal durchsetzen wird. Worauf gründen Sie jetzt noch Ihre Hoffnungen?

    Böhr: Also ich rechne überhaupt nicht damit, dass er sich durchsetzen wird. Es findet im Moment ein Wahlkampf statt, der beispielsweise seitens der Sozialdemokraten überhaupt nicht verbunden ist mit einer politischen Vision - ich sage es sehr viel zurückhaltender -, überhaupt nicht verbunden ist mit Zukunftsprojekten. Es findet ein ganz und gar personalisierter Wahlkampf statt, auf eine Person hin gemünzt, dieser Wahlkampf der Sozialdemokraten. Und ich bin mir sehr sicher, dass das nicht ausreichend eine Bindewirkung entfaltet, sondern dass bei einer Wahl, auch bei einer Landtagswahl, die Wählerinnen und Wähler immer danach fragen: Was haben wir denn zu erwarten, um welche Projekte geht es denn, was sind denn die Zukunftsperspektiven, die sich mit den einzelnen Parteien verbinden? Und da wir in Rheinland-Pfalz 15 Jahre eine rot-gelbe Koalition jetzt erlebt haben, die eigentlich nie und zu keinem Zeitpunkt mit einem politischen Projekt verbunden war, bin ich da außerordentlich zuversichtlich. Als Helmut Kohl abgetreten ist als Ministerpräsident, konnte jedes Kind beantworten, was sozusagen der Prägestempel seiner Amtszeit war. Als Bernhard Vogel abgetreten ist, konnte jedes Kind beantworten, was Bernhard Vogel für dieses Land getan hat.

    Meurer: Aber das waren zwei sehr prägende Figuren. Auch jetzt geht es natürlich um Personen, bei jeder Wahl geht es um Personen. Ihr eigener Generalsekretär räumt ein und er sagt, Sie hätten ein Popularitätsproblem. Wie machen Sie das wett gegenüber Kurt Beck?

    Böhr: Ich habe überhaupt kein Problem. Wenn Wahlen ein Schönheitswettbewerb wären, hätte Gerhard Schröder, Heidi Simonis, hätte Peer Steinbrück und viele, viele andere in den letzten Jahren gewinnen müssen unter dieser Maßgabe. Aber Wahlen sind eben kein Schönheitswettbewerb, sondern Wahlen sind eine sehr komplexe Mischung von Beweggründen, die am Ende den Ausschlag geben. Da kommt sehr vieles zusammen: Die Entschlossenheit, die eine Partei nach außen zeigt, die Mobilisierung, die von einer Partei nach außen dringt, die Frage, ob eine Partei als eine Mannschaft nach vorne geht oder ob nur einer, also sozusagen der Feldherr selbst, reitet. Und da haben wir einfach die besseren Karten. Meine Hoffnung ist ja keine irrationale oder ist ja kein Wunschdenken, sondern meine Hoffnung gründet sich auf alltägliche Erfahrungen. Ich glaube, wir sind hier auf einem sehr, sehr guten Weg. Und wir alle haben von Anfang an geahnt und wissen jetzt, dass es ein Wahlkampf der letzten Minute werden wird, stärker noch als bei der Bundestagswahl aller Voraussicht nach. Die Wählerinnen und Wähler werden in der letzten Woche sich beschäftigen mit der Landtagswahl, sehr viele zumindest, und sie werden in den letzten Tagen eine Wahlentscheidung treffen. Und ich sage Ihnen: Wir werden in den letzten Tagen neben den Wählerinnen und Wählern stehen.

    Meurer: Ist denn, Herr Böhr, die innerparteiliche Geschlossenheit der CDU so groß, wie Sie sagen? Manche behaupten ja, es gibt immer noch diese Nachwirkungen des Abgangs von Bernhard Vogel, die Partei sei zerrissen in zwei Lager. Sie selbst mussten durch eine Kampfkandidatur - diese Zeit der innerparteilichen Querelen, ist das wirklich ganz vorbei?

