Sonntag, 05. Mai 2024

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Chaos auf der rechten Spur

Allein über die A 8 bei Stuttgart rollen pro Tag im Durchschnitt 25.000 LKW und Johann Stickel von der Autobahnpolizei Stuttgart überrascht es doch immer wieder, mit welcher schier atemberaubenden Geschwindigkeit sie im Pulk des Autoverkehrs vorbeirasen. Immer wieder einige LKW hintereinander, fast Stoßstange an Stoßstange, Drängler, die nur darauf lauern, auszuscheren und dem Kollegen die Rücklichter zu zeigen. Wenn den die Berufsehre packt, kommt es zu einem der berüchtigten "Elefantenrennen", das den nachfolgenden Verkehr ausbremst und schließlich zum Erliegen bringt.

Helmut Frei | 20.08.2000
    Johann Stickel: "Es ist sehr wichtig, dass der LKW-Verkehr die erforderlichen Sicherheitsabstände einhält. Dazu sagt die Straßenverkehrsordnung aus, dass LKW bei höherer Geschwindigkeit als 5o Kilometer pro Stunde einen Abstand von mindestens 50 Metern einhalten müssen. Wenn sie das nicht tun, dann kommt es zu den berüchtigten Auffahrunfällen an Steigungen. Wir haben im Bereich des Autobahnkreuzes Stuttgart die Abstandsregelung sogar noch verschärft und dem LKW-Fahrer die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von 50 Metern durch Vorschriftszeichen vorgeschrieben. Nach dem Unfallgeschehen zu urteilen, werden diese Sicherheitsabstände nur ungenügend eingehalten."

    Eine Langzeituntersuchung von Unfällen auf bayerischen Autobahnen ergab, dass nicht zuletzt ältere Fahrer zum Nickerchen am Steuer neigen. Sie sind dem zunehmendem Stress im Transportgewerbe noch weniger gewachsen als ihre jüngeren Kollegen. Dieser Stress hängt direkt mit den Erwartungen zusammen, die heute die verladende Industrie an die Speditionen hat. Sie müssen "just in time" liefern, also genau zu der Zeit, zu der es der Kunde wünscht.

    Die Automobilindustrie exerziert vor, was unter "just in time" zu verstehen ist. Jede Autofabrik arbeitet beispielsweise mit Speditionen zusammen, die nach einem bis ins Detail ausgearbeiteten Zeit-Plan Teile bei Lieferanten abholen und fast auf die Minute genau am Produktionsband in der Autofabrik abliefern. Kommt der LKW zu spät an die Rampe, drohen die Firmen schon mal mit einer Schadensersatzforderung, weil der Takt am Produktionsband zurückgefahren werden musste.

    Hinzu kommt ein gnadenloser Konkurrenzkampf in der Branche der Spediteure. Um zu überleben, müssen sie der Kundschaft ohne Wenn und Aber zu Diensten sein. Daran lässt auch Eckhard Wanjelick keinen Zweifel. Die schwäbische Spedition Weckerle, für die er arbeitet, hat sich aus einem in der Nachkriegszeit entstandenen Fuhrunternehmen zu einem ansehnlichen mittelständischen Unternehmen entwickelt. Einer der wichtigsten Auftraggeber: Daimler-Chrysler.

    Eberhard Wanjelick: "Also es reicht nicht mehr, dass man innerhalb von zwei, drei Tagen eine Sendung bringt, sondern in vielen Fällen ist es so, dass die Erwartung ist: Auf jeden Fall am nächsten Tag muss die Sendung dort sein und zwischenzeitlich auch sehr oft mit Uhrzeitvorgabe. Und das schaffen Sie natürlich nur, wenn sie relativ kurze Entfernungen haben und eine Vielzahl an Terminals über ganz Deutschland verteilt haben, sonst können Sie diese Zeiten einfach nicht mehr realisieren."

