Jürgen Liminski: Die Verfassung, die wir haben, heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist. Diese rund 2.400 Jahre alte Definition von Demokratie stammt von dem bedeutendsten Geschichtsschreiber der Antike, dem Griechen Thukydides, und leitet die Präambel des Vertrags über eine europäische Verfassung ein. Sie ist in ihrer einfachen Form unübertroffen, hat die Zeit überdauert und gilt sozusagen auch heute, allerdings nicht für die Mehrheit der Menschheit. Nur knapp drei Dutzend Staaten der Welt könnten von sich sagen, dass das Ideal der Demokratie in ihnen halbwegs verwirklicht. Bei den anderen haben wir es zu tun mit Despotien, Diktaturen oder Scheindemokratien. Ändert sich das? Liegt die Welt in den Wehen der Freiheit und Demokratie? Dieser Eindruck mag aufkommen, wenn man die Bilder aus Beirut sieht und sich an die Bilder aus Kiew, Belgrad oder Tiflis erinnert. Wie ansteckend ist der Virus der Demokratie? Wie weit trägt er und was kann Europa dafür tun? Zu diesen Fragen begrüße ich den neuen außenpolitischen Sprecher der Grünen, Fritz Kuhn. Herr Kuhn, Fahnenwehen und -schwenken, das Orange der Ukrainer gestern und das Weiß-Rot der Libanesen heute, bewegen die Gemüter. Eine neue Macht bricht sich bahn, Völker erheben sich, die Straße wird zum Schauplatz der Politik. Geht der Virus der Demokratie durch die Welt?
Fritz Kuhn: Also ich würde es mal so sagen, es ist natürlich schon auffällig, dass in vielen Völkern und in vielen Ländern jetzt Bewegung für Demokratie da ist. Allerdings kann man nicht alles über einen Kamm scheren. Was wir in der Ukraine gesehen haben, ist ein wichtiger qualitativer Sprung in einem langen Transformationsprozess der osteuropäischen Länder. Das ist sehr wichtig, dass die Ukraine nun auf dem Weg zu einer richtigen Demokratie ist und da einen wichtigen Erfolg erzielt hat. Im Libanon ist es erst mal eine demokratische Bewegung gegen die Besatzungsmacht, nämlich die syrische Armee. Was das genau draus wird, muss man im Einzelnen noch sehen. Dennoch können wir optimistisch sein, weil ich glaube, die Demokratie hat in der Tat eine Strahlkraft, der man sich langfristig nicht entziehen kann. Wichtig ist aber zu verstehen, dass es immer Rückschläge geben wird.
Liminski: Die Mehrheit der Libanesen will die syrischen Besatzer aus dem Land haben. Die Ukrainer, Serben und Georgier wollten die alte Nomenklatur verdrängen, sagen sie, und selbst ihr Schicksal bestimmen. Aber gilt das auch für die Iraker, Iraner, Syrer und Saudis. Welche Völker sind denn demokratiefähig?
Kuhn: Also wir wollen mal festhalten, dass alle Völker demokratiefähig sind. Die Frage ist nur, ob sie die politische Chance dazu haben. Wir haben ganz zarte Liberalisierungen, zum Beispiel in Syrien, Jordanien und Marokko, die sich eher eines Generationswechsels der politischen Führung verdanken, also einer Verjüngung. Aber ob daraus wirklich Demokratie wird, jedenfalls in Syrien, das müssen wir doch noch abwarten. Also damit will ich sagen, die Demokratie ist wichtig und sie bringt die Völker voran, aber es gibt Rückschläge. Wenn Sie mal an den Iran denken, da ist doch eher eine Verhärtung in der letzten Zeit zu spüren. Das heißt, wir müssen das differenziert beurteilen.
Liminski: Bleiben wir mal in der Region. Hat es nicht auch etwas mit der jeweiligen Religion zu tun? Im Islam kennt man ja die Trennung von Religion und Staat nicht. Die Türkei ist ein Sonderfall, und da ist ja die Geschichte auch noch nicht am Ende. Diese Trennung ist ja wegen der Glaubens- und Gewissensfrage grundlegend für die Demokratie. Kann es im islamischen Raum Demokratie, die Herrschaft des Volkes geben?