    Böhr: Das ist vorbei, und ich zeige es ja in diesem Wahlkampf doch sehr bewusst und bei vielen Gelegenheiten durch die gemeinsamen Auftritte - mit Helmut Kohl beispielsweise oder mit Bernhard Vogel. Und natürlich sind diese gemeinsamen Auftritte auch beabsichtigt - als ein Signal in die Wählerschaft hinein. Und deswegen bin ich beiden so dankbar, dass sie da mitmachen - als dieses Signal: Jetzt ziehen wieder alle an einem Strang. Und es ist auch so, wir haben zum ersten Mal seit 15 Jahren eine Stimmung in der Partei, dass immer mehr kommen - gerade in diesen Tagen - und sagen nicht nur: Wir machen mit, sondern auch sagen: Wir wollen es jetzt wissen, 15 Jahre sind eigentlich genug.

    Meurer: Sie brauchen zum Regieren aller Voraussicht nach einen Koalitionspartner. Die FDP in Rheinland-Pfalz hat klipp und klar gesagt: Wir wollen die Koalition mit der SPD auch dann fortsetzen, wenn die CDU die stärkere Fraktion stellen wird im Landtag als die SPD. Wie sehr hat Sie diese Aussage der FDP enttäuscht?

    Böhr: Das hat der Landesvorsitzende Reiner Brüderle gesagt. Das, was er dort gesagt hat ist nicht gedeckt durch den Beschluss seiner Partei. Das ist eine nachträglich nachgeschobene Interpretation, es ist eine persönliche Meinung. Ich bin mir in einem sicher, dass für den Fall, dass wir eine Vorleistung erbringen, nämlich diese Vorleistung, dass überhaupt von der Zahl der Mandate her eine Regierung von CDU und FDP möglich ist, für diesen Fall die FDP selbstverständlich das Gespräch auch mit uns nicht verweigern wird - auch dann, wenn sie vielleicht zwei Optionen hat. Wir hatten das schon einmal vor zehn Jahren, dass die FDP sich entscheiden konnte zwischen einer Koalition mit der CDU und einer Koalition mit der SPD. Damals hat sie sich für die Koalition mit der SPD entschieden. Dass sie diese Koalitionsaussage jetzt so getroffen hat, wie sie sie getroffen hat, das war nun wirklich zu erwarten. Denn wenn sie anders entschieden hätte, dann hätte der Ministerpräsident sie ja am Tage dieser Entscheidung rauswerfen müssen aus der Koalition.

    Meurer: Nur - der Letzte, der auf die FDP gesetzt hat, darauf, dass sie umfällt, Herr Böhr, war Gerhard Schröder gewesen. Und das war dann ein Irrtum gewesen. Die FDP blieb bei ihrer Aussage.

    Böhr: Ich weiß, ich setze ja nicht auf ein Umfallen der FDP, sondern ich setze darauf, dass dann, wenn die FDP möglicherweise nur mit uns oder im anderen Falle auch mit uns eine Regierung bilden kann, die Gespräche führt - Gespräche zu führen sind ja nicht umfallen - und dass sie von den Ergebnissen dieser Gespräche abhängig macht, wie sie sich am Ende entscheidet. Und dann werden viele Dinge zusammenkommen und vor allem ja auch vielleicht die Frage, wo es mehr Gemeinsamkeiten in der Sache gibt. Und da weiß doch jedes Mitglied der FDP, dass die Gemeinsamkeiten zwischen FDP und Union nun wirklich deutlich größer sind als die zwischen FDP und Sozialdemokraten. Also gerade dann, wenn die FDP der Sache nach entscheidet, dann bin ich da sehr zuversichtlich.

    Meurer: Am 26. März gibt es in drei Ländern Landtagswahlen, in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Und danach, heißt es, will die große Koalition, muss die große Koalition durchstarten. Was muss nach dem 26. März in der großen Koalition in Berlin angepackt werden?