    Ob Autoindustrie oder Unterhaltungselektronik, ob Filialisten in Sachen Mode, ob Baumarktketten, Warenhäuser oder Lebensmittelfabriken - das Zauberwort heißt Logistik und das treibende Grundprinzip ist immer dasselbe. Um Kosten zu sparen, müssen die Betriebe die teure Lagerhaltung auf das gerade noch Notwendige zusammenstutzen.

    Die öffentliche Straße übernimmt so immer mehr die Rolle eines privatwirtschaftlich genutzten Zwischenlagers. Diese Version der Lagerhaltung ist kostensparend - aus Sicht der verladenden Wirtschaft. Eine Folge: Güter kurven kreuz und quer durch Europa, um so für ein Unternehmen einen erhofften Preisvorteil gegenüber der Konkurrenz realisieren zu können.

    Immer auf Achse, ein ständiger Güterfluss - das ist das Lebenselixier unserer mobilen Gesellschaft. Für viele Transportaufgaben ist ein ausgewachsener LKW einfach zu groß, zumal sich beispielsweise moderne Konsumgüter wie CD-Player geradezu winzig ausnehmen, vergleicht man sie mit den Musiktruhen von vorgestern. Kleinlaster oder gar Lieferwagen bieten oft ausreichend Laderaum. Außerdem sind sie wendiger, um auf Überlandstraßen und in Städten voranzukommen. Die Tendenz zu Lieferwagen und Kombis wird nach Ansicht von Experten noch zusätzlich an Kraft gewinnen, wenn E-Commerce erst richtig aufblüht, wenn also übers Internet bestellt und die Ware dann direkt an die Adresse des Kunden geliefert wird. Nicht umsonst wirbt die Deutsche Post genau für diese Verknüpfung von Internet und Transportlogistik.

    Dennoch geht die Arbeit für die großen Trucks nicht aus. Ihr Aktionsfeld bilden nicht zuletzt die gebündelten Transporte zwischen Wirtschaftszentren und Unternehmen. Dabei sind nach Ansicht von Eckard Wanjelick von der schwäbischen Spedition Weckerle alle Varianten des LKW im Spiel - vom Lastzug mit Anhänger bis zum Sattelschlepper mit Sattelauflieger, dem sogenannten Trailer. Der kann im Fabrikhof abgestellt werden:

    Eberhard Wanjelick: "Ich muss mehr Fahrzeuge auf die Straße bringen, um die Sendungen termingerecht auszuliefern. Und natürlich der Anspruch des Kunden: Es muss heute hin. Es war früher nicht unüblich, dass der Fahrer abends wieder zurückgekommen ist und sagte: Zwei drei Sendungen hat er weiß Gott nicht mehr losgebracht, er hat seine Tour nicht geschafft, weil er im Stau gestanden ist. Solche Sachen können wir uns heute nicht mehr leisten."

    Allein zwischen 1988 und 1999 hat sich die Tonnage, die über Deutschlands Straßen rollte, nahezu verdreifacht. Natürlich brachte die Wiedervereinigung und die Öffnung des ehemaligen Ostblocks diese Entwicklung in Schwung. Aber genutzt haben diese Chance nicht nur ausländische Transportunternehmen, deren Brummis so gerne für nervenzehrende Staus und schwere Unfälle verantwortlich gemacht werden. Das belegen auch Daten des Statistischen Bundesamtes. Danach ist in den letzten sechs Jahren die Zahl der in Deutschland zugelassenen Lastkraftwagen um ein Fünftel angestiegen. Sie liegt momentan bei zweieinhalb Millionen Fahrzeugen. Noch kräftiger fiel der Zuwachs bei Sattelzugmaschinen aus.

    Die seit Jahren anschwellende Brummi-Flut mündete zwangsläufig in Überkapazitäten an Laderaum und kaum noch kostendeckende Transportpreise. Auch einheimische Unternehmen haben an dieser Spirale mitgedreht. Sie macht zunehmend kleinen und mittleren Transporteuren zu schaffen. Ausdruck dafür ist die hohe Insolvenzquote. Sie liegt im Straßenverkehr nach Ansicht des Bundesverbandes Güterverkehr und Logistik zwischen 20 und 25 Prozent. Die besten Überlebenschancen haben die Großen der Branche, die im internationalen Geschäft tätig sind und mit anderen internationalen Unternehmen fusioniert haben oder kooperieren.

