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Chemisches Roulette

Chemiekonzern Bayer, Leverkusen, ein Labor im zentralen Forschungsgebäude, dem sogenannten Q18. Auf der Laborbank steht ein wuchtiger Kasten von etwa einem Meter Breite. Unter der transparenten Abdeckhaube steckt ein Laborroboter und verrichtet geräuschvoll seine Arbeit: Er pipettiert. An seinem beweglichen Arm stecken vier Kanülen. Der Arm fährt nach links, taucht die Hohlnadeln in eine Lösung, saugt etwas davon an. Dann surrt der Arm auf die rechte Seite und lässt die Lösung in vier kleine Reaktionsgefäße ab, die dort bereitstehen. Danach sind die nächsten vier Gefäße an der Reihe und werden befüllt. Nach und nach mischt der Roboter Edukte zusammen, also Ausgangsstoffe für chemische Reaktionen.

Uta Bilow | 21.07.2002
    Die Forscher in diesem Labor suchen nach neuen Wirkstoffen für Medikamente oder Pflanzenschutzmittel. Der Roboter nimmt ihnen dabei die Routinearbeit ab. Das Konzept, das eng mit dieser Automatisierung verknüpft ist, heißt: kombinatorische Chemie. Dr. Markus Albers, Laborleiter in der Abteilung Kombinatorik bei der Bayer AG:

    Also man kombiniert verschiedene Edukte miteinander, und was man vorher in der klassischen Synthesechemie gemacht hat, ist, dass man einfach das Edukt A mit dem Edukt B reagieren lässt und damit zu seinem Produkt kommt. Und in der Kombinatorik verwendet man nicht nur ein Edukt A und ein Edukt B, sondern viele Edukte A und viele Edukte B, so dass man diese miteinander kombiniert, so dass also jedes Edukt A mit jedem Edukt B reagieren kann und damit zu dementsprechend vielen Produkten kommt.

    Die Kombinatorische Chemie steht für eine neue Ära in der Pharmaforschung. Anfangs von vielen belächelt, heute jedoch aus den Forschungslabors nicht mehr wegzudenken, verlangt sie vom Chemiker, dass er seine übliche Vorgehensweise geradezu umkehrt. Früher entwarf man ein Molekül auf dem Papier und stellte es dann im Labor zielgerichtet her. Heute, im Zeitalter der kombinatorischen Chemie, gehen die Forscher geradezu wahllos vor. Sie lassen eine ganze Reihe verschiedener chemischer Bausteine miteinander reagieren. Aus allen möglichen Kombinationen entsteht eine Vielzahl unterschiedlicher Substanzen gleichzeitig.

    Man kann sich das vielleicht so vorstellen wie bei der Pralinenproduktion. Man nimmt einen Grundkörper wie zum Beispiel die untere Schicht ist aus Marzipan, danach gibt man dann zum Beispiel acht verschiedene Schokoladensorten da drüber, und zum Schluss vielleicht noch zwölf verschiedene Nuss-Sorten, so dass man also insgesamt drei verschiedene Eduktklassen hat, also Marzipan, Schokolade und Nüsse, und diese miteinander kombiniert werden. Und man fängt nun so an, dass man erst mit einer großen Charge an Marzipan anfängt, diese dann aufteilt in acht verschiedene kleinere Chargen, die dann mit acht verschiedenen Schokoladen überzogen werden, und zum Schluss dann vielleicht noch diese acht mit zwölf verschiedenen Nüssen jeweils dekoriert werden. So dass man also einmal Marzipan, achtmal Schokolade, zwölfmal Nüsse, wären dann also acht man zwölf gleich sechsundneunzig Verbindungen oder Pralinen.

