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Charta
Die Uni entdeckt die Familie

In Hannover haben 47 Universitäten und Hochschulen die Charta "Familie in der Hochschule" unterzeichnet. Die Organisatoren hoffen, dass bald noch weitere der mehr als 400 deutschen Hochschulen und Universitäten ins familienfreundliche Boot geholt werden können.

Von Michael Engel | 27.05.2014
    Eine Frau spricht mit ihren Kindern
    Die Charta "Familie in der Hochschule" soll zum Beispiel den Wiedereinstieg nach Familienzeiten vereinfachen. (dpa / picture-alliance / Jan-Philipp Strobel)
    "Wir, die unterzeichnenden Institutionen, verpflichten uns zu den in dieser Charta festgelegten Standards für die Vereinbarkeit von Familienaufgaben mit Studium, Lehre, Forschung und wissenschaftsbezogenen Tätigkeiten."
    So beginnt die Charta "Familie in der Hochschule", die gestern in Hannover von 47 deutschen Universitäten und Hochschulen unterzeichnet wurde. Damit wurden sie automatisch auch Mitglied im sogenannten "Best Practice Club", der nun einmal im Jahr tagt, um sich in Fragen der Familienorientierung und der Entwicklung neuer Modelle auszutauschen. Der Anfang ist gemacht, freuen sich die Organisatoren.
    Vereinbarkeit von Familie und Forschung!
    Familienfreundliche Studienbedingungen!
    Beruflicher Wiedereinstieg nach Familienzeiten!
    Gesundheitsfördernde Maßnahmen!
    Sachmittel und Räume für familienorientierte Infrastruktur!
    Die Charta "Familie in der Hochschule" benennt eine ganze Reihe von Maßnahmen hin zu mehr Familienorientierung und Wertschätzung. Schöne Worte, die aber nicht nur auf dem Papier stehen sollen, betont Prof. Frank Ziegele, Geschäftsführer des Gemeinnützigen Zentrums für Hochschulentwicklung.
    "Die Charta, wenn sie denn nun veröffentlicht, kommuniziert, transparent ist, ermöglicht es den Betroffenen, das, was da steht, auch einzufordern. Das ist eine ganz wichtige Funktion dieser Charta, weil wenn dann eben eine Hochschulleitung nicht familienorientiert handelt und nicht so entscheidet, dann haben die Leute in der Hochschule die Möglichkeit zu sagen: Was habt ihr da eigentlich unterschrieben? Das kann doch nicht sein? Und das ist eine ganz entscheidende Funktion dieses Dokumentes, die Einforderbarkeit der Grundsätze, die da drinstehen!"
    Möglicherweise ist das aber auch der Grund dafür, warum nur 47 der mehr als 400 Universitäten und Hochschulen in Deutschland die Charta "Familie in der Hochschule" gestern Abend in Hannover unterzeichnet haben. Der Anfang ist gemacht. Nach Ansicht von Uta Meier-Gräwe, Professorin für Wirtschaftslehre des Privathaushaltes und Familienwissenschaft der Uni Gießen, wird die Familienfreundlichkeit einer Hochschule von zentraler Bedeutung sein:
    "Wir haben seit vielen Jahren eine abnehmende Zahl von Kindern in dieser Gesellschaft, und es wird nicht mehr lange dauern, dass Hochschulen um Studenten ringen werden. Also insofern sind die alle gut beraten, sozusagen vorausschauend das erstmal jetzt für ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu machen, auch für Professorinnen und Professoren, aber natürlich auch für Studierende mit Kind. Denn das wird die große Frage sein: Die Leute werden sich das demnächst aussuchen können, was wir uns heute noch gar nicht vorstellen können, wird in fünf Jahren ein riesengroßes Thema sein."
    Die Situation für Familien ist schlecht - der Handlungsbedarf an den Hochschulen enorm: 80 Prozent der Wissenschaftlerinnen, die Karriere machen wollen, entscheiden sich gegen Kinder, weil sie um die Zukunft fürchten. Für Studierende mit Kindern fehlt es vielerorts an individuellen Lösungen für die Studien- und Prüfungsorganisation, weiß Dr. Matthias Schwarzkopf – Programmkoordinator "Best Practice-Club Familie in der Hochschule" aus Jena.
    "Wo knirscht es? Das beginnt schon allein, wenn Sie studieren. Und wenn Sie Bachelor-Master-Formate haben, die nicht Teilzeit geeignet ist. Dann knirscht es automatisch. Deswegen haben wir im Club Modelle entwickelt, wo die Studienformate Teilzeit geeignet sind. Das knirscht, wenn Sie in den Ferien keine Kinderbetreuung bekommen – in den Schulferien. Oder so etwas wie Brückentage. Deswegen haben wir flexible Betreuungstage auch in den Ferien entwickelt."
    Einmal im Jahr wollen sich die Hochschulen treffen, um sich abzustimmen und auf neue Herausforderungen zu reagieren. Dass es nur 47 der mehr als 400 Hochschulen in Deutschland sind, die sich aktuell mit der Unterzeichnung der Charta für Familienfreundlichkeit verpflichtet haben, stimmt die Organisatoren trotzdem optimistisch. Es hätten auch viel weniger sein können! Dabei gibt es noch viel zu tun. Das finden auch die Eltern. Stimmen aus der Hochschulkita in Hannover:
    Umfrage unter Eltern
    Vater, junger Professor: "Na, es wäre schön, wenn es mehr Plätze gäbe. Ich erinnere mich daran, dass wir lange gestrampelt haben, bis wir einen Platz gefunden haben. Ich kann mir vorstellen, dass es für Studenten schwieriger ist."
    Mutter, Mitarbeiterin im Dekanat: "Also hier in Hannover bin ich sehr zufrieden. Ich habe viele Kollegen an anderen Standorten, die keine Uni-Kita haben. Und nur Kita-Angebote, die sich dann wenig nach den Arbeitszeiten richten.
    Vater, indischer Akzent: "Auch mit Stellen, muss ich sagen: Es gibt in der Wissenschaft viele kurzfristige Stellen. Das ist auch nicht so bequem für Leute, die Familie haben. Und in Deutschland ist es besonders schwer."