    Ohne Zweifel gibt es einige vom Transitverkehr bevorzugte Achsen, auf denen mehr Laster mit ausländischen als mit deutschen Kennzeichen gesichtet werden. So schätzen Vertreter der deutschen Spediteure, dass auf der Autobahn entlang des Rheintals sieben von zehn LKW im Ausland beheimatet sind. Aber der Zustand der befahrenen Straße hängt nicht von der Nationalität des Fahrzeuges ab.

    Die Fracht drückt auf die Achsen der Laster und zermürbt die Straßendecke nach dem Prinzip "steter Tropfen höhlt den Stein". Eine Tonne Achslast mehr vergrößert die messbare Beanspruchung der Straße um ein Vielfaches. Aus diesem Grund warnen Fachleute der Bundesanstalt für Straßenwesen davor, die in Deutschland geltende Achslastbegrenzung von maximal 11,5 Tonnen auf die in Frankreich zulässigen 13 Tonnen anzuheben.

    Doch solche feinen Unterschiede drohen immer mehr unter den Tisch zu fallen, seit sich die Europäische Union vor Jahren der Befreiung des Güterverkehrs von Zugangsregelungen verschrieben hat, der sogenannten Liberalisierung oder Deregulierung. Früher gab es zum Beispiel Konzessionen, die nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung standen und bei einer zweifelhaften Betriebsführung nicht wieder verlängert wurden. Auch waren die Tarife festgelegt. Heute darf im Prinzip jeder, der einen LKW-Führerschein hat, auf einem LKW-Bock durch Europa brettern und mit Dumping-Tarifen den Kollegen Ladung abspenstig machen. Das nutzen clevere Unternehmer wie der Reutlinger Spediteur Willi Betz, der mit billigen Fahrern aus Bulgarien sein Unternehmen auf die Erfolgsspur setzte. Immerhin überlegt die EU-Kommission derzeit, ob mit einem "Fahrerausweis" dem Lohndumping im LKW-Verkehr beizukommen sei.

    Handlungsbedarf besteht, weil die Liberalisierung ursprünglich von einer Harmonisierung der Sozialvorschriften und technischen Standards für den Güterverkehr hätte begleitet werden sollen. Das Vorhaben blieb aber auf halber Strecke stecken - mit fatalen Folgen, wie Werner Rothengatter meint. Der Verkehrswissenschaftler von der Universität Karlsruhe arbeitet derzeit in der Kommission beim Bundesverkehrsminister mit, die in wenigen Wochen eine Empfehlung zur Gestaltung der heiß diskutierten Straßenbenutzungsgebühr abgeben soll. Rothengatter lässt keinen Zweifel daran, dass eine Befreiung von gängelnden Vorschriften, dass also die Liberalisierung im Interesse des Wettbewerbes ist. Aber er weist darauf hin, dass sie momentan zu Lasten der Bahn geht, weil ihr ein ruinöser Wettbewerb keine Chance lässt:

    Werner Rothengatter: "Bis heute sind hier die Merkmale der Wettbewerber völlig unterschiedlich. Die Bahn ist gezwungen, aufgrund betrieblicher Vorschriften sehr stark auf die Sicherheit zu achten. Das gelingt ihr auch. Die Sicherheit im Bahnverkehr ist wesentlich höher als im Straßenverkehr. Ein weiteres Beispiel sind die Sozialvorschriften im Verkehr. Bei der Bahn wird darauf geachtet, dass die Lokführer... den Diensteinsatz nicht überziehen. Im Straßenverkehr ist das nicht der Fall. Da gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Sozialvorschriften, die sich in Lenk- und Ruhezeiten ausdrücken - zum Beispiel, zu umgehen. So werden bei Verkehrskontrollen rund 25 Prozent der Fahrer in LKWs regelmäßig erwischt, die die Sozialvorschriften übertreten haben. Das heißt: auf dem Straßengüterverkehrsbereich ist eine Art moderner Sklaverei ausgebrochen. Die Fahrer müssen praktisch zu jedem Preis rund um die Uhr fahren, um ihren Job zu behalten. Und dies ist eine Konkurrenzsituation, bei der die Bahn nicht mithalten kann."