    Aus drei verschiedenen Zutatenklassen ergeben sich fast hundert verschiedene Pralinen. Genau so kann man aus drei verschiedenen Stofflassen fast hundert verschiedene Verbindungen herstellen. Hundert neue verschiedene Verbindungen, wenn man es entsprechend plant. Ein faszinierendes Konzept. Ein solches Sortiment ähnlicher Produkte nennen die Forscher einen Bibliothek. Die einzelnen Produkte sind allesamt recht ähnlich aufgebaut sind und unterscheiden sich nur in kleinen Details. Doch ihre biologische Wirkung kann stark variieren.

    In den Anfängen der Pharmaforschung, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, purzelten die Wissenschaftler geradezu über die Erfolge. Sie brauchten nur ein paar Dutzend Substanzen zu synthetisieren, und schon hatten sie einen "Treffer" gelandet - ein Produkt, das sich als wirksame Waffe im Kampf gegen eine Krankheit erwies. Doch die Trefferquote ist im Laufe der Jahre immer stärker gesunken. Heute liegt sie bei etwa eins zu 50.000. Und ein Chemiker kann auf konventionelle Weise vielleicht eine neue Substanz pro Tag herstellen. Mit der kombinatorischen Chemie schafft er weitaus mehr. Daher scheint in dem Synthesekonzept ein großes Potential zu stecken.

    Bei der Kombinatorischen Synthese wenden die Chemiker meistens einen kleinen, aber effektvollen Trick an: Sie verknüpfen ihre erste Ausgangssubstanz zunächst mit einem kleinen Kügelchen, das aus dem Kunststoff Polystyrol besteht. Das Kügelchen trägt auf der Oberfläche eine entsprechende Ankergruppe. An das Polystyrol gebunden wächst dann allmählich das neue Molekül heran, wenn weitere Substanzen mit dem Ausgangsstoff reagieren. Gewöhnungsbedürftig sind auch die Reaktionsgefäße bei der kombinatorischen Chemie. Markus Albers etwa testet seine Reaktionen in kleinen Einwegspritzen aus Kunststoff.

    Man kann also in diesen Spritzen, die ungefähr so ein Volumen von fünf Milliliter haben, Chemie machen. Man kann die Spritzen bei Raumtemperatur schütteln, denn diese Spritzen besitzen unten eine Fritte, ein Sieb, damit das Polystyrol nicht durchfällt. Denn der Trick bei der Festphasensynthese ist, dass das Polystyrol auf dieser Fritte liegen bleibt, man macht die Chemie und wäscht damit hinterher nach vollendeter Reaktion die ganzen Verunreinigungen, die Edukte, die Überschüsse an Reagenzien wieder heraus. Das ist der große Vorteil an dieser Festphasenchemie ...

    Das Produkt bleibt sozusagen fest. Ohne das angehängte Kügelchen würde es sich in dem Lösungsmittel auflösen wie Salzkristalle in Wasser und wäre schwer aus dem Reaktionsgemisch zu isolieren. So aber bleibt es wie ein Reiskorn auf dem Sieb in der kleinen Spritze liegen. Man kann es mit allen möglichen Reagenzien zusammenbringen und diese anschließend abspülen. Zuerst testet der Chemiker im kleinen Maßstab, ob zwei oder drei ausgewählte Edukte wie gewünscht miteinander reagieren. Klappt die Chemie, wird es kombinatorisch. Dann holt Markus Albers aus dem Vorratsschrank eine Reihe ähnlicher Ausgangsstoffe und greift zum Spritzenblock.

    Den man sich so vorstellen kann, dass sechsundneunzig kleine Spritzen zusammengeschweißt sind zu einem massiven Block. Und diese kleinen Spritzen haben jeweils unten wieder eine Fritte, beziehungsweise ein Sieb, so dass das Polymer nicht durchrieseln kann, und dieser Block, der aus Polypropylen ist, kann oben und unten verschlossen werden, so dass nichts rausläuft.

