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Checkliste gegen Kunstfehler

Ärztliche Kunstfehler – ein Thema, über das Mediziner nicht unbedingt gerne sprechen. Aber manchmal kommt es eben doch vor, dass ein Patient an der falschen Seite operiert oder ein Tupfer in der Wunde vergessen wird. Um solche Fehler zu vermeiden, hat die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie eine Checkliste entwickelt.

Von Frank Grotelüschen | 02.02.2010
    Hoch konzentriert steht das Team im OP: der Chirurg, die Anästhesistin, der Assistenzarzt, die Schwestern. Eine Nierentransplantation, ein schwerer Eingriff zwar, doch für die Mediziner mehr oder weniger Routine. Trotzdem: Ab und zu, wenn auch sehr selten, unterlaufen den OP-Teams Fehler – zum Teil schwerwiegende Fehler:

    "Die falsche Seite. Der falsche Patient. Die falsche Operation."

    Oder auch Fremdkörper wie Tupfer oder Scheren, die die Chirurgen in der Wunde des Patienten vergessen, sagt Prof. Claus Dieter Heidecke von der Klinik und Poliklinik für Chirurgie der Uni Greifswald. Bei durchschnittlich einem von 113.000 Eingriffen passieren ärztliche Kunstfehler, ergab vor einiger Zeit eine Studie. Die Dunkelziffer, vermuten Experten, dürfte um einiges höher liegen. Die Pannen im OP haben viele Gründe, zum Beispiel:

    "Sie haben ständig wechselnde Teams. Und sie können sich heutzutage nicht mehr unbedingt hundertprozentig darauf verlassen: Das, was ich heute sage, gilt auch noch morgen, weil plötzlich ganz andere Köpfe da sind. Das ist ein Problem"," sagt Claus Dieter Heidecke – und fordert deshalb:

    ""Wir haben ja einen hohen Sicherheitsstandard. Aber es kann eben noch besser werden."

    Bislang kümmerte sich im Wesentlichen jede Klinik selbst darum, wie sich Fehler im OP vermeiden lassen. Ein internationaler Standard fehlte. Genau das hat die Weltgesundheitsorganisation WHO im Sommer 2008 dazu bewogen, eine Sicherheits-Checkliste zu erarbeiten – eine Liste, die das OP-Team unmittelbar vor dem Eingriff im OP abhaken soll.

    "Da guckt man nach: Ist die entsprechende Seite markiert? Ist der Patient der richtige? Guckt, ob alle Instrumente da sind, und dann geht es erst los. Und hinterher guckt man noch mal: Sind alle Instrumente vollständig, Tupfer, Bauchtücher komplett? Haben wir alles adäquat dokumentiert?"

    Solange die Punkte nicht abgehakt sind, darf der Patient nicht operiert werden. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass Patienten verwechselt oder an der falschen Stelle operiert werden. Nur: Die WHO-Checkliste ist eine reine Empfehlung. Manche Krankenhausketten schreiben sie zwar mittlerweile vor. Andere aber überlassen es ihren Kliniken, ob sie die Liste einsetzen oder nicht, sagt Heidecke.

    Um die Sicherheit weiter zu steigern, hat die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie die WHO-Liste jetzt um ein weiteres Element ergänzt: Damit greift die Checkliste schon früher, am Tag vor der OP. Zum Beispiel checken die Mediziner, ob der Patient die Einverständniserklärung tatsächlich unterschrieben hat und ob eine Patientenverfügung vorliegt. Außerdem sollen die Ärzte jene Stellen auf der Haut einzeichnen, an denen der Chirurg später schneiden soll – und zwar mit einem nicht abwaschbaren Filzmarker. In seiner Klinik praktiziert das Claus Dieter Heidecke schon seit einiger Zeit – mit bislang guten Erfahrungen:

    "Wir haben in Greifswald festgelegt, dass der Patient vorneweg nicht nur markiert sein muss, sondern dass auch die Schnittführung eingezeichnet wird. Nicht nur, damit wir wissen, was wir machen sollen, und die richtige Seite operieren. Sondern damit der Patient auch wirklich noch mal die Möglichkeit hat, das zu reflektieren, und Fragen stellen kann. Das war eine extrem vertrauensbildende Maßnahme, die zunächst auf Unverständnis gestoßen ist. Denn natürlich sagt der Patient: Was ist denn das für ein Klinikum? Die zeichnen mich hier an – wissen die denn gar nicht, was die machen? Aber wenn man es erklärt, ist das eine extrem vertrauensbildende Maßnahme."

    Aber: Das Abarbeiten der Sicherheits-Checklisten kostet natürlich ein paar Minuten – und damit bares Geld. Bei einer größeren Klinik kommen pro Jahr schnell 100.000 Euro zusammen, schätzt Heidecke.

    "Auf der anderen Seite vermeidet es auch Schäden. Da wird ein Prozess einsetzen, der sicherlich eine Weile dauert, um dann umgesetzt werden. Aber die Krankenhausversicherer, denke ich, werden ein Augenmerk drauf werfen: Wer macht das, und wer macht das nicht? Es wird sich irgendwann anhand der Versicherungsprämien so darstellen, dass nur die, die diese Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt haben, profitieren werden."

    Am Ende also könnte ein ökonomisches Argument den Ausschlag dafür geben, das Geschehen im OP-Saal künftig noch sicherer zu machen.