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CERN in Nöten

Forschungspolitik. - Das CERN, Europas Teilchen- und Kernphysiklabor in Genf, sorgt für Schlagzeilen. Der Large Hadron Collider (LHC) wird voraussichtlich um rund ein Fünftel teurer als vorgesehen. Heute tagte der CERN-Rat, um zu besprechen, wie die Summe von immerhin 821 Millionen Mark aufgebracht werden kann. Drastische Einschnitte im Forschungsbetrieb sind offenbar unvermeidlich..

    2006 soll der LHC fertig sein und dann neue Erkenntnisse über den Aufbau der Materie liefern. Doch offenbar war das 3,8-Milliarden-Mark-Budget für den Bau des Riesenbeschleunigers zu eng kalkuliert. Spielraum für nicht vorhergesehene Mehrausgaben war nicht vorgesehen. Seit dem Sommer ist bekannt, dass der Haushalt um mindestens ein Fünftel überschritten werden wird. Offenbar sind Schwierigkeiten aufgetreten. So sind die supraleitenden Magneten, die die Wasserstoffkerne auf ihrer Kreisbahn im Untergrund unter dem CERN-Gelände halten sollen, teurer als geplant. Außerdem stießen die Baumannschaften auf nicht vorhergesehene geologische Schwierigkeiten.

    Doch nicht nur äußere Umstände bringen das CERN-Management jetzt in Schwierigkeiten. So hat die Leitung der Einrichtung offenbar erst jetzt für ein zentrales Controlling des Milliardenprojektes gesorgt. Überdies hat CERN-Generaldirektor Luciano Maiani offenbar einige Verpflichtungen des Labors nicht erfüllt. So sollten die Prototypen für die Supraleiter aus dem laufenden CERN-Budget finanziert werden. Stattdessen ging das zu Lasten des LHC-Haushalts und sorgt dort jetzt für ein Loch von immerhin 190 Millionen Mark. Auch die Informationspolitik der CERN-Spitze wird Maiani jetzt angelastet. Noch im Juni hatte er alles abgestritten, kurze Zeit später musste er die Finanzierungslücke einräumen.

    Der CERN-Rat steht vor einer schwierigen Aufgabe. Dass die CERN-Mitgliedstaaten nicht geneigt sind, die Mehrkosten durch zusätzliche Gelder zu bestreiten, ist kein Geheimnis. Und so muss die Einrichtung intern nach zusätzlichen Mitteln suchen. Zehn Prozent der Kosten sollen alle CERN-Abteilungen einsparen, sogar an die Streichung von einigen Experimenten zur Kern-, Antimaterie- oder Neutrinoforschung ist gedacht.

    Jetzt fürchten andere Großforschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Teilchenphysik, dass sie von dem Genfer Desaster in Mitleidenschaft gezogen werden. Das könnte insbesondere die Physiker am Hamburger Elektronensynchrotron DESY treffen, planen sie doch ebenfalls den Bau eines milliardenteuren Beschleunigers. Sie befürchten, dass die Genfer Schwierigkeiten ihre Chancen verringern, die notwendigen Mittel zu mobilisieren.

    [Quelle: Frank Grotelüschen]