    In diesem Spritzenblock werden die Edukte in die verschiedenen Reihen und Spalten gefüllt, so dass alle Kombinationen vorhanden sind. Dann wird geschüttelt und erhitzt. Alle sechsundneunzig Reaktionen finden gleichzeitig statt, so dass auf einen Schlag sechsundneunzig Produkte entstehen. Zum Schluss müssen nur noch die Polymerkügelchen abgespalten werden, dann liegen die Substanzen rein vor.

    Die technischen Möglichkeiten bewirken, dass in kürzester Zeit eine Vielzahl von neuen Substanzen zur Verfügung steht. Doch weiterhin ist die intellektuelle Leistung der Forscher gefragt. Hier ist die Industrie zum Teil auf Kooperationspartner angewiesen wie etwa den Bonner Chemieprofessor Stefan Bräse.

    Wir hier an der Hochschule beschäftigen wir uns mit der Entwicklung von neuen Methoden im Bereich der kombinatorischen Chemie, die dahin laufen, dass wir in der Lage sind, hier Möglichkeiten zur Verfügung stellen, die man theoretisch dann in der Industrie umsetzen kann, um dort dann die entsprechenden Wirkstoffe herzustellen. Wir arbeiten an verschiedenen Systemen, die in der Lage sind, automatisiert Wirkstoffe herzustellen. Wir aber nicht direkt daran interessiert, sehr große Substanzbibliotheken herzustellen, weil das Problem hier an der Hochschule sein wird und ist, große Substanzbibliotheken logistisch zu verarbeiten.

    Da gibt es beispielsweise eine Verbindungsklasse von Heterozyklen, die als Wirkstoff erfolgversprechend scheint. Bräse und seine Mitarbeiter suchen nun nach Wegen zu diesen Systemen. Aus welchen kleinen Bausteinen kann man sie in wenigen Schritten aufbauen? Gibt es von allen Bausteinen genügend Variationen, so dass man kombinatorisch werden kann? Und: reagieren diese auch alle miteinander? Ist ein kombinatorischer Syntheseweg gefunden, kann die Industrie entsprechende Substanzbibliotheken herstellen. Stefan Bräse über den tiefgreifenden Wandel in der Pharmaforschung:

    Kombinatorische Chemie kommt eigentlich aus der Notwendigkeit heraus, dass die Biologen heutzutage schneller sind als die Chemiker. Früher war das umgekehrt, da waren die Chemiker schneller als die Biologen bei der Wirkstoffsuche. Man kann sich vorstellen, dass vielleicht vor 50 Jahren um ein Medikament zu entwickeln, man ein Tiermodell genommen hat, also ein Kaninchen, eine Maus, vielleicht sogar einen Primaten und man hat die entsprechenden Wirkstoffe direkt an einem Tier getestet. Heutzutage ist man durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms doch in der Lage auch in kleinere Bereich vorzudringen und hier Testsysteme aufzubauen, die bis zu eine Millionen Substanzen pro Tag testen können.

    Alle neu hergestellten Substanzen sind potentielle Arzneistoffe. Ob sie wirklich wirken, muss in Tests ermittelt werden. Bayer etwa unterhält zwei Testlabors, eines im Pharmaforschungszentrum Wuppertal und ein zweites im Landwirtschaftszentrum Monheim. Dort überprüfen die Forscher, ob eine der neuen Verbindungen gegen Krankheiten bei Mensch, Tier oder Pflanze wirksam ist. Im Leverkusener Forschungsgebäude wird der Versand der Chemikalien vorbereitet.

    Ja das ist ein Wägeroboter, der eigentlich den ganzen Tag nicht anderes tut als leere Gefäße zu tarieren und dann nach Befüllung mit unseren Substanzen, die wir hergestellt haben, wieder auszuwiegen. Er geht dabei eigentlich immer gleich vor. Wir stellen ihm die Substanzen in sogenannten Racks, also in Trägern, in Gruppen zu vierundzwanzig auf seine Arbeitsfläche. Er nimmt sich ein Gefäß, fährt damit als erstes zum Barcode-Scanner, um der Datenbank mitzuteilen, welches Gefäß mit welcher Nummer er jetzt zu wiegen gedenkt. Das macht er gerade. Er nimmt also das Gefäß, fährt zum Barcode-Scanner, der Barcode wird eingescannt, jetzt hat es gepiept, der Barcode ist also erkannt ...

