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Charles Gounods Oper "Roméo et Juliette"
Unverschnörkelt in Magdeburg

Die Oper "Roméo et Juliette" von Charles Gounod wurde 1867 in Paris uraufgeführt. Am Magdeburger Theater wird sie erneut fantasievoll erzählt. Bei der Inszenierung bleibt durch ein sparsames Bühnenbild viel Raum für die Musik, wodurch ein sympathisch unverschnörkeltes Musiktheater entsteht.

Von Elisabeth Richter | 05.10.2020
    Ein alter Mann mit hellem, großem Vollbart blickt nach links aus dem Bild. Er ist im Porträt als Holzschnittdruck mit braunrötlicher zu sehen.
    Der französische Komponist Charles Gounod schrieb ingesamt zwölf Opern. (picture alliance/dpa - Bildagentur-online/Abecasis)
    Ein romantischer Held ist Romeo bei Charles Gounod schon allein durch die wunderbar lyrische Musik voller Schmelz und Intensität, die der Komponist für den tragischen Protagonisten erfunden hat. Mit Arthur Espiritu hat das Theater Magdeburg für die Titelparte einen Sänger mit einem faszinierend ausgewogenen, warmen Timbre besetzt. Der philippinisch-amerikanische Tenor weiß seine kraftvolle Stimme geschmackvoll und ohne Kitsch, technisch souverän und sehr musikalisch zu führen. Ein Hochgenuss.

    Regisseurin Karen Stone gibt sich nicht mit einer eindimensionalen Sicht auf die berühmteste Liebesgeschichte der Welt zufrieden. Sie zeigt Romeo beispielsweise mit mindestens zwei Seelen in seiner Brust. Bei ihr kommt auch der jugendliche Rabauke zum Vorschein. Romeo ist einer, der zwar das Gute will, aber im Affekt seinen Hass auf die verfeindete Familie nicht kontrollieren kann.

    Als sich Romeos Freund Mercutio und Julias Cousin Tybald "in die Wolle kriegen", versucht Romeo erst zu vermitteln. Doch Mercutio wird tödlich getroffen, in blinder Wut bringt der Titelheld Tybald um. Wie blitzschnell können Gefühle umschlagen, wie viel Kraft würde es kosten, die destruktiven Seelenschichten in Schach zu halten! Das Misslingen und die Wucht der Aggression vermittelt die Regie in Magdeburg bestürzend und schockierend. Dabei staunt man auch nicht schlecht, wie eindrücklich und fulminant, noch dazu mit der Musik abgestimmt, die Streithälse fechten. Kompliment an den Choreografen Johannes Wollrab.
    In der Opernadaption spielt die Familienfehde nr eine marginale Rolle
    Insgesamt 32 Personen agieren in Shakespeares Tragödie. Gounod und seine Librettisten Jules Barbier und Michel Carré haben in ihrer Opernadaption das Personal reduziert und sich auf ausgewählte Aspekte des Stoffes konzentriert. Die Familienfehde zwischen den Montagus und Capulets spielt nur eine marginale Rolle. Stattdessen rückt die Vereinigung der Liebenden im Tod ins Zentrum. Bei Shakespeare ist Romeo eigentlich schon tot, wenn Julia aus ihrem vermeintlichen Todesschlaf wiedererwacht. Bühnenwirksam schließt die Oper bei Gounod mit dem letzten von insgesamt vier großen Liebesduetten. Julia stirbt einen bewussten Liebestod, vom "gesegneten Dolch" und der "höchsten, unendlichen Freude" mit Romeo zu sterben ist da die Rede.
    Die Geschichte wird in Magdeburg unprätentiös erzählt
    Ansonsten hält sich Gounod weitest gehend an die Shakespearesche Vorlage. Das Regie-Team in Magdeburg erzählt die Geschichte unprätentiös, aber sehr fantasievoll nach und kombiniert dabei spannungsvoll kontrastierende Elemente. Der meist fast leere, oft dunkle Bühnenraum von Ulrich Schulz lässt in seiner Schlichtheit viel Raum zur Assoziation. Mit wenigen Mitteln werden die Räume variiert. Durchsichtige und gleichzeitig spiegelnde mobile Wände sind mit Leuchtstoffröhren versehen. Je nach Licht suggerieren sie subtil die verschiedenen Stimmungen. Ein ganzer "Wald" von grünen Leuchtstoffröhren bildet im zweiten Akt den Garten der Capulets. Wirkungsvoll auch das Bühnenbild im dritten Akt. Zur heimlichen Trauung von Romeo und Julia durch Pater Lorenzo werden in einem Halbrund auf dem Boden aufgestellte, nach oben gerichtete Lichtkegel durch Spiegel so gelenkt, dass sie im Schnürboden die Form eines Kirchenschiffes bilden.
    Bunt-opulente Fantasie-Kostüme einer virtuos, zu Gounods ja oft tänzerischen Musik choreografierten Gruppe sind zum Teil mit barocken und Renaissance-Elementen ausgestattet. Schwarze und braune Lederkleidung der rivalisierenden Familien erinnert ein wenig an Wildwest.
    Julia lässt Regisseurin Karen Stone als eigenwillige, lebenshungrige, aber auch noch verspielte junge Frau auftreten, sie vertreibt sich die Zeit zum Beispiel auf einer riesigen Schaukel. Dennoch, so scheint es, schlug das Herz der Regisseurin ein wenig mehr für den Titelhelden. Ihn zerreißen seine inneren Konflikte sicher auch stärker als Julia. Raffaela Lintl spielt und singt die Partie ungeheuer authentisch. Ihr facettenreicher und ausdrucksstarker Sopran hat eine faszinierende Flexibilität bei den Koloraturen.
    Coronabedingte Produktionseinschränkungen
    Das Theater Magdeburg geht bei Gounods "Roméo et Juliette" auch fantasievoll mit den coronabedingten Produktionseinschränkungen um. Auf 30 Musiker ist die Orchesterfassung von Daniel Rueda Blanco reduziert, ohne dass man klanglich etwas vermisst. Svetoslav Borisov sorgte am Pult der Magdeburger Philharmonie für eine gute Balance. Minimale Ungenauigkeiten in der Koordination mit der Bühne taten der musikalischen Kurzweil keinen Abbruch.

    Der Chor singt als mahnende, kommentierende Stimme wie ein Geist aus dem Off. Zu den exzellent besetzten Hauptpartien mit Arthur Espiritu und Raffaela Lintl konnten sich in den Nebenpartien besonders der sonor-kernige Bass Johannes Stermann als Pater Lorenzo und Karina Repova als Page Stéphano profilieren. Im Ganzen lässt das Theater Magdeburg bei Gounods "Roméo et Juliette" mit dem abstrakten und sparsamen Bühnenbild viel Raum für und Konzentration auf die Musik und bietet so sympathisch "unverschnörkeltes" Musiktheater.