Ernesto Che Guevara in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung in New York, Dezember 1964. Wenig später war er in Afrika, um auf einer dreimonatigen Reise für die Einheit der antiimperialistischen Bewegung zu werben und eine geheime Mission zur Unterstützung der kongolesischen Rebellen vorzubereiten. Er musste zwar fast überall feststellen:
" dass von revolutionärem Elan wenig zu spüren war. "
Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, eine Gruppe von kubanischen Guerilleros mit schwarzer Hautfarbe für ein solches Unternehmen ausbilden zu lassen. Ende April 1965 begann ihr Einsatz. Es sollte eine der deprimierendsten Erfahrungen für Che Guevara werden:
" die Geschichte eines Scheiterns "
wie er später in seinem Rechenschaftsbericht schrieb. Das könnte auch als Motto über den letzten Jahren seines Lebens stehen. Denn der Versuch, in Bolivien 1966/67 die Revolution zu entfachen, endete mit seinem Tod.
" Jene, die wie damals in Kuba, in Playa Girón sterben, werden für die wirkliche und unverzichtbare Unabhängigkeit sterben. "
Che Guevara starb als Besiegter, der nur in Kuba zur Unabhängigkeit beitragen konnte. Seine internationalen Versuche:
" ein, zwei, drei Vietnam zu schaffen, "
- in Amerika und Afrika revolutionäre Brandherde zu legen, waren von vornherein zum Schiffbruch verurteilt, denn er schätzte die Voraussetzungen und die Schwierigkeiten falsch ein. Das zeigen Waltraud Hagen und Peter Jacobs in ihrer kaum 200-seitigen Chronik ungeschminkt. Sie verweisen aber auch auf den deprimierenden Mangel an Organisationsfähigkeit auf Seiten der Kongolesen und natürlich auf den Verrat in Bolivien. Das alles sind keine neuen Erkenntnisse.
Das Bemerkenswerte an diesem Band liegt in seiner knappen Form und in der differenzierten Darstellung. Sie überrascht, weil das Buch in der Berliner Eulenspiegel Verlagsgruppe erschienen ist, die bei ihrer Aufarbeitung staatssozialistischer Geschichte eher zur Glorifizierung als zur Differenzierung neigt. Aber Ernesto Che Guevara war schon damals, in den sechziger Jahren, ein umstrittener Zeitgenosse, zumindest bei den Genossen in der DDR und in der Sowjetunion. Seine Projekte als Bankdirektor und Industrieminister konnten nicht gelingen, weil ein Pragmatiker und kein Idealist wie er vonnöten war. Seine Maximen:
" Diskutieren und Erklärungen für alles Unklare verlangen. Der Bürokratie den Krieg erklären und zwar jeder Art von Bürokratie. Allen neuen Erfahrungen stets offen sein und so an der großen Erfahrung der Menschheit teilnehmen, dem seit vielen Jahren herrschenden Sozialismus, den wir hier unter den konkreten Bedingungen unseres Landes verwirklichen wollen. "
Che Guevara hat mit äußerster Konsequenz gehandelt - ohne Rücksicht auf die eigene, seit der Kindheit schwer angeschlagene Gesundheit und ohne Rücksicht auf die vorhandenen Möglichkeiten. Sein Projekt als Industrieminister, in Kuba rasch eine Schwerindustrie aufzubauen, bremsten die Sowjets: Wo sollten die Rohstoffe herkommen? Sein Wunsch, stattdessen an der Küste riesige Werften zu errichten, fand in der DDR kein Gefallen. Die Bruderländer gingen immer mehr auf Distanz, weil der Weltrevolutionär von ihnen verlangte:
" Die Entwicklung der Länder, die jetzt den Weg der Befreiung einschlagen, muss von den sozialistischen Ländern getragen werden. Die Waffen dürfen in unserer Welt keine Handelsware sein, sie müssen kostenfrei und in den genügenden - und möglichen - Mengen an die Völker geliefert werden, die sie erbitten. "
Er griff auch gleich noch die Wirtschaftsbeziehungen der sozialistischen Länder zur Dritten Welt an und unterstellte ihnen:
" dass sie sich in gewisser Weise zu Komplizen der imperialistischen Ausbeutung machen. "
Dabei war es Che Guevara, der Fidel Castro anfangs auf den Weg zum Sozialismus drängte, der zusammen mit dessen Bruder Raúl die Verbindung zur Sowjetunion förderte und der die Kommunistische Partei Kubas schon früh in den Aufbau des Machtsystems einbezog. Das widerspricht allerdings einer Behauptung der Autoren:
" Alle führenden Revolutionäre bekannten sich zur Demokratie. "
Sie bekannten sich zu einem neuen Grundgesetz mit demokratischen Grundzügen, das die 1959 noch relativ pluralistisch zusammengesetzte Regierung auch erließ. Aber danach war von Demokratie nach westlichem Verständnis nichts mehr zu hören. Die ersten allgemeinen Wahlen fanden 1977 statt, fast 20 Jahre später. Guevara zeigte sich früh als Dogmatiker, als Vertreter der reinen sozialistischen Lehre, während Castro damals der Pragmatiker blieb. Er war der Chefideologe der Revolution, der dem 'Comandante en jefe' den marxistischen Weg wies. Er war aber auch:
" der erste Tugendwächter, der große Moralist der Revolution, "
wie die Autoren schreiben.