    Dr. Christian Paulitz, Laborleiter in der Abteilung Kombinatorik bei der Bayer. Ist das Gefäß gewogen, füllt der Pipettierroboter eine kleine Menge Lösung hinein. Die gefüllten Gläschen gelangen dann nach Wuppertal und Monheim zum sogenannten Screening. Diese Tests sind noch stärker von Robotern dominiert, wie ein Besuch beim Molekularen Screening im Pharmaforschungszentrum Wuppertal zeigt. Quer durch den von fahlem Kunstlicht beleuchteten Raum zieht sich ein Schienenstrang, die Basis des Roboters. Rechts und links des Schienenstrangs befinden sich die einzelnen Stationen der Teststrecke. Dr. Jörg Hüser, Biologe in der Abteilung Molekulare Screening Technologie, öffnet einen überdimensionierten Kühlschrank.

    Auf diesem Karussell stehend Platz für 250 Mikrotiterplatten, jede Mikrotiterplatte mit 1536 unterschiedlichen Substanzen. Und wenn man das hochrechnet, dann landet man bei mehr als 300.000 unterschiedlichen Substanzen, die Platz in diesem Kühlschrank haben.

    Diese Mikrotiterplatten haben gerade einmal die Größe einer Schokoladentafel. Auf den Platten sind winzige Vertiefungen - 1536 Stück -, und in jeder befindet sich eine andere chemische Substanzlösung. 800.000 verschiedene Substanzen umfaßt der gesamte Vorrat, und täglich werden es mehr, wenn die Kollegen aus Leverkusen Nachschub schicken. Neben dem Kühlschrank steht ein Wärmeschrank gleicher Dimension.

    Und das gleiche im Prinzip, nur nicht in gekühlter Form, noch mal für die Testplatten. Testplatten insofern, als da eben isoliertes Enzym drin vorliegt oder aber wie in diesem Falle lebendige Zellen, die am Boden der einzelnen Vertiefung liegen. Auch hier wieder Platz für die gleiche Zahl an Mikrotiterplatte.

    Der Roboter bringt den Inhalt beider Schränke zusammen. Dazu greift er mit seinem Arm aus jedem Vorratsschrank eine Platte. Also an diesem Pipettierautomaten werden jetzt beide Plattentypen verarbeitet. Auf der einen Seite die Substanzplatte, auf der anderen Seite die Testplatte, und das, was der Pipettierautomat leistet, ist im Prinzip der Transfer von der Substanzplatte auf die eigentlich Testplatte, hier werden also die Substanzen übertragen auf die Zellen, jede für sich. In jedem well, in jedem Näpfchen, in jeder Vertiefung der Mikrotiterplatte testen wir eine Substanz auf die Wirkung hin ...

    Sind Zellen und Substanz in einer Vertiefung vereint, kommt die Platte zurück in den Wärmeschrank. Einige Stunden später entnimmt der Roboter die Platte wieder und schiebt sie zur Analysestation. Heute suchen die Forscher nach einer Substanz, die einen ganz spezifischen Rezeptor auf einer Zelloberfläche stimuliert. Das Testsystem ist kompliziert, aber ein positives Ergebnis leicht zu erkennen. Dann nämlich leuchtet es in dieser Vertiefung. Jörg Hüser: Und wenn dieser Rezeptor tatsächlich stimuliert wird durch unsere Substanzen, wird ne komplizierte biochemische Kaskade angestoßen, an deren Ende dann ein Gen aktiviert wird, das wir messen können. Und das ist in diesem Falle das Leuchtgen von einem Käfer, das heißt Luziferase. Und hier ist der Name schon Programm. Das Gen kodiert für ein Enzym, das nachher Licht produziert und das können wir messen. Und das Prinzip dieses Tests ist eben, je mehr Licht produziert wird, desto stärker wurde unser Zelloberflächenrezeptor aktiviert. Das ist die gewünscht Reaktion, nach der wir hier suchen.

