Freitag, 17. Mai 2024

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Cervantes Preis an Rafael Sánchez Ferlosio

Katja Lückert: Der Premio Cervantes wird seit 1975 alljährlich von der spanischen Regierung ausgeschrieben und aus Steuergeldern finanziert. Dotiert ist er mit 90.000 Euro und er kann nicht nur an spanische Autoren, sondern auch Schriftstellern aus den 19 spanischsprachigen Ländern auf dem amerikanischen Kontinent verliehen werden, und dort gibt es etwa zehn Mal mehr Menschen als in Spanien. Wenn es also politisch korrekt zu gehen würde, bekäme ein spanischer Autor nur alle zehn Jahre den spanischen Nobelpreis. Die Regel lautet aber anders, oder Peter B. Schumann?

Moderation: Katja Lückert | 02.12.2004
    Peter B. Schumann: Die Regel lautete, am Anfang erst mal die großen Klassiker der lateinamerikanischen Literatur auszuzeichnen. Sie lautet danach, abwechselnd in einem Jahr einen spanischen Autor und dann wiederum einen lateinamerikanischen Autor auszuzeichnen. Im letzten Jahr hat es den chilenischen Poeten Gonzalo Rojas getroffen. Deswegen war also nach diesem Usus in diesem Jahr ein Spanier dran. Es darf ja auch vor dem Hintergrund des Cervantesjahres, 400 Jahre nach erscheinen des Urromans der modernen Literatur, des Don Quixote, dann an einen Spanier gedacht werden und man hoffte natürlich auf eine überragende literarische Gestalt.

    Lückert: In diesem Jahr ist es also der Spanier Rafael Sánchez Ferlosio. Ist es eher eine Überraschung? Kennt man ihn?

    Schumann: Es ist eine völlige Überraschung, zumindest für mich, denn sein Werk ist im Gegensatz zu dem Werk von einigen anderen Kandidaten, die auf der Liste der Jury standen, José Luis San Pedro zum Beispiel oder Juan Marsé, ein Schriftsteller, der ganze zwei Romane in seinem Leben geschrieben hat. Das sind zwar Perlen der Literatur, aber ich weiß nicht, ob nun in diesem besonderen Augenblick ein solcher Autor ausgezeichnet hätte werden müssen. Er ist 1927 in Rom als Sohn einer Italienerin und eines Spaniers geboren. Er studierte dann Philosophie und Literaturwissenschaft in Madrid und wohnt auch seither dort. Er hat in den 50er Jahren seine beiden bedeutenden Romane geschrieben, die ihn berühmt gemacht haben, nämlich "Abenteuer und Wanderungen des Alfanhui" im Jahre 1951 und "El Jarama" von 1956, beide sind auch damals auf Deutsch erschienen. Die Abenteuer und Wanderungen sind auch gerade wiederaufgelegt worden. Insofern lässt sich dass also hier nachvollziehen, was er damals geschrieben hat. Danach ist nichts mehr an großer Literatur, also ich meine an umfänglichen Texten herausgekommen. Erzählungen, Essays und Gedichte hat er verfasst und erst vor kurzem ist ein Band seiner gesammelten Essays aus den 90er Jahren erschienen, "Die Seele und die Schande". Das ist also das Gesamtspektrum, in dem diese beiden Romane erschienen sind.

    Lückert: Spielt er denn im spanischen Literaturbetrieb, der sich ja vermutlich in Barcelona und Madrid hauptsächlich abspielt, irgendeine Rolle?

    Schumann: Er hat sich schon immer wieder eingemischt, gerade auch durch seine Essays durch seine Beiträge, die er ja in dem großen Tagesblatt El País schreibt, insofern spielt er eine Rolle. Aber er hat auch nicht eine so umfängliche oder gar abenteuerliche Vita, wie man sie von Cervantes zum Beispiel kennt - wenn man diesen Vergleich ziehen möchte - und er geht mir nicht aus dem Sinn. Allerdings haben die beiden Romane auch durchaus etwas mit der Welt des Cervantes zu tun, denn "El Jarama" zum Beispiel beschreibt eine Gruppe von elf jungen Leuten aus der Madrider Kleinbourgeoisie, die an diesen historisch bedeutenden Fluss nördlich von Madrid einen Ausflug machen, an einem Sonntag. Das ist nämlich eine Grenzscheide, wo die ältere Generation während des spanischen Bürgerkrieges sich eine Vernichtungsschlacht mit 40.000 Toten geliefert hat und es ist sozusagen eine Geste der Versöhnung. Sprachlich ist dieser Roman außerordentlich interessant, weil er die Alltagssprache zum ersten mal wieder ausgräbt und wirklich sehr präzise beschreibt. Der andere Roman "Abenteuer und Wanderungen des Alfanhui" ist eher in diese fantastische, skurrile Welt des Don Quixote einzuordnen. Es ist die kleine Geschichte eines Jungen, der die Welt erforscht, einen Wetterhahn beobachtet auf der Eidechsenjagd. Der nimmt ihn dann zur Strafe von seinem Platz und wirft ihn in die Äste. Danach befreunden die sich und so beginnen also diese Wanderungen und Abenteuer, die sehr viel leichter zu lesen sind, als der voluminöse Klassiker Don Quixote. Es sind wirklich literarische Perlen, aber für mich auch die bisher größte Überraschung des Cervantes Preises.

    Lückert: Heute hat die schwedische Akademie angekündigt, ihre Sicherheitsregeln verschärfen zu wollen. Mitglieder der Jury dürfen untereinander nicht einmal mehr E-Mails mit Namen von möglichen Kandidaten austauschen. So sieht es in Schweden aus. Gibt es denn eine ähnliche Geheimhaltungspraxis in Spanien?

    Schumann: Ich glaube, dass es allen solchen Jurys mit derartigen übernationalen Bedeutungen solche Geheimhaltungsquoten gibt. Es hat ja auch schon mal ein ziemliches Theater gegeben um den Cervantes Preis im Jahre 2000 bei einem absoluten Tiefpunkt, als Francisco Umbral, ein wirklich halbseidener Autor, den Preis bekam, weil ein anderer Preisträger in der Jury, Camillo José Cela, durch einen Manipulations- bzw. Verfahrenstrick diesen Mann, den keiner richtig wollte, durchgedrückt hat und das war ein Aufstand. Juan Goytisolo, ein glücklicher Preisträger, möglicher Kandidat, hat von der Verkommenheit des spanischen Literaturbetriebes damals gesprochen. Also, das ist jedenfalls eine riesige Überraschung, dieser Preisträger, Rafael Sánchez Ferlosio.