    Böhr: Es gibt ein Projekt, das dann unverzüglich auf der Tagesordnung ganz oben stehen wird. Das ist die Frage, wie es weitergeht bei der Gesundheit: Die Gesundheitspolitik. Also die Gesundheitsreform wird wohl das größte Projekt im Frühsommer und im Sommer dieses Jahres sein. Es gibt eine klare Vereinbarung, in diesem Jahr eine gemeinsame großkoalitionäre Entscheidung über unseren Weg in der Gesundheitspolitik zu treffen. Jeder weiß, dass da die Voraussetzungen noch weit auseinander liegen. CDU und CSU gehen in eine deutlich andere Richtung als die Sozialdemokraten, immer noch. Der Kompromiss wird nicht einfach werden, aber es muss ihn geben am Ende, denn sonst wird sofort die Frage nach der Berechtigung, der Existenzberechtigung der großen Koalition gestellt werden. Das wird in diesem Jahr das große Thema sein. Ich hoffe, dass manch anderes dann noch hinzukommt, nämlich auch die Ankündigung der großen Koalition, in Sachen der Entbürokratisierung deutliche Entscheidungen zu treffen. Auch das wird in diesem Jahr noch anstehen.

    Meurer: Um kurz auf die Gesundheitsreform nochmal einzugehen: Besteht die CDU darauf - sollte sie darauf bestehen -, dass das Modell "Gesundheitsprämie", andere sagen "Kopfpauschale", dass das kommt?


    Böhr: Kopfpauschale ist ein bisschen ein irreführender Begriff, an dem wir nicht ganz unschuldig sind. Aber ich glaube, dass der Begriff der Gesundheitsprämie die Sache eher trifft. Die Unionsparteien werden und müssen an diesem Ansatz festhalten, denn der Sinn der gesamten Reform kann ja nur sein, die Finanzierung unseres Gesundheitswesens auf eine andere Grundlage zu stellen, nämlich weg, so wie es heute der Fall ist, von einem Beitrag, der sich in seiner Höhe bemisst am Lohneinkommen, und hin zu einem lohnunabhängigen Finanzierungsbeitrag, also einer Prämie. Und das ist der eine Teil unseres Reformvorschlages. Und der andere ist, dass dann ein erheblicher Teil der Gesundheitsversorgungsleistungen finanziert werden soll in Zukunft über die Steuer, aber eben nicht mehr über einen Beitrag, der berechnet wird nach der Höhe des Lohnes. Das ist der einzige Weg, wie wir Lohnkosten und Lohnzusatzkosten senken können. Es wird ein bescheidener Beitrag dazu jetzt geleistet, indem ein Prozent der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung genommen wird, um arbeitnehmerseitig und arbeitgeberseitig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Aber es ist ein sehr bescheidener Beitrag. Und ohne diesen Beitrag, die Finanzierung unseres Gesundheitswesens ganz umzustellen, werden wir zu einer ausreichend deutlichen Senkung der Lohnkosten nicht kommen. Ich selber habe schon vor Weihnachten gesagt, dass wir uns einmal das niederländische Modell ansehen sollten, das in diese Richtung geht. Das ist eine Mischung von Prämienfinanzierung und Steuerfinanzierung. Ich könnte mir vorstellen, dass hier vielleicht auch eine Art Kompromisslinie auch zwischen Union und SPD liegt.

    Meurer: Am Freitag, Herr Böhr, haben Union und SPD im Bundesrat ein Gesetz erst einmal angehalten und gestoppt, das Union und SPD in der Großen Koalition vereinbart haben, nämlich ein Arzneimittelsparpaket. Ist das ein Hinweis darauf, dass es auch bei der Gesundheitsreform nicht nur zwischen Union und SPD Probleme gibt, sondern gerade zwischen Bund und Ländern?

