Sonntag, 28. April 2024

Archiv


Chemikalien gefährden Kinder im Mutterleib

Medizin.- Manche Chemikalien können die Entwicklung eines im Mutterleib heranwachsenden Kindes empfindlich stören. Darum ist es wichtig zu wissen, welche Stoffe man von einer schwangeren Frau fernhalten sollte. Um das herauszufinden, entwickeln US-Forscher Verfahren, die auf virtuelle Embryos setzen.

Von Lucian Haas | 26.09.2011
    Zehntausende Chemikalien sind heute auf dem Markt, und jedes Jahr kommen Hunderte neue hinzu. Welche davon für den Menschen und besonders für die Entwicklung eines ungeborenen Embryos gefährlich werden können, wird heute noch in der Regel in Tierversuchen mit schwangeren Ratten und Mäusen ermittelt. Doch die Tests sind zeitaufwendig und teuer. Forscher der Umweltbehörde EPA der USA wollen künftig virtuelle Embryos nutzen, um toxikologisch bedenkliche Stoffe per Computersimulation zu ermitteln.

    "Wir schauen auf mehrere zentrale Entwicklungsprozesse, die empfindlich auf Umwelteinflüsse reagieren und prägend sind für die Embryonalentwicklung. Einer davon ist die Entwicklung der Blutbahnen, ein anderer die Ausbildung der Gliedmaßen beim Embryo. Die Computersimulation eines kompletten Embryos von der Befruchtung bis zur Geburt wäre wahrscheinlich zu komplex. Deshalb fokussieren wir uns auf diese spezifischen Prozesse."

    Thomas Knudsen leitet bei der EPA das Projekt zur Entwicklung virtueller Embryos. Schon vor vier Jahren hat die Behörde ein Programm namens ToxCast gestartet. Ziel ist es, besonders giftige Chemikalien in einem Screeningverfahren möglichst schnell anhand von automatisierten Labortests an Hunderten von Zellkulturen identifizieren zu können. Daraus entstand die Idee, die mit ToxCast ermittelten Daten in eine Simulation der Folgen solcher Stoffe für die Embryonalentwicklung einfließen zu lassen.

    "In den Modellen simulieren wir biologische Zellen. Die Zellen interagieren untereinander wie im realen Leben. Allerdings werden die virtuellen Zellen nicht von Genen, sondern von der Software kontrolliert. Das Programm simuliert auch, wie Botenstoffe und Chemikalien in den Zellen wirken. Am Ende folgt das System ganz ähnlichen Mustern, wie man sie anatomisch während einer normalen Zellentwicklung beobachten würde."

    Noch ist die Software in der Erprobungsphase. Erst einmal testen die Forscher im Modell die embryo-toxische Wirkung bekannter Problem-Chemikalien, um vergleichen zu können, inwieweit die Simulation der Realität entspricht. Mit den ersten Testläufen zeigt sich Thomas Knudsen zufrieden.

    "Gerade bei der Entwicklung der Blutgefäße waren wir besonders an Thalidomid interessiert. Dieser Stoff ist bekannt dafür, Blutgefäße zu stören und so die Entwicklung von Armen und Beinen beim Embryo zu hemmen. Die Ergebnisse unserer Simulation ähneln den Daten von realen Experimenten, wie sie in der neueren wissenschaftlichen Literatur publiziert wurden."

    Als nächstes wollen die Forscher die Algorithmen der Zellentwicklung und des Stoffwechsels soweit verfeinern, dass die Computersimulation künftig auch bei völlig neuen Chemikalien verwertbare Ergebnisse liefert.

    "Wir glauben, dass die virtuellen Zellmodelle, vielleicht in fünf bis zehn Jahren, Tierversuche verbessern und beschränken können. Wenn die Simulationen immer raffinierter werden, die Rechenkapazität weiter zunimmt und wir Vertrauen in die virtuellen Modelle gewinnen, besteht die Hoffnung, eines Tages Tierversuche vielleicht ganz zu ersetzen."

    Noch ist nicht absehbar, ob und wann Computer die Komplexität des Lebens werden völlig erfassen können. Doch allein wenn virtuelle Embryos dazu beitragen, schneller harmlose von potenziell toxischen Substanzen unterscheiden zu können, würde das schon Hunderttausenden Tieren ein Leben in den Versuchskäfigen der Labore ersparen.