    Mehr als 100.000 Substanzen pro Tag können die Forscher in Wuppertal auf diese Weise testen. In einer Woche etwa haben sie also ihren gesamten Vorrat, ihre so genannte Substanzbank, untersucht. Dann bestücken sie den Wärmeschrank mit Mikrotiterplatten, die ein anderes Testsystem enthalten. Diese Testsysteme immer neu auszudenken und aufzubauen, ist die Hauptaufgabe von Jörg Hüser und seinen Kollegen im Wuppertaler Screeninglabor. Jeder neue Test enthält ein ganz spezielles Target, ein Protein. Der Screeningroboter prüft dann, ob die Substanzbank eine oder mehrere Verbindungen enthält, die an die Bindungsstelle dieses Proteins andocken.

    Selten einmal werden die Forscher fündig, dann leuchtet ein Substanzfleck auf. Treffer sind rar geworden in der Pharmaforschung. Doch mit kombinatorischer Chemie und dem Hochdurchsatz-Screening haben die Wissenschaftler ihre Chancen verbessert, einen solchen wertvollen Treffer landen zu können.

    Ist ein erfolgversprechender Kandidat gefunden, beginnt die umfassende Prüfung. Wie wirkt die Substanz, und in welchen Organen? Ist sie toxisch? Welche Dosis ist notwendig? Wie stellt man daraus Tabletten her? Anschließend folgen klinische Studien. So vergehen von der Entdeckung bis zur Vermarktung eines Wirkstoffs in der Regel fast zehn Jahre. Daher wundert es kaum, dass noch kein einziges Medikament in der Apotheke liegt, das der kombinatorischen Chemie entstammt. Die Kandidaten der ersten Generation stecken noch in der Phase der klinischen Studien. Erst die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich das neue Synthesekonzept bei der Wirkstoffsuche bewährt. Seit geraumer Zeit schon ist die kombinatorische Chemie dabei, sich ebenso in der Werkstoff-Forschung zu etablieren. Besonders verheißungsvoll erscheint das Gebiet der Katalysatoren. Wenn Forscher bislang nach katalytisch wirksamen Verbindungen suchten, geschah dies zumeist nach der trial-and-error-Methode. Dies lässt sich mit kombinatorischer Chemie ungemein beschleunigen. Katalysatoren sind für viele Prozesse unverzichtbar. 90 Prozent aller chemischer Produktionsverfahren nutzen einen Katalysator. Dadurch werden die Reaktionen effizient und Ressourcen geschont. Professor Ferdi Schüth, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, sieht noch großer Bedarf bei Katalysatoren.

    Propylenoxid oder Propenoxid, wie es richtig heißt, ist ne ganz wichtige Grundchemikalie. Es wird über einen relativ komplexen Flüssigphasenprozess heutzutage hergestellt, aber es wäre eigentlich ganz elegant und einfach, wenn man Propen mit Luft über einen Katalysator leiten könnte, und hinten käme Propenoxid raus. Bei Ethen und Sauerstoff zu Ethenoxid funktioniert das hervorragend. Für Propen und Sauerstoff gibt es keine Lösung. Im Abgaskatalysebereich fehlen uns ganz massiv Katalysatoren, die unter Luftüberschuss NO mindern. Dieselabgas sag ich mal, Magermoteren, neue Motorkonzepte, die man hat, die sehr energieeffizient sind, aber durch den Sauerstoffüberschuss im Abgas das NO-Problem haben, das sie also Stickoxide bilden, die wir unter den Sauerstoffüberschussbedingungen nur sehr schwer reduzieren können ...