    Böhr: Es ist schon richtig, dass die Konfliktlinien etwas über Kreuz laufen. Und ich bin für diese Entscheidung des Bundesrates am Freitag außerordentlich dankbar, denn in dem vom Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD beschlossenen Gesetz gibt es eine Regelung, von der ich glaube, dass man sie beim besten Willen nicht ernsthaft umsetzen kann. Das ist diese so genannte Bonus-Malus-Regelung, die dazu führt, dass beispielsweise in einem Land wie Rheinland-Pfalz, das nach wie vor sehr ländlich geprägt ist, in dem es weite Regionen gibt, die eher dünner als dicht besiedelt sind, zu einem Massensterben bei der ärztliche Versorgung mit Arztpraxen gekommen wäre. Denn man kann nicht allen Ernstes die Budgets des einzelnen Arztes so deckeln, dass der beispielsweise im zweiten Monat eines Quartals entweder von jetzt auf gleich seine Tätigkeit einstellt, oder alle Leistungen, die bis zum Ende des Quartals erbracht werden, aus eigener Tasche bezahlt. Die Zeiten, in denen ein Arzt zum Dasein als Multimillionär verurteilt ist, sind lange vorbei. Wir haben eine hohe Zahl von Privatinsolvenzen, gerade bei jungen Ärzten, die sich mit viel Geld eine Praxis ausstatten müssen, den Start ins Berufsleben versuchen und nach einer gewissen Zeit feststellen, dass es beim besten Willen nicht klappt. Diese Entscheidung im Bundesrat war goldrichtig und sie zeigt vielleicht, dass es in der Tat vielleicht am Ende gar nicht so schwer ist, einen Kompromiss zwischen den Beteiligten herbei zu führen.

    Meurer: In der großen Koalition sollte ja laut Angela Merkel durchregiert werden: Wenn die Bundesregierung gleichermaßen dominiert ist wie die Länderkammer, dann ließe sich eine schlüssige, durchgehende Politik machen. Müssen wir uns von dieser Vorstellung verabschieden, dass die Große Koalition wirklich die Koalitionsform ist, die die bestmögliche Politik hervorbringen kann?

    Böhr: Das Urteil wird man, glaube ich, erst in ein, zwei Jahren fällen können. Dafür ist es heute noch zu früh. Aber sicher ist, dass der Bundesrat nie ein Gremium war, wo man sich blind darauf verlassen kann, dass sozusagen jeweils nach Parteizugehörigkeit abgestimmt wird wie beispielsweise zuvor im Bundestag abgestimmt wurde. Der Bundesrat ist ein Gremium, das den Verfassungsauftrag hat, die Interessen der Länder zu wahren. Und da kann es schon passieren, dass auch bei gleicher politischer Farbe im Bundestag so und im Bundesrat anders entschieden wird. Also, zu meinen, das könne sozusagen alles in einem Geleitzug entschieden werden, das ist eine Vorstellung, von der ich nicht glaube, dass der Bundesrat sie jemals wird einlösen können.

    Meurer: Ist eigentlich Ihrer Auffassung nach das Ergebnis der CDU bei der Bundestagswahl und auch das der CSU ausreichend aufgearbeitet worden?

    Böhr: Ja, ich habe diesen Eindruck. Es gab keine langen und ausführlichen Debatten im Sinne einer Aufarbeitung, aber wenn man sich ansieht, die Art und Weise, wie sich heute die Unionsparteien darstellen in der Öffentlichkeit, wie sie sehr viel stärker als noch im Bundestagswahlkampf reden über die Ziele, die sich mit bestimmten politischen Entscheidungen verbinden - ich sage das mal mit einem Beispiel: Im Bundestagswahlkampf haben wir landauf, landab erklärt, was sich hinter dem Begriff des Prämienmodells verbirgt, aber wir haben wenig darüber gesprochen, warum wir eigentlich in Richtung Prämienmodell gehen wollen, dass das etwas mit den Chancen von Arbeit und der Auswanderung von Arbeitsplätzen aus Deutschland zu tun hat und mit dem Bemühen, wieder für mehr Beschäftigung in Deutschland zu sorgen . . .

    Meurer: Man hat den Eindruck, die Ziele haben sich ein bisschen verändert nach der Bundestagswahl, weniger Marktwirtschaft, mehr Sozialdemokratie in der CDU?

    Böhr: Dieser Eindruck täuscht nach meiner Überzeugung. Die Ziele haben sich nicht verändert. Das Ziel will ich mal - nach wie vor dem Bundestagswahlkampf und heute - versuchen, in diesen einen Satz zu kleiden: Sozial ist, was Arbeit schafft. Die Grundlage von sozialer Sicherheit in Deutschland ist eine Erhöhung der Beschäftigung, eine Schaffung neuer Arbeitsplätze in unserem Land, raus zu kommen aus der Massenarbeitslosigkeit. Darüber ist im Bundestagswahlkampf aber wenig geredet worden, übrigens auch deshalb, weil es viele gibt, die das für ziemlich aussichtslos halten. Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich glaube, dass wir diese Chance haben werden, dass wir über dieses Ziel reden müssen und dass wir erklären müssen, warum auf dem Weg zu diesem Ziel beispielsweise ein Prämienmodell bei der Gesundheitsfinanzierung nicht jetzt irgend ein spontaner Einfall ist, sondern ein unverzichtbarer Schritt, wenn wir uns diesem Ziel nähern wollen.