Kuhn: Ich will es nicht ausschließen, wiewohl die Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern entsprechend der religiösen Grundbedingungen groß sein können. Aber ich glaube, dass wir doch überall die Möglichkeit haben für demokratische Verhältnisse. Die Türkei ist, wie Sie sagten, ein Sonderfall, aber dort können Sie das auch sehen. Ich glaube, dass die Möglichkeit einer EU-Perspektive dort einen starken Demokratisierungsschub gebracht hat, wiewohl klar ist, dass man die Türkei nicht direkt mit dem Irak oder dem Iran vergleichen kann.
Liminski: Hat denn die Wahl im Irak eine Welle der Demokratie in der Region ausgelöst?
Kuhn: Das ist schwer zu beurteilen. Sie ist ein hoffnungsvolles Signal, wiewohl sich nicht alle Iraker beteiligt haben. Wir wissen, dass es drei verschiedene Bevölkerungsgruppen gibt. Die Schiiten haben für die schiitische Partei gestimmt, die Kurden für die kurdische und die Sunniten haben im Wesentlichen gar nicht abgestimmt. Dennoch ist es wichtig, dass es dort eine Wahl gab, aber, wie gesagt, wir sind da absolut nicht über dem Berg, und wir müssen jetzt alles tun, dass daraus jetzt eine stabile Demokratie langsam entstehen kann.
Liminski: Demokratien schießen nicht aufeinander, heißt es immer. Was kann denn Europa tun, um den Demokratien der Welt zum Fortschritt zu verhelfen? Die Tore weit öffnen, neue Mitglieder aufnehmen oder mehr Entwicklungspolitik betreiben?
Kuhn: Also wichtig ist zunächst mal, dass von Europa das Signal des Dialogs und der Verständigung ausgeht. Das ist gerade und insbesondere im Nahen und Mittleren Osten sehr genau angekommen. Man setzt sehr auf die Fähigkeiten der Europäer zu politischen und diplomatischen Lösungen. Das sehen Sie auch bei dem Konflikt um das Atomprogramm im Iran. Das ist der eine Punkt. Selbstverständlich sind alle Fragen der Entwicklungszusammenarbeit und der tatsächlich auch materiellen Hilfe genauso wichtig wie der Dialog. Wenn man die beiden Sachen zusammennimmt, politische Initiativen, Versuche, gemeinsame Lösungen zu finden, und Unterstützung mit wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Mitteln, dann kann Europa schon sehr viel beitragen zu einer Verbesserung der Situation dauerhaft.
Liminski: Wird Europa da nicht auch manchmal über den Tisch gezogen? Sie haben eben das Beispiel Iran genannt. Man hat doch manchmal den Eindruck, als ob die Iraner auf Zeit spielen, nur um ihre Atombombe zu bauen.
Kuhn: Also das muss man jetzt im Einzelnen sehen. Ich bin nach wie vor optimistisch, dass man da eine politische Lösung finden wird, weil alle anderen Lösungen verheerend sind, nicht nur für den Iran, sondern für die gesamte Region. Es ist ja schon bezeichnend, dass die Europäer im Wesentlichen diese Verhandlungen jetzt führen. Es ist ein Zeichen, dass ihnen eine hohe Vermittlungskompetenz zugetraut wird. Man kann Verhandlungen nicht führen mit einem prinzipiellen Misstrauen. Man muss sie auf der Basis von Konstruktivität führen. Es gibt keine Garantie, dass es klappt, aber gegenwärtig sind wir der Überzeugung, dass es klappen kann.
Liminski: Sehen Sie die Rolle der Europäer nicht nur im Nahen Osten, sondern insgesamt komplementär zu der der USA?
Kuhn: Nein, nicht grundsätzlich. Die Veränderungen würden dann besser gelingen, wenn die USA und die Europäer am gleichen Strang ziehen. Es kann in Einzelfragen zu völlig unterschiedlichen Auffassungen kommen, aber wenn wir uns so aufstellen würden nach dem Muster, die Europäer sind immer in jeder Frage anders als die Vereinigten Staaten und umgekehrt, dann würde das, glaube ich, nicht so viel bringen wie den Versuch zu machen, sich über den Atlantik hinweg zu verständigen. Da ist ja jetzt durch den Bush-Besuch ein zarter Anfang wieder gemacht worden. Jetzt müssen natürlich die Inhalte folgen, aber so nach dem Muster, aus dem Gegensatz von Europa und USA könne die Welt in Bezug auf Demokratie verbessert werden, das ist zu pauschal, wenn man das so sieht.
