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"Charlie Hebdo"-Attentat
"Doch, irgendwo hat es was mit Islam zu tun"

Die meisten Muslime seien friedlich, aber nicht, weil der Koran nur friedlich sei, sagte die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur im DLF. "Sondern weil Menschen Gott sei Dank dazu neigen, ihre Religion gar nicht wörtlich zu nehmen." Nach den Anschlägen von Paris gehe es darum, Stellung zu beziehen.

Katajun Amirpur im Gespräch mit Beatrix Novy | 10.01.2015
    Eine Frau hält ein Poster mit einer Solidaritätsbekundung für "Charlie Hebdo" hoch
    Wenn Menschen das im Namen des Islams tun, können wir nicht einfach sagen: Geht uns nichts an. (AFP / Frederick Florin)
    Beatrix Novy: Heute (Samstag) fand im Islamischen Zentrum Hamburg eine Tagung statt mit dem Titel "Extremismus als islamische und gesellschaftliche Herausforderung". Organisiert vom Schura Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg. Die Fragestellung: Wie sollen sich Muslime verhalten in der Zange zwischen zwei extremistischen Bewegungen, dem glaubensverwandten IS, dem "Islamischem Staat", und anti-islamischen Pauschalhetzern. Teilgenommen hat die Islamwissenschaftlerin und stellvertretende Direktorin der Akademie der Weltreligionen an der Uni Hamburg, Katajun Amirpur. Ihr Thema war: "Muslime in Deutschland zwischen Distanzierung und Generalverdacht." Nun ist über diese Tagung die Realität aus Frankreich hereingebrochen; sie war ja lange vorher geplant. In welcher Form das auf die Teilnehmer gewirkt hat, das habe ich Katajun Amirpur gefragt.
    Katajun Amirpur: Ja, und es kam dann eine Frage aus dem Publikum: Ist es Konsens, dass man sich Karikaturen, dass man sich solche Karikaturen antun muss, dass es sie geben muss? Ich habe dann darauf erwidert und sagte: Ich weiß nicht, ob das unbedingt Konsens ist, dass man solche Karikaturen braucht, aber jetzt inzwischen wahrscheinlich schon. Jetzt inzwischen schauen sich lieber alle Muslime solche Karikaturen an, als dass man irgendwie zulässt, dass das im Namen der Religion passiert oder dass so was geschehen kann. Und da sind dann auch ganz viele aufgestanden und haben gesagt: Ja, das ist Konsens.
    Es ist ja nun mal so, dass solche Anschläge wie auf Charlie Hebdo eine Steilvorlage liefern für Leute, die sagen, Islam gehört nicht zu Deutschland. Da kann man ja nicht einfach sagen: Interessiert uns alles nicht oder hat mit Islam nichts zu tun. Da muss man sich schon deutlich positionieren und sagen: Doch, irgendwo hat es was mit Islam zu tun. Wenn Menschen das im Namen des Islams tun, dann können wir nicht einfach sagen: Geht uns nichts an, sondern wir müssen Stellung beziehen. Aber ich denke, das wird jetzt auch in Zukunft noch mal stärker passieren, weil natürlich gerade Muslime sehr stolz sind auf die Errungenschaften dieses Landes, auf das, warum sie hier in Frieden und Freiheit leben können, und das möchten sie sich ja erhalten, das möchten sie nicht aufgeben.
    Novy: Ein Thema, um das es ging, war der Salafismus. Kam da auch zum Ausdruck, Stichwort Ursachen, dass es eine Aufschaukelbewegung gibt in der Diskussion, die in den letzten Jahren in den westlichen Ländern läuft, zu der vielleicht dann auch als ein Extrem der Salafismus gehört?
    Amirpur: Na ja, schon, auf jeden Fall! Und ich befürchte ja leider, dass das letztlich das Kalkül der Attentäter oder der Hintermänner dieser Attentäter in Paris war. Es ging ihnen ja vermutlich nicht wirklich um diese Karikaturen, sondern es ging ihnen darum, noch einen größeren Keil zu treiben zwischen die aufnehmende Gesellschaft und die Immigrierenden, und das haben sie ja wunderbar geschafft.