    Nachholbedarf besteht bei der Harmonisierung, also beispielsweise bei den Regelungen über die zulässigen Lenkzeiten und die vorgeschriebenen Pausen. Das sieht so auch der badische Spediteur Rolf Dischinger.

    Rolf Dischinger: "Nur muss das halt in ganz Europa gleich behandelt werden. Bei uns ist es beispielsweise so in Deutschland: Eine halbe Stunde Lenkzeit überziehen kostet bis zu 150 Mark, im Rest Europas wird darüber gelacht."

    Könnte da nicht die Bahn in die Bresche springen? Man mag viele Belege finden für die vermeintliche oder tatsächliche Benachteiligung der Bahn gegenüber dem Güterverkehr auf der Straße. Aber allesamt können sie wohl kaum den miserablen Zustand des Schienenriesen erklären. Nahezu jede Woche wartet er mit negativen Schlagzeilen auf. Erst vergangenen Montag meldete die "Financial Times Deutschland", DB-Cargo, die Frachttochter der Deutschen Bahn, kämpfe ums Überleben.

    Doch selbst treue Bahnkunden setzen nicht mehr auf die Schiene. Zu ihnen zählt die württembergische Firma Kärcher. Sie baut Hochdruckreiniger und hat eine große Niederlassung mit angeschlossenem Auslieferungslager in der Nähe der norditalienischen Metropole Mailand. Eine am Bodensee ansässige internationale Spedition holt die für Italien bestimmten Lieferungen im württembergischen Verteilzentrum ab und fährt sie über die Straße nach Singen am Hohentwiel. Dort werden die beladenen Wechselpritschen mit dem Kran vom LKW-Chassis runtergenommen und auf den Huckepack-Zug nach Mailand gehievt.

    Kärcher setzte beharrlich auf die Schiene und musste gerade in den letzten Monaten bei der Bahn eine Orgie von Unzuverlässigkeiten erleben. Da stellt ein italienischer Lokführer den Zug wenige Kilometer vor dem Zielbahnhof einfach ab, weil sein Arbeitssoll erledigt ist und kein Ersatzmann zur Stelle. Es gibt zu wenig Lokomotiven in fahrtüchtigem Zustand und eine Räuberbande kann die unbeaufsichtigten Waggons aufbrechen. Da bleiben Züge stecken und der Absender der Ladung erfährt nichts über die Verspätung.

    So sieht der bittere Bahnalltag aus. Er steht in krassem Widerspruch zu jenem vollmundig vorgetragenen Slogan, der da heißt: "Güter gehören auf die Schiene". Wen sollte es wundern, wenn Leute wie Oliver Kienzle die Geduld verlieren. Er ist bei Kärcher zuständig für internationale Transporte. Angesichts frustrierender Erfahrungen mit der Güterbahn läge es nahe, selbst im alpenquerenden Schwerlast-Verkehr durch die Schweiz, in dem die Bahn bislang eine große Rolle spielte, wieder mehr auf die Straße zu setzen.