    Meurer: Wird die Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Dreiländerwahl wieder mehr in die Innenpolitik eintauchen? Die SPD kritisiert ja schon, dass sie zu sehr und nur noch Außenpolitik macht und innenpolitisch keine Farbe mehr bekenne?

    Böhr: Das stimmt nicht ganz, denn denken Sie an die Diskussion um die Jahreswende, Familienpolitik, das was wir tun wollen mit Blick auf die Finanzierung kinderreicher Familien, das alles waren innenpolitische Themen. Aber ich finde es richtig und gut, dass auch eine Reihe von außenpolitischen Akzenten gesetzt wurden von Angela Merkel - übrigens solche, die ja innerhalb weniger Wochen ein ganz neues Vertrauen auch zu unseren europäischen und außereuropäischen Freunden geschaffen haben. Richtig ist gleichwohl, dass ab dem Frühsommer die Tagesordnung der Politik wieder sehr viel stärker innenpolitisch bestimmt sein wird.

    Meurer: Ein wichtiges Thema für die Union, auch für das Selbstverständnis der Union, ist das Bild von der Familie. Begrüßen Sie es, Herr Böhr, dass Ursula von der Leyen, die Familienministerin, hier einen Schwenk in der Union vornimmt, weg vom klassischen Rollenverständnis?

    Böhr: Ich habe große Schwierigkeiten, diese sehr abstrakte Debatte zu verstehen. Um was geht es? Es geht darum, dass viele in unserer Gesellschaft, auch die Unionspartei, ein Bild von Familie haben, das sich überhaupt nicht unterscheidet von dem Bild, das vor 20 oder 30 Jahren von Familie bestanden hat und von dem uns beispielsweise die Soziologen sagen, dass es aus der Sicht des Kindes eigentlich nach wie vor die am besten und am meisten geeignete Lebensform ist, nämlich dass Erwachsene und Kinder, insbesondere dann, wenn sie in einer Eltern-Kind-Beziehung sich befinden, eine dauerhafte, verlässliche Beziehung und Bindung zueinander entwickeln und auch pflegen. Wahr ist, dass in dieser Gesellschaft viele die Erfahrung machen müssen, leidvoll sehr oft, dass diese Beziehungen auch bei gutem Willen zerbrechen und dass deswegen neue Formen des Zusammenlebens entstehen, die nicht diesem Bild jeweils genau entsprechen, die aber doch getragen sind auch von dem erneuten Bemühen, verlässliche Beziehungen aufzubauen, verlässliche Bindungen aufzubauen. Und der Kern von Familie ist, wie immer sie nach außen sich darstellt, dieses Bemühen, dass man zusammen auch im Brückenschlag zwischen den Generationen versucht, verlässliche Bindungen und Beziehungen aufzubauen. Und dieser Kern wird nicht zur Disposition stehen.

    Meurer: Frau von der Leyen möchte stärker Frauen ermöglichen, dass sie Beruf und Familie unter einen Hut bekommen können. Ist diese Politik richtig, stärker als bisher zu sagen, wir müssen die Berufstätigkeit der Frauen fördern, wir müssen sehr stark auf staatliche Kinderbetreuung gehen?

    Böhr: Ich glaube nicht, dass die Politik oder der Staat die Aufgabe hat, bestimmte Entscheidungsoptionen der Familie zu fördern. Wenn Familie ihren Sinn hat, dann ist Familie der Raum in unserer Gesellschaft, der am meisten staatsfern ist, will heißen, wo ausschließlich die Beteiligten selbst darüber bestimmen, wie sie leben wollen und wie sie ihr Zusammenleben organisieren wollen.

