Jule Reimer: Nach dem tagelangen Ceta-Drama in Belgien soll auf europäischer Ebene nun alles ganz schnell gehen. Die 28 Mitgliedsstaaten der EU sind aufgerufen, bis Mitternacht die für das Freihandelsabkommen mit Kanada noch notwendigen Beschlüsse zu erlassen. Im Anschluss könnte dann ein neuer Termin für den EU-Kanada-Gipfel, also die Unterzeichnung angekündigt werden. Auf dem Tisch liegen drei Dokumente: Der eigentliche Ceta-Vertrag, zweitens eine gemeinsame Zusatzerklärung der EU und Kanadas zur Klärung bestimmter Begriffe, die im Abkommen nach Ansicht der Kritiker schwammig sind, und drittens der Text, auf den sich die Regionalregierungen des belgischen Königreiches geeinigt haben.
- Am Telefon ist Christian Tietje, Professor für internationales Völkerrecht an der Uni Halle. Guten Tag!
Christian Tietje: Schönen guten Tag, Frau Reimer.
Reimer: Herr Tietje, der belgische Außenminister hat heute getwittert, alle unsere Texte sind in die Dokumente integriert, die von den 28 angenommen wurden. Jetzt muss man nur noch den Vertrag erhalten, um ihn zu unterschreiben. Offenbar sollen alle drei Dokumente dabei auf einem Gipfel unterschrieben werden. Sind dann alle drei Texte rechtsverbindlich und gleichberechtigt zusammen gültig?
Tietje: Man muss es vielleicht, um von hinten anzufangen, mit dem neuesten Dokument der belgischen Erklärung, der Einigung in Belgien, ein wenig differenzieren. Diese Erklärung, die in Belgien verabschiedet wurde, enthält letztlich drei Teile, drei Inhalte. Das ist erstens rein eine innerpolitische Einigung zwischen der Zentralregierung und den Provinzen in Belgien. Es ist zweitens eine Ankündigung, dass Belgien gewisse Dinge unilateral machen will, die sie rechtlich auch können. Dazu gehört insbesondere, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, um ihn zu bitten, ein Gutachten zu verschiedenen Rechtsfragen zu erstellen. Das kann Belgien nach den Verträgen, nach den EU-Verträgen ohnehin. Belgien kündigt dies nur an. Und drittens gibt es in dieser belgischen Erklärung Teile, die Interpretationserklärungen sind und sich damit weitgehend decken mit dem, was bekannt ist als, wie von Ihnen genannt, Zusatzvereinbarung zwischen der EU und Kanada. Insofern sind das zum Teil politische Aussagen, zum Teil rechtliche Aussagen insbesondere im Hinblick auf die Auslegung, die Interpretation. Diese Zusatzerklärung, die Sie nannten, das ist tatsächlich rechtsverbindlich.
Reimer: Die ist rechtsverbindlich, gleichberechtigt neben dem Vertrag? Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat gestern veröffentlicht, das sei ihnen alles zu lasch und sie enthalte zahlreiche Widersprüche und Unklarheiten.
Tietje: EU-Kanada-Zusatzforderungen sind rechtsverbindlich
Tietje: Wenn man in die Erklärung sowohl der EU28, die wir kennen, ...
Reimer: Was eine ältere Version ist. Wir kennen noch nicht die aktuelle Version, muss man vielleicht vorausschicken.
Tietje: In der Tat. Veröffentlicht ist eine ältere Version. Wenn man diesen Text, genauso wie jetzt die belgische Erklärung, dann sind das die Passagen, in denen es heißt, es wird unterstrichen, es wird nochmals betont, es wird wiederholt, dass etwas so und so ist. Das ist eine Interpretation, die allerdings als Interpretation verpflichtend ist, weil sie von Kanada, soweit wir wissen, und der EU angenommen wird. Und nach den anwendbaren methodischen Regeln im Recht ist das zu berücksichtigen rechtsverbindlich.
Reimer: Die Belgier verlangen eine Überprüfung der Investitionsschutzregeln durch den Europäischen Gerichtshof. Das finden viele auch in den Verbraucherschutzverbänden sehr interessant und erstaunlich. Was könnte da passieren?
Tietje: Zunächst einmal, ich hatte es schon angedeutet: Jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union, jeder der 28 hat jederzeit das Recht, zwischen der Unterzeichnung, das was auf dem Gipfeltreffen jetzt geschehen wird mit Kanada, und dem Inkrafttreten, das noch einige Jahre dauern wird, den Europäischen Gerichtshof anzurufen und um ein Gutachten zu bitten über die Vereinbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages, bei uns Ceta, mit dem EU-Recht. Das ist eine Möglichkeit, die es schon immer gab und die auch schon öfter in Anspruch genommen wurde.
Reimer: Und da könnte der Investitionsschutz gekippt werden?
Tietje: Investitionsschutz wird vermutlich durch den EuGH nicht gekippt
Tietje: Das ist dann die Frage, die in der Tat sich stellt. Ich persönlich meine, nein. Vielleicht wird es Vorbehalte des Europäischen Gerichtshofs geben, die sich beziehen auf die Anwendung von Unionsrecht durch ein internationales Schiedsgericht. Aber Ceta schließt das bereits aus. In Ceta steht explizit, dass internationale Schiedsgerichte nicht europäisches Recht zur Anwendung bringen dürfen, sondern nur den Vertrag Ceta selbst. Und das ist anders, als es der Fall war bei der Diskussion über den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention, wo der Europäische Gerichtshof mal gesagt hat, es geht nicht, diesen Vertrag zu unterschreiben. Aber man kann natürlich darüber streiten und es wäre sicherlich im Interesse der Rechtsklarheit, wenn der Europäische Gerichtshof diese Frage einmal klärt.
Reimer: Macht es Sinn, solche Verträge künftig eindeutig in EU-Kompetenz und in Kompetenz, die bei den Mitgliedsstaaten liegt, aufzuteilen. Und dann können beide Seiten getrennt abstimmen?
Tietje: Man muss erstens abwarten, was der Europäische Gerichtshof zu dieser Kompetenzfrage Anfang des nächsten Jahres sagen wird, wenn er über das Singapur-Abkommen urteilt. Vielleicht bleibt gar nicht so viel an mitgliedsstaatlicher Kompetenz. Im Übrigen ist das, was Sie erwähnen, eine politische Option, um solche Probleme, wie wir sie jetzt haben, möglicherweise zu vermeiden. Das ist richtig.
Reimer: Der Völkerrechtler Christian Tietje zu den angekündigten Einigungen beim Freihandelsabkommen EU-Kanada, Ceta.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.