    Oliver Kienzle: "Ich kann kaum eine Entwicklung feststellen, dass die Bahn hier mit größeren Kapazitäten flexibel umgehen kann, dass sich die Zeiten - sowohl die Abholfenster, als auch die Anlieferungsfenster - optimiert haben, noch dass irgendwo die eingesetzten Lokomotiven wirtschaftlicher sind, oder dass - an dieser Strecke sind ja drei verschiedene Bahnen beteiligt, zweimal allein muss die Lokomotive gewechselt werden und das auf einer Transportstrecke von 400 Kilometer Bahn. Hier hat sich in den letzten fünf Jahren nahezu überhaupt nichts getan. Das ist sicher ein sehr großer Schwachpunkt innerhalb der Bahn. Wenn man damit die Straße vergleicht, dann versucht man doch, immer neue Wege zu gehen, bessere Motoren einzusetzen, mehr Kapazität zu bieten und auch entsprechend flexible Konzepte mit Fahrerwechsel und so ins Leben zu rufen. Wir sind im Moment auch in Kontakt mit den beteiligten Bahnen, um diese Optimierungen durchzuführen, zu forcieren, da wir schon Interesse daran haben, entsprechende Transporte über die Bahn abzuwickeln, allerdings unter entsprechenden Voraussetzungen."

    Dazu zählt auch eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende Planungssicherheit. Doch die kann die Deutsche Bahn heute weniger denn je vermitteln. Siehe das interne Papier zur Zukunft ihres Güterverkehrs, aus dem die "Financial Times Deutschland " zitierte. Es stellt erneut 100 Güterbahnhöfe zur Disposition. Das kommt einem SOS-Ruf gleich, einer Bankrott-Erklärung auch für den sogenannten Kombiverkehr. Entgegen dem anhaltenden Trend einer Zunahme der im Straßen-Güterverkehr transportierten Tonnage sank 1999 das Transportaufkommen im kombinierten Verkehr, bei dem LKW-Einheiten auf speziellen Eisenbahnwaggons transportiert werden, um 3,6 Prozent. Sogar Speditionen, die zu den Pionieren des Kombiverkehrs gehörten, haben sich inzwischen verabschiedet.

    Ein zweifelhaftes Ergebnis jenes angeblichen Jahrhundertwerkes, das die Bahnreform hätte sein sollen. Sie führte dazu, dass zahlreiche Verladebahnhöfe des Kombiverkehrs von jetzt auf nachher stillgelegt wurden. Wie es anders geht, zeigt das Beispiel Österreich. Dort hat die Staatsbahn ihr Netz an Kombi-Bahnhöfen sehr dicht gewoben. Sie empfahl sich dadurch als exklusiver Partner von namhaften Speditionen. Zu ihnen zählt der englische Konzern P & O. In Deutschland dagegen heißt die Bahn-Devise Rückzug.

    Wohin diese Strategie führt, ist völlig ungewiss. Aber zur Privatisierung im Sinne der Entstaatlichung und Deregulierung bei den Bahnen Europas gebe es keine Alternative, meint der Karlsruher Verkehrswissenschaftler Werner Rothengatter.

    Werner Rothengatter: "Deregulierung ist der richtige Weg für den Fall, dass man die Voraussetzung dafür schafft, dass die Bahnen wirtschaftlich überleben können. Aber diese Voraussetzungen sind nicht geschaffen worden; und man hat gehofft, dass allein durch Deregulierung oder Privatisierung dann so viele wirtschaftliche Reserven geweckt werden können, dass sich die Bahnen dann selbst am Schopf aus dem Sumpf herausziehen. Aber diese Hoffnung ist überzogen. Den Bahnen bleibt bei dieser Lage, wie wir sie haben in der Bundesrepublik und auch im näheren Ausland, gar nichts anderes übrig als zu schrumpfen. Sie sind zu wirtschaftlicherem Handeln aufgefordert. Das können sie derzeit nur erreichen, indem sie weiter abspecken und nicht, indem sie ihre Bereiche am Markt ausdehnen."