    Ferdi Schüth kann noch viel mehr Beispiele aufzählen. Eine Vielzahl an Katalysatoren für alle diese Prozesse haben die Forscher bereits getestet. Doch das richtige Material war nicht dabei.

    Dazu gibt's natürlich: fast jede Reaktion könnte noch besser laufen. Und auch das kann ein immenser Vorteil sein, wenn Sie eine Reaktion haben, die jetzt - ich sag mal - mit 80 Prozent Selektivität großtechnisch läuft und Sie können die Selektivität auf 82 Prozent für das gewünschte Produkt schrauben, hört sich eigentlich wenig an, zwei Prozent mehr Zielprodukt. Das kann ein Multimillionengewinn oder –ersparnis pro Jahr sein bei einem entsprechend großen Produkt. Also das Potential, was man durch neue Katalysatoren oder verbesserte Katalysatoren erschließen könnte, ist immens.

    Somit ist klar: Die Suche nach neuen Katalysatoren für chemische Prozesse lohnt sich. Und mit der kombinatorischen Chemie lässt sich die Forschung beschleunigen. Wenn der Roboter die Substanzen zusammenmischt, geht alles viel schneller. Das Denken kann man ihm jedoch nicht überlassen.

    Wenn man eine Bibliothek, das ist also eine Ansammlung von verschiedenen Katalysatoren, die man für eine Reaktion testen will, wenn man die generiert, muss man sich ja überlegen, was für Katalysatoren in dieser Bibliothek sein sollen. Und das macht man natürlich, wenn man als Chemiker sitzt und die Bibliothek entwirft, indem man sein chemisches Wissen nutzt und sich überlegt, na ja, in der Reaktion könnten die Elemente wichtig sein. Das heißt, man macht genau das, was man auch klassisch macht, nur in einem höheren Durchsatz. Man macht also statt einen Katalysator hundert, und kann es sich dann eben leisten, auch ein bisschen verrücktere Kombinationen zu nutzen.

    Die kombinatorische Chemie eröffnet Freiräume für kreative Ideen. Denn ohne viel Aufwand lassen sich auch Zusammensetzungen einbeziehen, die auf den ersten Blick unsinnig erscheinen. Bei Fehlschlägen kann man sie rasch verwerfen. Vielleicht aber ergeben gerade sie einen Treffer.

    Seit einigen Jahren haben sich daher zur konventionellen Laboreinrichtung am Mülheimer Max-Planck-Institut auch Syntheseroboter gesellt.

    Unsere Katalysatoren werden eigentlich meistens so gemacht, wie man es auch auf großer Skala in der Industrie macht. Ein ganz häufiges Verfahren, um einen Katalysator herzustellen, ist eine Imprägnierung eines Trägermaterials. Die meisten Katalysatoren bestehen aus einem Träger und einem Aktivmaterial. Und das können Sie im Prinzip relativ simpel automatisieren, indem Sie die Trägermaterialien in kleinen Töpfchen vorlegen und dann über Syntheseroboter Lösungen zupipettieren können. Die werden dann eingetrocknet oder Sie pipettieren gerade eben soviel zu, dass es aufgesaugt wird, diese Lösung, und dann stellen Sie es in den Ofen, reduzieren es vielleicht noch mit Wasserstoff oder was auch immer, und dann haben Sie einen Katalysator.

