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Charlie Chaplins Gesamtwerk auf der Leinwand

Das Stummfilmfestival "Chaplin Complete" in Berlin ist allein dem Meister gewidmet, die Macher wollen ihn auf die Leinwand bringen, damit gemeinsam gelacht werden kann. Und dieses Konzept kommt an.

Von Jörg Taszmann |
    Auch fast siebzig Jahre nach seiner Erstaufführung bringt Charlie Chaplin als Diktator Hynkel das Publikum zum Lachen. Auf einer Großleinwand gleich neben dem Hotel Adlon, indem Charlie Chaplin 1931 logierte, versammelte sich ein internationales Publikum und feierte trotz technischer Pannen dieses zeitlose Meisterwerk. Chaplins Tochter Géraldine war ebenfalls zur Eröffnung Mitte Juli nach Berlin gekommen und fand die Idee großartig:

    "Das ist ein wunderbares Gefühl. Allein der Fakt, dass am Brandenburger Tor nun der Triumph des Friedens über Waffen stattfindet, und ausgerechnet "Der große Diktator" gezeigt wird. Damals war mein Vater ja das letzte Mal der "kleine Tramp". Diese Figur verkörperte ja die Unbesiegbarkeit des Geistes. Mein Vater hat sich immer so für den Frieden eingesetzt. Und nun läuft dieser Film an diesem Ort und ich werde dabei sein. Ich habe das Gefühl, Geschichte zu erleben."


    Die Macher von "Chaplin Complete" sind der Kinoleiter des Babylons in Berlin-Mitte, Timothy Großman, und der Kurator der Filmreihe, Friedemann Beyer. Zu den meisten Abendvorstellungen lieferte Beyer kurze, fundierte Einführungen. Für ihn ging es bei dieser Retrospektive vor allem um das Gemeinschaftserlebnis:

    "Zu sehen bekommt man diese Filme fast alle. Es gibt sie ja auf DVD, auch häufig im Fernsehen. Aber man bekommt diese Filme fast gar nicht mehr dort zu sehen, wo sie eigentlich hingehören, nämlich im Kino. Uns war es wichtig, dass wir diese Filme wieder zurück ins Kino bringen und dort das ermöglichen, was den Reiz dieser Filme auch ausmacht, nämlich das gemeinsame Lachen."


    Vor allem die Vorstellungen der Stummfilme mit Liveorchester, aber auch die Kurzfilmprogramme mit Klavierbegleitung, waren ausverkauft. Besonders nachgefragt waren "Moderne Zeiten", "Lichter der Großstadt" und immer wieder "Der große Diktator". Aber auch sein einziges Melodrama von 1923, ein Film, in dem Chaplin nicht auftrat: "Die Nächte einer schönen Frau" - im Original "A Woman of Paris" - war gut besucht. Dieser Erfolg war so nicht unbedingt vorauszusehen, denn im Vorfeld hagelte es auch Vorwürfe aus rein formalen Gründen. Nicht alle Filme wurden ausschließlich auf 35 Millimeter projiziert, sondern auch digital. Vor allem dann, wenn es keine guten Filmkopien mehr gab oder die Filme mit deutschen Untertiteln gezeigt wurden. Das rief Kritiker auf den Plan, was Timothy Großman ärgerte. Er reagierte nicht immer besonnen.

    "Wir machen hier was für die ganze Familie. Es gibt etwas zu lachen. Es ist nicht platt. Es gibt auch Tiefe. Und die Diskussion, die nehm' ich nicht an. Die soll woanders geführt werden. Meinetwegen in einem großen europäischen Filmfonds, um dort Filme zu restaurieren. Das ist nicht unsere Diskussion. Unsere Diskussion ist eine Leinwand, ein großer Saal, Orchester und tolle Pianisten. Darauf sollte man sich einfach einmal einlassen. Ja. Punkt."

    Sah man sich die digitalen Kopien vor allem der etwa 70 Kurzfilme zwischen 1914 und 1920 an, ließen sich qualitativ keine Unterschiede zur Projektion von 35-Millimeter-Kopien feststellen. Die Einwände gegen digitale Projektionen erwiesen sich so im Nachhinein als übertrieben und eilfertig. Letztendlich muss man die Macher von Chaplin Complete beglückwünschen. Mitten im Sommerloch haben sie in Berlin ein kulturelles und populäres Spektakel für ein breites und sehr zufriedenes Publikum geschaffen. Die Filme liefen nur im Original oder mit deutschen Untertiteln, sodass auch viele internationale Gäste kamen, insgesamt etwa 10.000 Zuschauer. Chaplin lebt immer noch auf der großen Leinwand.