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Chemie aus dem Meer

Das Meer als unerschöpfliche Heilquelle - für Wissenschaftler längst nichts Neues; Algen und Meerestiere bergen eine Vielzahl unerforschter Stoffe, von denen sich die Forschung viel verspricht. In Schwämmen, Moostieren oder Bakterien könnte der Schlüssel zur Heilbarkeit vieler Krankheiten liegen. Auf einer Tagung in Büsum haben sich Fachleute mit den Möglichkeiten der Chemie aus dem Meer beschäftigt.

Von Annette Eversberg |
    Das Reservoir an Wirkstoffen aus dem Meer ist enorm. Denn immerhin sind 70 Prozent der Erdoberfläche von Wasser bedeckt. Dementsprechend ist die Biomasse in den Meeren und Flüssen um ein Vielfaches höher als die auf der Erde. Die Erforschung der Wirkstoffe aus dem Meer ist dennoch vergleichsweise neu, erläutert Professor Peter Proksch vom Institut für Pharmazeutische Biologie an der Universität Düsseldorf.

    " Die bekannten Verbindungen bislang aus marinen Organismen liegen so in der Größenordnung 10.000 bis 15.000. Das ist sicher erst die Spitze des Eisberges. Mit anderen Worten, die Forschungskapazitäten sind weltweit immer noch bescheiden. Und deshalb denke ich, dass man vielleicht mit der zehnfach größeren Zahl wird rechnen können. "

    Schwämme, Algen, Moostiere oder Bakterien werden heute von den Forschern unter die Lupe genommen. Wirkstoffe aus der Natur sollen chemische Stoffe ersetzen, die sich als giftig erwiesen haben. Dazu gehört das Antifouling-Mittel Tributyl-Zinn. Thomas Meyer von meeresbiologischen Institut MariLim in Kiel hat in Brotkrumenschwämmen einen Stoff gefunden, der sich als natürliches Antifoulingmittel eignen kann: In Schwämmen deshalb, weil sich zeigt, dass sie frei von einem Biofilm sind, der sich sonst überall auf Meeresorganismen befindet. Mit Hilfe einer Meeresschneckenart hat der Biologe die Wirkung getestet.

    " Normalerweise ist der Foulingmechanismus so, dass sich zunächst Blaualgen ansiedeln und dann weitere Bakterien und Pilze und dann irgendwann kommen die höheren Organismen. Dieser Test auf Antifoulingwirksamkeit ist ein Hinweis darauf, dass Antifoulingwirksamkeit besteht, weil die Schnecke den Kontakt vermeidet mit dem Stoff. Die Schnecke merkt, indem sie den Fuß aufsetzt oder die Fühler ausstreckt auf die Extrakte, dass das nicht das Optimale für sie ist. "

    Solche Stoffe können auch als Insektizide in der Landwirtschaft genutzt werden. Aber nicht nur Schwämme und Algen enthalten Wirkstoffe. Auch einige Schneckenarten, wie die Conus-Schnecke. Sie jagt Fische mit Hilfe eines Giftes, das sie produziert. Die Verbindung dieser hochgiftigen Substanz wurde im Labor nachgebildet und zu einem Medikament verarbeitet. Es lindert Schmerzen und soll noch in diesem Jahr in den USA als Schmerzmittel für Krebspatienten eingesetzt werden.

    Am Institut für Meereskunde – Geomar in Kiel wurde eine Verbindung aus Mikroorganismen genutzt, um später einmal ein Medikament gegen Krebs herzustellen zu können. Professor Johannes Imhoff.

    " Wir haben im Prinzip die ersten wichtigen Hürden genommen, die besagen, dass man eine Verbindung in Zellsystemen und in Tiersystemen testen muss, ehe man in die aller ersten Versuche beim Menschen überhaupt einsteigt. Und das haben wir mit einer Substanz jetzt durchlaufen. Sie wirkt gegen Krebszellen, insbesondere Leukämiezellen und hat dann auch Wirkung gegen Viren. "

    Die Suche nach Wirkstoffen aus dem Meer gegen Viruserkrankungen wird immer dringender, weil viele bekannte Antibiotika Resistenzen hervorrufen. So sehr, dass sie wirkungslos sind. Hier ist man bereits auf einem guten Weg. Doch die Kunde von der heilenden Wirkung von Stoffen aus dem Meer hat bereits Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln dazu geführt, mit der therapeutischen Wirkung etwa von Algen zu werben. Aber nicht nur ein Überangebot von Jod, sondern auch die Bakterien, die auf den Algen siedeln, können eine schädliche Wirkung haben. Peter Proksch:

    " Im Rahmen der Nahrungsergänzungsmittel wird viel Schindluder getrieben. Es wird Vieles behauptet, was nicht bewiesen ist und auf Risiken wird überhaupt nicht hingewiesen. Weil ansonsten sich die Hersteller sich bemühen müssen, die Risiken abzuklären. Wie immer macht die Dosis die Wirkung, und diese Dinge müssen natürlich auch bei Nahrungsergänzungsmitteln entsprechend beachtet und deklariert werden, damit es hier zu keinem irrtümlichen Missbrauch und zur Gefährdung von Konsumenten kommt. "

    Eine andere Gefahr sehen Forscher wie Johannes Imhoff allerdings nicht. Dass die Suche nach Wirkstoffen eines Tages zur Ausbeutung der Meere führen könnte.

    " Es ist ganz gezielt unsere Strategie, dass wir kleine Proben aus dem Meer herausholen und alles, was da drauf folgt passiert im Labor. Wir kultivieren die Mikroorganismen im Labor, aber mit Ressourcen, die ursprünglich aus dem Meer gekommen sind. "