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"Cézanne et Paris"

Paul Cézanne, der Vater des Kubismus und der Moderne ist aktuell im "Musée du Luxembourg" in Paris zu sehen. Die Ausstellung "Cézanne et Paris" - Cézanne und Paris, soll zeigen, dass der Künstler nicht nur aus der Provence kommt.

Von Björn Stüben | 18.10.2011
    Paul Cézanne und das Bergmassiv der Montagne Sainte-Victoire - ein Künstler und sein Lieblingsmotiv, beinahe schon Synonyme. "Cézanne in der Provence" war folglich die große Ausstellung vor fünf Jahren betitelt, die anlässlich des einhundertsten Todestags von Cézanne in Aix-en-Provence eröffnete. Den Besuchern schien es damals so, als hätte Cézanne fast nichts anderes gemalt als Motive aus seiner südfranzösischen Heimat. Denis Coutagne, Präsident der Cézanne-Gesellschaft und bereits Organisator der Schau von 1996 korrigiert jedoch diesen Eindruck:

    "Unsere Recherchen haben ergeben, dass sich Cézanne in seinem Leben tatsächlich häufiger in Paris und Umgebung aufgehalten hat als in seiner Heimat, der Provence. Cézanne war in Paris ja eigentlich nie wirklich integriert. Bei ihm ging es sicher nicht wie bei anderen Künstlern seiner Generation darum, als junger Mann Paris im Sturm zu erobern wie etwa die Figur Rastignac bei Balzac. Warum hielt er also praktisch bis zu seinem Lebensende 1906 immer den Kontakt zu Paris und Umgebung? Die Landschaft, das Licht und wohl auch das Pariser Klima hatten es ihm offenbar angetan."

    "Cézanne und Paris" nennt Denis Coutagne daher nun eine mit knapp 80 Werken bestückte Ausstellung im Pariser Musée du Luxembourg. Doch wer hier jetzt von Cézanne auf die Leinwand gebannte Pariser Häuserschluchten oder Ansichten der ländlichen Umgebung der Metropole zu finden hofft, der wird eher enttäuscht sein. Nur einmal hat Cézanne seinen Malerblick bei Regen über die grauen Dächer der Stadt schweifen lassen.
    Nur wenige Leinwände zeigen die schon bei vorangehenden Malergenerationen so beliebten Orte wie Auvers-sur-Oise, Fontainebleau oder Giverny mit ihren Wald- und Flusslandschaften, sorgsam strukturiert mit den für Cézanne typischen Bildelementen wie Brücken oder Viadukte. Porträts seines Malerkollegen Pissaro oder seines Jugendfreundes Emile Zola, Studien oder Kopien nach den großen Meistern, die er im Louvre studierte, Bildnisse seiner Frau, mit der er eine winzige Wohnung in Paris teilte, da er die Beziehung lange vor seinem übermächtigen Vater in Aix-en-Provence geheim hielt, sie alle spiegeln Cézannes bildnerische Auseinandersetzungen mit Paris. Das interessanteste Ausstellungskapitel nennt Denis Coutagne "Die Versuchung Paris". Hier beherrschen Frauenakte seine Werke. Vor dem zeitgenössischen Hintergrund um das Skandalwerk der "Olympia" von Edouard Manet, das die Prostitution unverblümt zur Schau stellte, kreiste Cézanne um das Thema der Frauenakte in Karikaturen ähnlichen, kleinformatigen Bildern, gemalt in der pastosen Manier des von ihm bewunderten Delacroix. "Die ewige Weiblichkeit oder das goldene Kalb" nannte Cézanne eine Bildszene, in der Männer eine nackte Frau bedrängend umlagern. Denis Coutagne:

    "Der Versuchung, die Paris bot, stellte sich Cézanne natürlich, aber sie rief bei ihm auch eine gewisse Angst hervor. Er sagte sich, wenn ich mich dieser Versuchung hingebe, dann werde ich eine barocke, überschwängliche Malerei hervorbringen. Das lehnte er entschieden ab. Er hätte in Paris wie Manet werden und das Pariser Leben abbilden können. Nein, das wollte er nicht und malte stattdessen lieber Äpfel. Und wenn er eine Frau malte, dann war diese nicht verführerisch anziehend, weder Göttin noch Nymphe, sondern unscheinbar, sogar hässlich. Er ließ sie dann etwa als Badende in seinen Bildern auftreten. Cézanne widerstand also der großen Versuchung Paris. Und wie wirkten damals seine Früchtestillleben? Rilke brachte es 1907 so auf den Punkt: Cézannes Äpfel sollten nicht Früchte zum Essen darstellen, sondern sie seien einfach nur Äpfel in der Malerei gewesen."

    Natürlich hatte Rilke recht, denn es ging Cézanne nicht um die realistische Abbildung der Äpfel. Diese waren bloß Mittel zum Zweck, sie dienten ihm für seine Raum- und Körperstudien. Unter den knapp eintausend Werken, die Cézanne schuf, waren immerhin zweihundert Stillleben. Und eine ganze Reihe von ihnen werden nun auch im Musée du Luxembourg gezeigt. Dass sie einst in Paris entstanden, lässt sich nur aus ihren Hintergründen erschließen, die als Tapetenmuster auf seine verschiedenen Pariser Wohnsitze verweisen. Sie hätten genauso gut auch in der Provence entstehen können.

    "Mit einem Apfel will ich Paris in Erstaunen versetzen", soll Cézanne einmal gesagt haben. Dieser kurze Satz ließe sich als Quintessenz der Ausstellung "Cézanne und Paris" lesen, denn er macht folgendes deutlich. Cézanne ist nicht vor der übermächtigen Kunstmetropole Paris auf die Knie gesunken, ihr Einfluss auf sein Werk ist nirgends wirklich abzulesen. Im Gegenteil, er hoffte vielmehr mit seinen Werken Aufsehen in der Seine-Metropole erregen und Einfluss auf die Pariser Kunstszene ausüben zu können, was ihm damals auch gelang. In Erstaunen versetzt werden jetzt auch die Besucher der Pariser Schau, die sich einmal mehr von Cézannes Geradlinigkeit und Entschlossenheit bei der Suche nach seinem eigenen Stil anhand einer hochkarätigen Auswahl von Werken überzeugen können. Dass diese Bilder alle in Paris und Umgebung entstanden, ist aber eigentlich nebensächlich.