Liminski: Da, wo die Straße Umwälzungen bewirkt hat, hatte das Plebiszit auch immer ein Gesicht. Juschtschenko in der Ukraine, Djindjic in Serbien. Braucht die Demokratie auch den Volkstribun oder nur das Volk?
Kuhn: Also die Demokratie ist ja schon die Herrschaft des Volkes. Dass sie natürlich auch in geeigneten handlungsfähigen politisch geschulten Personen einen Ausdruck finden muss, ist völlig klar. Da, wo dies zusammenkommt, also die glückliche Fügung, dass das Volk auf die Straße geht, auch durchhält und nicht gespalten und zur Resignation getrieben wird, und dazu gute Leute, die dies repräsentieren und organisieren können, dann hat man die größten Chancen. Übrigens spielen die Medien eine zentrale Rolle. Ich denke oft darüber nach, dass dieses Stereotyp schon fast des Volkes auf den Marktplätzen mit den Fahnen und dem friedlichen Auftritt, der zäh gegen die Herrschenden gerichtet ist, hat natürlich ansteckenden Charakter. Das sollten wir bei der ganzen Diskussion nicht vergessen.
Liminski: Die Demokratie macht Fortschritte. Gibt es auch Regionen oder Länder, wo Sie Rückschritte macht, zum Beispiel Russland?
Kuhn: Also Russland ist mit Sicherheit in einem ganz differenzierten Prozess. Da würden wir, glaube ich, falsch liegen, wenn wir das einseitig unter Fortschritt oder Rückschritt sehen würden. Es ist ein ganz komplizierter Prozess, der nach Stabilisierung sucht. Da ist man in vielem noch nicht so weit. Sie kennen ja unsere Kritik zum Beispiel an der Tschetschenienpolitik der russischen Regierung Putins, was die Menschenrechte angeht. Ich glaube, dass man ganz viele Dialoge, Gespräche führen muss, wenn man da von unserer Seite aus einen positiven Anstoß geben will.
Liminski: Demokratie nur mit einem Teil der Menschenrechte, funktioniert das?
Kuhn: Nein, dies wird meines Erachtens nicht funktionieren. Die Demokratie ist angewiesen und wird getragen von der Universalität der Menschenrechte in ihrer Gesamtheit. Natürlich müssen wir es auch aushalten, dass es Übergangssituationen gibt. Sie haben eingangs auch gesagt, es gibt Länder, die auf dem Weg zur Demokratie sind oder nur zum Teil eine Demokratie sind. Dies muss man aushalten im gegebenen Fall, aber das Ziel, eine echte Demokratie auf der Basis der gesamten Menschenrechte zu haben, darf man nicht aufgeben, weil dies die Leute motiviert und die Völker weitertreibt zu mehr Demokratie und letzten Endes auch zu mehr Frieden.
Liminski: Vielen Dank für das Gespräch.
Fritz Kuhn: Also ich würde es mal so sagen, es ist natürlich schon auffällig, dass in vielen Völkern und in vielen Ländern jetzt Bewegung für Demokratie da ist. Allerdings kann man nicht alles über einen Kamm scheren. Was wir in der Ukraine gesehen haben, ist ein wichtiger qualitativer Sprung in einem langen Transformationsprozess der osteuropäischen Länder. Das ist sehr wichtig, dass die Ukraine nun auf dem Weg zu einer richtigen Demokratie ist und da einen wichtigen Erfolg erzielt hat. Im Libanon ist es erst mal eine demokratische Bewegung gegen die Besatzungsmacht, nämlich die syrische Armee. Was das genau draus wird, muss man im Einzelnen noch sehen. Dennoch können wir optimistisch sein, weil ich glaube, die Demokratie hat in der Tat eine Strahlkraft, der man sich langfristig nicht entziehen kann. Wichtig ist aber zu verstehen, dass es immer Rückschläge geben wird.
Liminski: Die Mehrheit der Libanesen will die syrischen Besatzer aus dem Land haben. Die Ukrainer, Serben und Georgier wollten die alte Nomenklatur verdrängen, sagen sie, und selbst ihr Schicksal bestimmen. Aber gilt das auch für die Iraker, Iraner, Syrer und Saudis. Welche Völker sind denn demokratiefähig?