" Nie wird er akzeptieren, dass aus der Beteiligung am Aufstand persönliche Ansprüche abgeleitet werden, dass auch Mitglieder revolutionärer Organisationen sich um einträgliche Posten reißen. "
Che Guevara hat immer wieder alle Privilegien, die andere 'comandantes' der Revolution wie selbstverständlich in Anspruch nahmen, abgelehnt. Er war ein Purist, streng mit sich selbst und unduldsam gegen andere.
" Jakobiner der Kubanischen Revolution, "
so bezeichnen ihn treffend Waltraud Hagen und Peter Jacobs. Sie räumen auch gleich noch mit dem in den Medien immer wieder auftauchenden Vorwurf auf, er sei ein 'Massenmörder' gewesen, weil in den ersten Monaten Tausende von Batista-Anhängern hingerichtet worden seien. Richtig ist, dass in der Festung La Cabaña, die Che Guevara 1959 kommandierte, zwei Tribunale tagten, eines für Uniformierte, das andere für Zivilisten.
" Che selbst leitet die Berufungsinstanz. An den Prozessen nimmt er nicht teil. Aber als verantwortlicher Comandante hat er das letzte Wort. Er prüft die Anklage, die Beweise und die Urteile. Meistens bestätigt er die Entscheidungen. Borrego, der Gerichtspräsident, berichtet: "Niemand wurde erschossen, weil er einen Gefangenen geschlagen hatte, aber bei Fällen von extremer Folter, Mord oder Totschlag gab es nur das Todesurteil." In den ersten vier Monaten seit dem Sieg der Revolution werden in Kuba etwa 550 Hinrichtungen vollzogen. "
Leider verzichten die Autoren darauf, Che Guevaras Rolle bei den Säuberungen des Kulturapparats zu beleuchten, wie z.B. die Verfolgung jener Künstler und Intellektuellen, die die Revolution anfangs begrüßten, sich aber nicht vereinnahmen lassen wollten. Stattdessen würdigen sie seine Beziehung zu Fidel Castro ausführlich.
" Nur einer kann der Caudillo sein: Fidel Castro, der Máximo Líder, der große Führer, der Volkstribun, der Draufgänger. Auf der anderen Seite der Gerechtigkeitsphilosoph, der Durchhalter, dem der Umgang mit der Macht eher Skrupel bereitet, der das moralische Prinzip bis zur Selbstzerstörung zu exerzieren bereit ist. "
Als dem Industrieminister Guevara immer mehr Zuständigkeiten entzogen wurden, weil die Wirtschaft nicht funktionierte und die Korruption um sich griff, entschloss er sich, im Ausland sein Projekt der Revolution zu verwirklichen. Wahrscheinlich - so meinen die Autoren - ist auch der Druck aus Moskau auf Castro, den unbotmäßigen Revolutionär aus der ersten Linie zurückzuziehen, zu groß geworden. Andererseits ließ sich seine Utopie eines 'neuen Menschen' im revolutionären Alltag nicht realisieren. Ein tiefer gehendes Zerwürfnis zwischen den beiden 'comandantes' ist nicht belegt.
" Er war jedenfalls kein Machtrivale Castros, wohl aber ein Störfaktor auf dem politischen Parkett bei den pragmatischen Entscheidungen, die Castro zur Sicherung Kubas und seiner Revolution für notwendig hielt... Ches moralischer Fundamentalismus könnte die innere Balance kippen und mühsam geknüpfte äußere Netzwerke zerreißen. "
Waltraud Hagen und Peter Jacobs versuchen nicht, den Mythos Guevara in die Zukunft zu retten, sondern sie holen einmal mehr die oft verklärte Gestalt vom Sockel. Von ihm bleibt das Beispiel des unerschütterlichen Kämpfers für die soziale Gerechtigkeit, der Traum von der Veränderbarkeit der Welt.
Peter B. Schumann über "Ernesto Che Guevara. Eine Chronik" von Waltraud Hagen und Peter Jacobs, Verlag Neues Leben, Berlin 2007, 12.90 Euro.
An der Seite von Che Guevara kämpfte und fiel in Bolivien eine junge Revolutionärin aus der DDR, die einst in Stalinstadt die Schulbank drückte: Tamara Bunke - Tania la Guerrillera. Der Kubaner Ulises Estrada hat ein Buch geschrieben über seine Kampf- und Lebensgefährtin, das interessante Einblicke bietet in jene "geheime Mission" in Bolivien, die mit dem Tod Che Guevaras ihr Ende fand: Ulises Estrada: Tania. Undercover mit Che Guevara in Bolivien, Atlantik Verlag, Bremen 2007, 20.00 Euro. Prädikat: lesenswert.