    Die eigentliche Herausforderung für die Wissenschaftler besteht darin, geeignete Testsysteme zu entwickeln. Diese müssen möglichst rasch Auskunft darüber geben, ob ein Material die gewünschten Eigenschaften besitzt. Im Mülheimer Labor steht etwa ein Parallelreaktor, der neunundvierzig Katalysatoren unter identischen Bedingungen testen kann. Der Diplom-Chemiker Oliver Busch fährt gerade einen Test mit neuen Kandidaten

    An dieser Anlage machen wir Messungen, die sich beziehen auf DeNOx-Verhalten von Materialien, das bedeutet Materialien, die angewandt werden können für das Entfernen von Stickoxiden aus Abgasen beispielsweise. Hier im oberen Teil der Anlage wird dieses Modellgas, das ein Autoabgas simulieren soll, zusammengemischt, geht dann über diese Leitung oben in unseren 49-fach Reaktor rein. In diesem Reaktor sind 49 einzelnen Positionen in kleinen Töpfchen, separat voneinander getrennt, die verschiedenen Katalysatorsubstanzen, die wir testen wollen.

    Das künstlich erzeugte Autoabgas strömt durch die neunundvierzig verschiedenen Katalysatoren und dann weiter durch ein rundes Blatt Papier, das den Reaktor mit seinen insgesamt neunundvierzig Öffnungen abdeckt. Dieses Papier verrät Oliver Busch in kürzester Zeit, was er wissen will.

    Die Analytik besteht aus einem Filterpapier, das mit einem Farbstoff imprägniert wurde. Und der Farbstoff reagiert dann mit dem Stickoxid aus unserem Gasgemisch. Es geht von farblos zu grün über. Wenn aber ein Katalysator aktiv ist, verschwindet das Stickstoffmonoxid, und diese Position bleibt dann weiß. So dass wir anhand der Färbung des imprägnierten Filterpapiers erkennen können, welche Katalysatoren für weitere Untersuchungen von Interesse sind.

    Schon nach wenigen Sekunden kann Oliver Busch das Testergebnis ablesen. Auf dem Papier sind siebenundvierzig mehr oder weniger grüne Flecken. Das sind die Nieten. Die beiden Positionen, die weiß geblieben sind, deuten dagegen auf aktive Substanzen hin. Diese müssen nun weiter untersucht werden. Potentielle Kandidaten zeigen sich auch bei der sogenannten Infrarot-Thermographie, einer Methode, die speziell für Hochdurchsatz-Tests entwickelt wurde.

    Jede katalytische Reaktion hat irgendeinen thermischen Effekt. Es gibt nur ganz wenige Reaktionen, die keine Wärme erzeugen oder Energie erzeugen oder verbrauchen. Und nehmen wir ´ne Oxidationsreaktion: Wenn irgend etwas oxidiert wird, wird es typischerweise heiß. Dann nehmen Sie also eine Katalysatorbibliothek, so ein array von Katalysatoren und schauen sich das unter Reaktionsbedingungen mit einer thermoempfindlichen Kamera an, einer Kamera, mit der Sie auch ein Haus analysieren, um die Wärmebrücken nach außen zu identifizieren. Und dort, wo dann ein roter Punkt aufleuchtet, wissen Sie, da wird Wärme frei, und dort, wo Wärme frei wird, ist ein aktiver Katalysator.

    Schüth und seine Mitarbeiter haben im Laufe der letzten Jahre eine Reihe von wichtigen Verfahren in der Katalysatorforschung entwickelt. Was liegt näher, als diese Technologien auch kommerziell zu nutzen. Also gründete man vor drei Jahren die Firma hte mit Sitz in Heidelberg. Hte steht für high throughput experimentation, also Experimentieren im Hochdurchsatz. Fünfzig Mitarbeiter arbeiten in dem unscheinbaren Gebäude mitten in einem Heidelberger Industriegebiet. Im Keller steht das Prachtstück des Hauses: ein riesiger Syntheseroboter. Sein Gehäuse mißt etwa drei mal zwei Meter. Der in Eigenarbeit entwickelte Roboter beherrscht eine schwierige Technik: Er kann feste Stoffe dosieren und mischen. Dr. Wolfgang Strehlau ist der Besitzerstolz anzumerken.