    Diese Erkenntnis ist ernüchternd. Sie erscheint durch die anstehende Entscheidung zugunsten einer LKW-Maut nicht in einem angenehmeren Licht. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Straßenbenutzungsgebühr erstmals im Jahr 2003 fällig. Voraussichtlich müssen dann schwere LKW ab 12 Tonnen in Deutschland 25 bis 30 Pfennige pro Kilometer Autobahn bezahlen. Ziel dieser Gebühr ist es unter anderem, dem einheimischen wie ausländischen Schwerlastverkehr einen Ausgleich abzuverlangen für die von ihm verursachten Belastungen des deutschen Fernstraßennetzes und für Umweltschäden. Außerdem soll die Bahn in eine etwas bessere Position gegenüber dem Straßenverkehr kommen. Einhellige Meinung aller Experten ist jedoch, dass die anvisierte Maut die Güterbahn nicht entscheidend attraktiver machen kann. Deshalb rät die vom Bundesverkehrsminister eingesetzte Expertengruppe, die Bahn von der Mineralölsteuer zu befreien - zumindest teilweise. Das lehnt Bundesverkehrsminister Klimt bislang allerdings ab.

    Unterdessen versuchen die Organisationen der Transportunternehmen und Spediteure sowie Wirtschaftsverbände und Kammern den Diskussionen um eine höhere Straßenbenutzungsgebühr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Hans-Jürgen Reichardt von der Industrie- und Handelskammer in Stuttgart kontert die Forderung, der Straßenverkehr müsse die der Allgemeinheit entstehenden Kosten berappen, mit einer Auflistung von Aspekten des Nutzens:

    Hans-Jürgen Reichardt: "Zum Beispiel dadurch, dass eben größere Märkte entstehen, die Arbeitsteilung verbessert wird, der Wettbewerb verbessert wird. Ich beziehe mich hier auf jüngste Studien an der Uni Köln. Die haben berechnet, dass dieser Nutzen für uns alle durch den Straßenverkehr und vor allem durch den Güterverkehr pro Jahr über 190 Milliarden DM beträgt.

    Anders kalkuliert die neu gegründete "Allianz pro Schiene". In ihr haben sich tendenziell bahnfreundliche Organisationen bis hin zu Bahn-Gewerkschaften und Fahrgastverbänden zusammengeschlossen. Die "Allianz pro Schiene" verweist auf Berechungen von Wirtschaftsforschungsinstituten. Danach würden sich allein die Straßenschäden, die der Schwerlastverkehr in Deutschland verursache, auf 66 Milliarden Mark summieren.

    Diese Schäden beschränken sich nicht nur auf Autobahnen. Deshalb forderte Heribert Thallmair, der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, erst neulich, eine LKW-Gebühr für alle Straßen zu erheben.

    Heribert Thallmair: "Dabei haben wir zwei Ziele: einmal muss es Ziel sein, zumindest einen erheblichen Teil der Frachtmenge auf die Schiene zu verlegen, zum anderen muss es Ziel sein, auch unsere Städte und Gemeinden vom Schwerlastverkehr zu entlasten."

    Ob dafür eine Maut das richtige Mittel ist, darf bezweifelt werden. Denn zum einen wird sie den prognostizierten Zuwachs des Straßengüterverkehrs in Deutschland kaum bremsen, wenn überhaupt. Zum anderen sucht sich der Schwerlastverkehr zumindest über weite Strecken die schnellsten Routen. Und das sind in der Regel immer noch die Autobahnen.

    So oder so wird die Flut des Güterverkehrs, die sich über Deutschlands Straßen ergießt, nur schwer oder gar nicht einzudämmen sein. Manches spricht dafür, dass sich das absehbare und heute fast schon alltägliche Chaos nicht nur auf die rechte Spur beschränken, sondern vollends auch die anderen Fahrstreifen erfassen wird.

    Selbst für die gründliche Instandhaltung von Straßen stehen die finanziellen Mittel nur noch begrenzt zur Verfügung. Die Zahl der Baustellen wächst schneller als die Zahl der reparierten Straßenabschnitte. Daran wird auch die Straßenbenutzungsgebühr nichts ändern. Vielleicht erkennt ja doch eines Tages die Bahn ihre Chance und bietet eine überzeugende Ergänzung des Güterverkehrs auf der Straße.