
An der Unglücksstelle in der chinesischen Hafenstadt Tianjin waren auch am Samstag mehrere schwächere Detonationen zu hören. Reporter hätten sieben oder acht Detonationen gehört, berichtete die Nachrichtenagentur China News Service. Starker Rauch stieg an mehreren Stellen über dem Unglücksgebiet auf. Zudem bestätigten die Behörden, dass Natriumzyanid entwichen ist. Da der Wind drehte, bestand die Gefahr, dass das Gift, das rasch tödlich wirken kann, landeinwärts getrieben wird. Die Zahl der Toten stieg nach einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua auf 112.
Anwohner in Tianjin mussten eine Schule räumen, in der sie Unterschlupf gefunden hatten, weil der Wind das Gift in ihre Richtung treiben könne, teilte die Nationale Gesundheits- und Familienplanungskommission mit. Die Menschen wurden aufgefordert, lange Hosen und Gesichtsmasken zu tragen. Insgesamt mussten 6.300 Menschen ihre Häuser verlassen. In einem Umkreis von drei Kilometern war die Unglücksstelle abgeriegelt.
Besorgte Anwohner
Ein Polizeivertreter in Tianjin sagte der staatlichen Zeitung "Beijing News", das Natriumzyanid sei östlich der Detonationsstelle nachgewiesen worden. Wie viel von dem Salz der Blausäure gefunden oder freigesetzt wurde, sagte die Polizei nicht. Auch zum Risiko für die Bevölkerung äußerte sie sich nicht. Anwohner zeigten sich allerdings besorgt, dass Luft und Wasser belastet sein könnten. "Ich habe schon ein wenig Angst", sagte ein Bauarbeiter. "Unser Chef hat uns gesagt, dass wir Masken tragen sollen."
Verzweifelte und wütende Angehörige vermisster Feuerwehrleute versuchten, eine Pressekonferenz zu stürmen. "Wir haben alle Krankenhäuser abgeklappert, und wir haben sie nicht gefunden", klagte Wang Baoxia, deren älterer Bruder vermisst wurde. "Niemand von der Regierung will mit uns sprechen. Nicht einer!"
Den Angehörigen zufolge werden noch 85 Feuerwehrleute vermisst. Unter den 112 Toten sind Medienberichten zufolge mehr als 20 Feuerwehrleute. Zudem seien 720 Menschen verletzt worden.
Feuerwehr im Ungewissen
Die Feuerwehrleute waren zu dem Einsatz in dem Gefahrgutlager gerufen worden, ohne zu wissen, was dort brannte oder gelagert war. Auch setzten sie Wasser ein, was bei Chemikalien wie dem unter anderem dort gelagerten hochgiftigen Natriumcyanid explosive Reaktionen auslösen kann. Die hohe Opferzahl löste Diskussionen aus, ob Feuerwehrleute für solche Situationen ausreichend ausgebildet sind.

Zuerst hatte es am Mittwochabend in dem Lager für giftige Stoffe und explosive Gase zwei Detonationen gegeben. Die Ursache blieb unklar. Die Explosionen waren kilometerweit zu spüren. Der Hafen der 15-Millionen-Metropole Tianjin im Nordosten Chinas ist der zehntgrößte der Welt.
(fwa/nin)