    Novy: Aber vielleicht ist man da doch ein bisschen zu pessimistisch, was die breite Mitte betrifft. Wir haben in den letzten Tagen sehr, sehr oft gehört, die Mehrheit der Muslime ist friedlich, und das ist ja auch klar, was denn sonst. Der Satz, der dann aber auch oft folgt: Der Koran habe mit Gewalt ja gar nichts zu tun. Da frage ich mich immer, ob solche Beschönigungen nicht unproduktiv sind. Die meisten Muslime sind friedlich, aber nicht, weil der Koran nur friedlich ist, sondern weil Menschen Gott sei Dank dazu neigen, ihre Religion gar nicht wörtlich zu nehmen. Das ist eine allgemeine kulturelle Erfahrung.
    Amirpur: Das liegt aber nicht nur an den Muslimen, die sich dann - so klingt das gerade im Moment in Ihrem Satz - quasi abgewandt haben von ihrer Schrift. Sondern es liegt ganz und gar daran, …
    Novy: Nein, sondern dass man sie anders liest.
    Amirpur: Ja, dass eine islamische Theologie das schon immer kontextualisiert und schon immer historisiert hat und dass man natürlich nicht hingehen kann und Passagen, die zur Gewalt aufrufen im Koran, einfach so wörtlich verstehen kann. Das tut aber nun mal auch leider der islamische Staat, mit ihm auch sehr viele Islam-Kritiker, die dann immer gerne mit den Suren Pingpong spielen und sagen, das steht da aber doch so. Aber das lässt natürlich völlig außer Acht, dass es eine islamische Theologie, eine islamische Gelehrsamkeit gibt, und zwar nicht erst seit heute, sondern seit dem 7. Jahrhundert, die so etwas schon immer in einen Kontext gesetzt hat und gesagt hat, diesen Vers und diese Sure haben wir so und so zu verstehen, weil das damals in dem Kontext so war. Und wir müssen es aber natürlich nicht wörtlich nehmen, wenn da steht, "und bekämpft alle Ungläubigen, bis alle vom Islam überzeugt sind", sondern das betraf eine bestimmte Gruppe zu einer ganz bestimmten Zeit. Und das ist der Auftrag an Muslime heute, zu sagen, was ist denn die dahinter stehende Botschaft.
    Novy: Es geht in der Tagung um Salafismus, um die Ursachen, aber auch um die Gegenstrategien.
    Amirpur: Es wird sehr stark diskutiert auf dieser Konferenz, was man für Gegenstrategien entwickeln kann, und was wir eben zum Beispiel besprochen haben ist: Wenn man als junger Muslim Fragen hat an die eigene Religion, zum Beispiel vier Rechtsschulen - es gibt vier Rechtsschulen im Islam. Das geben Sie ein bei Google und dann fliegen Ihnen ein, zwei, drei, vier, fünf Antworten entgegen. Die stammen alle von Pierre Vogel. Das ist ein Konvertit, ein salafistischer Prediger, der zwar nicht zur Gewalt aufruft direkt, aber latent eben schon, der die Leute quasi anfixt, damit sie in solche salafistischen Kreise reinkommen, und der zum Beispiel auch schon mal auf öffentlichen Veranstaltungen für Spenden wirbt für den sogenannten Islamischen Staat. Und das sind die einzigen Antworten, die diese Jugendlichen bekommen. Das ist natürlich eine wahnsinnig große Gefahr - und da müssen wir irgendwie gegensteuern. Wir müssen irgendetwas tun, damit mehr seriöse differenzierte, gute, in der Tradition verankerte Antworten aus islamischer Perspektive kommen für solche Jugendliche …
    Novy: Die dann auch von Google an die erste Stelle gesetzt werden?
    Amirpur: Ja, das wäre schön. Wie wir das schaffen, weiß ich allerdings noch nicht, aber das wäre zumindest der Auftrag, dass wir einfach auch Islam allgemein verständlicher erklären, so dass wir das Feld nicht solchen Predigern überlassen.
    Novy: Wir suchen also ein vernünftiges, aber attraktives Islam-Modell für junge Männer, die leicht zum Extremismus neigen - das war Katajun Amirpur.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.