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Charta statt Quote

Die französische Regierung bereitet eine umfangreiche Reform des Hochschulwesens vor. Ein Ziel ist die Stärkung der Chancengleichheit für Frauen. Zur Umsetzung hat das Pariser Ministerium für Hochschule und Forschung eine Charta verfasst.

Von Suzanne Krause | 25.02.2013
    Die Mehrzahl der Studierenden in Frankreich sind heute Studentinnen. Doch bei Lehre und Forschung sind Frauen noch in der Minderzahl. Generell gesehen sind 42 Prozent der Dozenten weiblichen Geschlechts. Aber nur knapp jeder vierte Professor ist eine Professorin. Immerhin ist es besser als in Deutschland, dort ist es gerade mal jede Fünfte.

    Die Charta sei ein Riesenschritt voran zur Gleichstellung, sagt Agnès Netter. Netter leitet die Mission "Parität und Kampf gegen Diskriminierungen" beim Ministerium für Hochschule und Forschung.

    "Zu den Charta-Prinzipien zählen: Alle Einrichtungen für Lehre und Forschung sollen Gleichstellungsbeauftragte berufen. Um über das Thema zu kommunizieren, sollen Instrumente eingesetzt werden, die weder sexistisch noch diskriminierend noch stereotyp sind. Wir brauchen Geschlechterstatistiken, um die aktuelle Lage zu beschreiben und künftig Entwicklungen aufzuzeigen. Studenten und Personal sollen für das Thema Gleichstellung sensibilisiert werden. Und ebenso propagieren wir Vorbeugeaktionen gegen jede Form von Gewalt und sexueller Belästigung an Lehr- und Forschungseinrichtungen."

    Viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen verfügen schon lange über Gleichstellungsbeauftragte, eigene Programme. Doch die neue Charta bündelt alles bisher Dagewesene, sagt Evelyne d’Auzac, Präsidentin des AFFDU, des französischen Vereins für Frauen mit Universitätsabschluss.

    "Für mein Empfinden geht die neue Charta sehr weit. Denn sie enthält alle Elemente, die man heutzutage in Betracht ziehen kann, um die Stellung der Frauen in unserer Gesellschaft zu verbessern. "

    Deutschland stützt sich seit 2007 vor allem auf das sogenannte Professorinnenprogramm, um mehr Frauen in Lehre und Forschung zu bringen: Hochschulen mit ansprechendem Gleichstellungskonzept erhalten Gelder für die Anstellung von Professorinnen. Frankreich hingegen setzt auf Bewusstseinsbildung. So sollen in allen Disziplinen demnächst Genderstudien gestartet werden.

    In den Human- und Sozialwissenschaften ist das weibliche Geschlecht dem männlichen fast gleichgestellt. Anders sieht es bei den Naturwissenschaften aus, sagt Anne Négre, Vizepräsidentin des Internationalen Vereins der Frauen mit Universitätsabschluss.

    "Seit zwanzig Jahren hat sich die Zahl der Mathematikprofessorinnen in Frankreich nicht verändert: Sie liegt bei gerade mal zehn Prozent. Das ist wie eine Ohrfeige. "

    Würde es im bisherigen Tempo weitergehen, wäre im Jahr 2027 jeder zweite Dozent eine Dozentin. Und erst 2068 jeder zweite Professor eine Professorin. Dass vielen Frauen noch der Mut zu einer wissenschaftlichen Karriere fehlt, liegt unter anderem an noch weithin verbreiteten traditionellen Geschlechterstereotypen, sagt Anne Négre.

    "Was sehr langfristig etwas ändern kann, ist, ab der Vorschule im Unterricht schon gegen Genderstereotype vorzugehen. Allerdings nutzt das den Frauen, die heute eine Karriere in Forschung und Lehre anstreben, wenig. "

    Der erste Schritt ist getan: Ab dem kommenden Schuljahr will das Erziehungsministerium gegen Geschlechterstereotype vorgehen. Dafür sollen die Schulbücher entsprechend überarbeitet, die Lehrer für Genderfragen sensibilisiert werden.

    Lange kämpften die Frauen dafür, an der Universität studieren zu dürfen. Nun kämpfen sie dafür, an der Hochschule lehren zu können. Der politische Wind ist günstig: Sem sozialistischen Staatspräsidenten François Hollande ist die Gleichstellung der Französinnen in allen gesellschaftlichen Bereichen ein wichtiges Anliegen.