Kuhn: Also wir wollen mal festhalten, dass alle Völker demokratiefähig sind. Die Frage ist nur, ob sie die politische Chance dazu haben. Wir haben ganz zarte Liberalisierungen, zum Beispiel in Syrien, Jordanien und Marokko, die sich eher eines Generationswechsels der politischen Führung verdanken, also einer Verjüngung. Aber ob daraus wirklich Demokratie wird, jedenfalls in Syrien, das müssen wir doch noch abwarten. Also damit will ich sagen, die Demokratie ist wichtig und sie bringt die Völker voran, aber es gibt Rückschläge. Wenn Sie mal an den Iran denken, da ist doch eher eine Verhärtung in der letzten Zeit zu spüren. Das heißt, wir müssen das differenziert beurteilen.
Liminski: Bleiben wir mal in der Region. Hat es nicht auch etwas mit der jeweiligen Religion zu tun? Im Islam kennt man ja die Trennung von Religion und Staat nicht. Die Türkei ist ein Sonderfall, und da ist ja die Geschichte auch noch nicht am Ende. Diese Trennung ist ja wegen der Glaubens- und Gewissensfrage grundlegend für die Demokratie. Kann es im islamischen Raum Demokratie, die Herrschaft des Volkes geben?
Kuhn: Ich will es nicht ausschließen, wiewohl die Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern entsprechend der religiösen Grundbedingungen groß sein können. Aber ich glaube, dass wir doch überall die Möglichkeit haben für demokratische Verhältnisse. Die Türkei ist, wie Sie sagten, ein Sonderfall, aber dort können Sie das auch sehen. Ich glaube, dass die Möglichkeit einer EU-Perspektive dort einen starken Demokratisierungsschub gebracht hat, wiewohl klar ist, dass man die Türkei nicht direkt mit dem Irak oder dem Iran vergleichen kann.
Liminski: Hat denn die Wahl im Irak eine Welle der Demokratie in der Region ausgelöst?
Kuhn: Das ist schwer zu beurteilen. Sie ist ein hoffnungsvolles Signal, wiewohl sich nicht alle Iraker beteiligt haben. Wir wissen, dass es drei verschiedene Bevölkerungsgruppen gibt. Die Schiiten haben für die schiitische Partei gestimmt, die Kurden für die kurdische und die Sunniten haben im Wesentlichen gar nicht abgestimmt. Dennoch ist es wichtig, dass es dort eine Wahl gab, aber, wie gesagt, wir sind da absolut nicht über dem Berg, und wir müssen jetzt alles tun, dass daraus jetzt eine stabile Demokratie langsam entstehen kann.
Liminski: Demokratien schießen nicht aufeinander, heißt es immer. Was kann denn Europa tun, um den Demokratien der Welt zum Fortschritt zu verhelfen? Die Tore weit öffnen, neue Mitglieder aufnehmen oder mehr Entwicklungspolitik betreiben?
Kuhn: Also wichtig ist zunächst mal, dass von Europa das Signal des Dialogs und der Verständigung ausgeht. Das ist gerade und insbesondere im Nahen und Mittleren Osten sehr genau angekommen. Man setzt sehr auf die Fähigkeiten der Europäer zu politischen und diplomatischen Lösungen. Das sehen Sie auch bei dem Konflikt um das Atomprogramm im Iran. Das ist der eine Punkt. Selbstverständlich sind alle Fragen der Entwicklungszusammenarbeit und der tatsächlich auch materiellen Hilfe genauso wichtig wie der Dialog. Wenn man die beiden Sachen zusammennimmt, politische Initiativen, Versuche, gemeinsame Lösungen zu finden, und Unterstützung mit wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Mitteln, dann kann Europa schon sehr viel beitragen zu einer Verbesserung der Situation dauerhaft.
Liminski: Wird Europa da nicht auch manchmal über den Tisch gezogen? Sie haben eben das Beispiel Iran genannt. Man hat doch manchmal den Eindruck, als ob die Iraner auf Zeit spielen, nur um ihre Atombombe zu bauen.