    Die Hauptbestandteile der Syntheseplattform sind ein Pulverdosierroboter und ein Roboter für die Flüssigdosierung. .... Dies hier ist eine Eigenentwicklung. Die Pulverabgabe erfolgt über ein Vibrationsverfahren. ... Es werden die Zielgefäße und die Quellgefäße abgewogen. Dann taucht ein Spatel in das Quellgefäß ein, entnimmt eine bestimmte Probe, der Roboter fährt dann zum Zielgefäß, wirft dann über eine Vibrationstechnik das Pulver ab, und auf diese Weise ist eine sehr genaue Dosierung mit Abweichung kleiner plus minus fünf Prozent möglich.

    Eine monotone Arbeit. Doch der Roboter erledigt sie klaglos und mit höchster Präzision. Immer wieder greift er sich ein kleines Gläschen, stellt es auf die Waage und füllt dann eine vorgegebene Menge Ausgangsstoff hinein. Dazu entnimmt der Roboter mit einer Art Löffel eine kleine Menge aus dem Vorratsgefäß, surrt dann hinüber zum Gläschen auf der Waage und fängt sanft an zu vibrieren, so dass das Pulver langsam ins Gläschen rieselt. Auf diese Weise komponiert der Roboter unermüdlich neue Mischungen, die vielleicht einen guten Katalysator ergeben. Im Erdgeschoss bei hte sind verschiedene Testmöglichkeiten für die fertigen Katalysatoren installiert. Wolfgang Strehlau demonstriert eine Anlage für Autoabgaskatalysatoren.

    Das sind reelle Bedingungen in punkto Abgasführung, in punkto Temperatur und in punkto schnellen Gaswechsel. Dazu muss ich sagen, dass die Anlage für den Bereich der Autoabgaskatalyse verwendet wird, und wir wollen hier schnelle Lastwechsel im Kleinen nachvollziehen können. Die Anlage besitzt einen sogenannten 16-fach Reaktor, bei dem 16 Katalysatoren unter gleichen Testbedingungen getestet werden. Die Kats werden sequentiell getestet, das heißt, der Abstrom von 15 Kats geht ins Abgas, ein Katalysator wird jeweils getestet, ist der getestet worden, wird auf den zweiten Katalysator durchgeschaltet.

    Der Durchsatz an getesteten Materialien lässt sich noch weiter steigern. Denn für die Analysen genügen mitunter winzige Probenmengen. Wolfgang Strehlau führt in den Nachbarraum:

    Wir können mit dieser Anlage bis etwa 400 Katalysatoren gleichzeitig testen, wobei die Katalysatoren in einer wirklich kombinatorischen Art und Weise hergestellt werden können. Der verwandte Reaktor ist ein Chip von etwa zwei mal drei Zentimeter Fläche, wobei auf diesem Chip etwa 400 Katalysatoren platziert werden und sequentiell abgefahren werden. Wir haben hier also die Möglichkeit, etwa innerhalb von 24 Stunden 400 Materialien sequentiell durchzutesten.

    Anfang dieses Jahres konnten Ferdi Schüth und der Vorstand der hte für ihre innovativen Arbeiten gemeinsam einen Preis entgegennehmen: Den Wissenschaftspreis des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Die Jury befand, dass den Forschern die Verbindung von Grundlagenforschung und industrieller Anwendung auf das beste gelungen ist.

    Nun muss sich zeigen, wie leistungsfähig die neuen kombinatorischen Methoden tatsächlich sind. Wolfgang Strehlau gibt sich optimistisch.

    Ich glaube, es kann eine Goldgrube werden, wenn die Kombinatorik richtig eingesetzt wird, aber die Katalyse insgesamt ist ein hartes Brot und erfordert in erster Linie gute Naturwissenschaftler. Die Kombinatorik ist ein wichtiges Werkzeug, und ich glaube, ob es wirklich ein Goldgrube sein wird, das werden wir in drei Jahren wissen