    Meurer: Ohne Kinderbetreuung aber keine Wahlfreiheit …

    Böhr: Das ist wahr. Und in dem Falle, in dem beispielsweise Familie sagt, wir wollen, dass beide Erwachsenen berufstätig sind, wofür vieles spricht, übrigens auch materielle Not in vielen Fällen, in diesem Falle muss der Staat ja entsprechende Hilfen anbieten, die die Familien in die Lage versetzen, diese in eigener Selbstbestimmung getroffene Entscheidung dann auch tatsächlich umsetzen zu können. Und dafür ist der Ausbau von Betreuung unverzichtbar.

    Meurer: Sind Sie damit einverstanden, dass ein besonderer Anreiz gesetzt wird, Väter dazu zu bewegen, zuhause zu bleiben und nur dann zwei weitere Monate Erziehungsgeld zu bekommen?

    Böhr: Wenn es bei einem Anreiz bliebe, wäre nichts dagegen einzuwenden. Was nach meiner festen Überzeugung nicht geht, dass man es zur Bedingung macht, denn dann ist es kein Anreiz mehr, sondern dann ist es die Bedingung dafür, dass eine bestimmte staatliche Leistung überhaupt der Familie zufließt. Und das verletzt dann den von mir eben genannten Grundsatz, dass in der Familie allein und ausschließlich die Beteiligten entscheiden, wie sie sich organisieren.

    Meurer: In Rheinland-Pfalz, in Ihrem Wahlkampf, spielt das Thema Bildung eine große Rolle, sowohl im Bereich Grundschule - Sie sagen, ab fünf Jahren schon einschulen - über die weiterführenden Schulen hinweg bis hin zum Thema Studiengebühren. Und da, Herr Böhr, sagen Sie, abweichend von anderen CDU-Landesfürsten: Wenn ich Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz werde, führe ich keine Studiengebühren ein. Warum sind Sie gegen Studiengebühren?

    Böhr: Wir wollen nicht einschulen mit Fünf, wir wollen ab Fünf verpflichtend ein vorschulisches Angebot eröffnen, eine altersgemischte Lerngruppe, weil wir glauben, dass Bildung früher einsetzen muss, als das heute der Fall ist. In der Frage der Studiengebühren haben wir in den letzten Jahren ausnahmslos diese von Ihnen eben dargestellte Meinung vertreten, aus einem einzigen Grund vor allem: Wenn man Studiengebühren einführt, muss man sicher sein, dass es ein ausreichend verfügbares Stipendienwesen gibt. Denn wir beklagen zu Recht, dass soziale Gesichtspunkte heute wieder viel zu stark darüber bestimmen, ob ein junger Mensch weiterführende Schulen und am Ende auch eine Hochschule besucht oder ob er es bleiben lässt. Und ich finde, soziale Gesichtspunkte dürfen für diese Entscheidung nicht maßgeblich sein. Deswegen wäre die Diskussion bei uns eine andere. Wenn wir ein Stipendienwesen hätten, wie es in anderen, etwa anglo-amerikanischen Ländern, gegeben ist, wo über Generationen hinweg solche Stipendien aufgebaut wurden, Kapitalstöcke angespart wurden - das alles haben wir in Deutschland nicht . . .

    Meurer: … aber es wird daran gearbeitet.

    Böhr: Ja, aber bauen Sie mal einen Kapitalstock auf. In Amerika ist das das Werk von fünf, sechs, sieben Generationen, die dazu geführt haben, dass diese Kapitalstöcke aufgebaut wurden. Ich bin sehr dafür, dass wir damit beginnen, übrigens auch mit Blick auf manche Möglichkeit einer privaten Teilfinanzierung etwa unserer Hochschulen, unserer Universitäten. Aber das ist ein langer Weg. Und da muss sich im Steuerrecht einiges ändern, da müssen beispielsweise Stiftungen noch stärker gefördert werden, als das heute der Fall ist. Da kommt dann sehr vieles zusammen. Nur solange das alles nicht da ist, so lange, glaube ich, wird man über Studiengebühren so entscheiden müssen, wie wir das getan haben.

    Meurer: Herr Böhr, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Böhr: Vielen Dank.