Kuhn: Also das muss man jetzt im Einzelnen sehen. Ich bin nach wie vor optimistisch, dass man da eine politische Lösung finden wird, weil alle anderen Lösungen verheerend sind, nicht nur für den Iran, sondern für die gesamte Region. Es ist ja schon bezeichnend, dass die Europäer im Wesentlichen diese Verhandlungen jetzt führen. Es ist ein Zeichen, dass ihnen eine hohe Vermittlungskompetenz zugetraut wird. Man kann Verhandlungen nicht führen mit einem prinzipiellen Misstrauen. Man muss sie auf der Basis von Konstruktivität führen. Es gibt keine Garantie, dass es klappt, aber gegenwärtig sind wir der Überzeugung, dass es klappen kann.
Liminski: Sehen Sie die Rolle der Europäer nicht nur im Nahen Osten, sondern insgesamt komplementär zu der der USA?
Kuhn: Nein, nicht grundsätzlich. Die Veränderungen würden dann besser gelingen, wenn die USA und die Europäer am gleichen Strang ziehen. Es kann in Einzelfragen zu völlig unterschiedlichen Auffassungen kommen, aber wenn wir uns so aufstellen würden nach dem Muster, die Europäer sind immer in jeder Frage anders als die Vereinigten Staaten und umgekehrt, dann würde das, glaube ich, nicht so viel bringen wie den Versuch zu machen, sich über den Atlantik hinweg zu verständigen. Da ist ja jetzt durch den Bush-Besuch ein zarter Anfang wieder gemacht worden. Jetzt müssen natürlich die Inhalte folgen, aber so nach dem Muster, aus dem Gegensatz von Europa und USA könne die Welt in Bezug auf Demokratie verbessert werden, das ist zu pauschal, wenn man das so sieht.
Liminski: Da, wo die Straße Umwälzungen bewirkt hat, hatte das Plebiszit auch immer ein Gesicht. Juschtschenko in der Ukraine, Djindjic in Serbien. Braucht die Demokratie auch den Volkstribun oder nur das Volk?
Kuhn: Also die Demokratie ist ja schon die Herrschaft des Volkes. Dass sie natürlich auch in geeigneten handlungsfähigen politisch geschulten Personen einen Ausdruck finden muss, ist völlig klar. Da, wo dies zusammenkommt, also die glückliche Fügung, dass das Volk auf die Straße geht, auch durchhält und nicht gespalten und zur Resignation getrieben wird, und dazu gute Leute, die dies repräsentieren und organisieren können, dann hat man die größten Chancen. Übrigens spielen die Medien eine zentrale Rolle. Ich denke oft darüber nach, dass dieses Stereotyp schon fast des Volkes auf den Marktplätzen mit den Fahnen und dem friedlichen Auftritt, der zäh gegen die Herrschenden gerichtet ist, hat natürlich ansteckenden Charakter. Das sollten wir bei der ganzen Diskussion nicht vergessen.
Liminski: Die Demokratie macht Fortschritte. Gibt es auch Regionen oder Länder, wo Sie Rückschritte macht, zum Beispiel Russland?
Kuhn: Also Russland ist mit Sicherheit in einem ganz differenzierten Prozess. Da würden wir, glaube ich, falsch liegen, wenn wir das einseitig unter Fortschritt oder Rückschritt sehen würden. Es ist ein ganz komplizierter Prozess, der nach Stabilisierung sucht. Da ist man in vielem noch nicht so weit. Sie kennen ja unsere Kritik zum Beispiel an der Tschetschenienpolitik der russischen Regierung Putins, was die Menschenrechte angeht. Ich glaube, dass man ganz viele Dialoge, Gespräche führen muss, wenn man da von unserer Seite aus einen positiven Anstoß geben will.
Liminski: Demokratie nur mit einem Teil der Menschenrechte, funktioniert das?
Kuhn: Nein, dies wird meines Erachtens nicht funktionieren. Die Demokratie ist angewiesen und wird getragen von der Universalität der Menschenrechte in ihrer Gesamtheit. Natürlich müssen wir es auch aushalten, dass es Übergangssituationen gibt. Sie haben eingangs auch gesagt, es gibt Länder, die auf dem Weg zur Demokratie sind oder nur zum Teil eine Demokratie sind. Dies muss man aushalten im gegebenen Fall, aber das Ziel, eine echte Demokratie auf der Basis der gesamten Menschenrechte zu haben, darf man nicht aufgeben, weil dies die Leute motiviert und die Völker weitertreibt zu mehr Demokratie und letzten Endes auch zu mehr Frieden.
Liminski: Vielen Dank für das Gespräch.
