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Chancen einer alternden Gesellschaft

Die Bevölkerung wird immer älter. Doch das heißt nicht gleich Pflegenotstand und Altersarmut. Die von der Leibniz-Gemeinschaft organisierte Ausstellung "Zukunft leben: Die demografische Chance" zeigt, dass kein Grund zur Panik, aber zum Handeln besteht. Die Schau im Berliner Naturkundemuseum wird am Abend eröffnet.

Von Jürgen König |
    Wer sich dem Berliner Naturkundemuseum nähert, sieht schon von Weitem, dass Teile des Titels der Ausstellung per Hand mit dickem Rotstift überschrieben wurden: Nicht um den demografischen Wandel soll es gehen, sondern um die demografische Chance - die Kernaussage der Ausstellung sieht man dem Haus schon von außen an. Kurator Thomas Spring:

    "Die Hauptbotschaft: kein Grund zur Panik beim demografischen Wandel, aber jede Menge Anlass für zügiges und auch vernetztes Handeln. Die Chance hat natürlich auch was damit zu tun. Wenn Wissenschaftler schauen, wie die Gesellschaft aussieht, dann sind sie zunächst mal keine Kulturkritiker, die mit den ganz großen Begriffen: 'Alles Katastrophe!', 'Der Letzte macht das Licht aus!'... man analysiert ganz genau, was für Potenzial und Chancen im demografischen Wandel stecken."

    Wissenschaftler schauen, was da ist ... - eine Ausstellung zum demografischen Wandel, äh – nein, zur demografischen Chance muss notwendigerweise viele Zahlen präsentieren. Die beiden Kuratoren der Leibniz-Gemeinschaft haben sich wacker bemüht, das so anschaulich und im Wortsinn handgreiflich wie möglich zu machen: in neun begehbaren Rauminstallationen, Kapiteln gleich: da veranschaulicht eine Demografiepyramide 100 Jahre des Bevölkerungswachstums veranschaulicht, dort kann der Besucher wie im Setzbaukasten mit seiner Bildungsbiografie experimentieren. Die Kernaussagen der Ausstellung, mit Zahlen unterlegt: Wir leben länger, bleiben dabei auch länger gesund; wir werden weniger; wir werden kulturell vielfältiger. Um in 50 Jahren noch genug Erwerbstätige haben, müssen wir die Lebensarbeitszeit verlängern, mehr Frauen in Arbeit bringen, mehr Fachkräfte aus dem Ausland holen und, am wichtigsten, das Thema Bildung wirklich ernst nehmen. Kuratorin Petra Lutz:

    "Mir scheint, dass vielleicht jetzt wirklich für alle Bereiche die ganz zentrale Ressource Bildung ist. Lernen - wie können ältere Menschen lernen, dass sie fit bleiben, wie kriegt man Jugendliche mit Migrationshintergrund in gute Ausbildung - wie nutzt man diese Ressourcen? Und das muss man tun, indem man Lernsysteme, Lernorte, Lernvorgänge so gestaltet, dass sie für möglichst viele Menschen offen sind."

    Ein völlig neues Verständnis vom Lernen sei nötig.

    "Lernen in der Schule; die Frage, wie ist der Übergang in Ausbildung, in Studium und so weiter, aber eben auch: Wie kriege ich es hin, dass Menschen nicht einmal praktisch einen kompletten Lerndurchlauf machen, bis sie den Ausbildungsabschluss haben und dann eigentlich davon ausgegangen wird, dass sie den Rest ihres Lebens nicht mehr sehr viel lernen müssen? Speziell, wenn sie dann schon älter sind und es auf den Ruhestand zugeht. Das kann man sich vielleicht auch nicht mehr leisten, und es ist vielleicht auch ein bisschen langweilig: 40, 50 Jahre lang immer das Gleiche zu machen."

    Werden wir unsere Lebensläufe in Zukunft individueller gestalten? Welchen Einfluss haben gesellschaftliche Verhältnisse auf private Entscheidungen wie die, Kinder zu haben oder die, keine Kinder zu wollen? Sind unsere Vorstellungen vom Altern noch haltbar? Wie werden wir in 50 Jahren wohnen wollen? Welche Technologien - bei der Mobilität, der Kommunikation - könnten uns unterstützen? Große Themen, allesamt nur angerissen, nichts für ein Fachpublikum - aber für ein solches ist diese Wanderausstellung auch nicht gedacht. Sie will ein großes Publikum erreichen, Fragen unters Volk bringen, damit es sich an den Gedanken gewöhnt, dass eine Gesellschaft schrumpfen kann und dass dieses Schrumpfen gestaltet werden kann. Karl Ulrich Mayer, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft und wissenschaftlicher Leiter der Ausstellung:

    "Als soziologischer Beobachter sage ich: Gesellschaften sind enorm anpassungsfähig. Wir haben uns angepasst an den Babyboom, also an den Zuwachs, wir werden uns auch anpassen an Schrumpfung, aber das geht nicht von alleine. Und Sie sehen ja an dieser relativ erbitterten Debatte um Rente mit 67, wie viele Probleme wir haben, das auch tatsächlich umzusetzen."

    Man kann es ja manchmal nicht mehr hören, dass in der Krise eine Herausforderung und in dieser eine Chance stecken soll, erscheint es einem doch oft genug nur mehr als Verschönerung der Welt mit sprachlichen Mitteln. Allein – dass dem demografischen Wandel tatsächlich eine Chance zu grundsätzlichen Neuerungen innewohnt – wer wollte es bestreiten?

    Mehr zum Thema:
    Wissenschaftsjahr 2013: Die demografische Chance