Dienstag, 16. April 2024

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Chemnitz und die Medien
"Das ist ganz klar eine Kampagne"

Gab es in Chemnitz "Hetzjagden"? Der Streit über diesen Begriff lenke vom eigentlichen Thema ab, sagte ARD-Journalist Georg Restle im Dlf: Deutschland erlebe eine Mobilisierung des "rechtesten Randes" - und eine AfD ohne Berührungsängste. Entsprechend sei aktuelle Kritik an Medien einzuordnen.

Georg Restle im Gespräch mit Stefan Koldehoff / Text von Michael Borgers | 10.09.2018
    Georg Restle, Redaktionsleiter des ARD-Politmagazins "Monitor"
    Georg Restle, Redaktionsleiter des ARD-Politmagazins "Monitor" (picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)
    Woher der Begriff "Hetzjagd" stammt im Zusammenhang mit den Protesten in Chemnitz, weiß der freie Journalist Johannes Grunert nicht. Auch hätten viele Kollegen, mit denen er gesprochen habe - sogenannte Faktenfinder - bis heute nicht herausgefunden, wer das Wort geprägt hat, sagt Grunert im Gespräch mit @mediasres.
    Seine Meinung zu dem Thema ist deshalb interessant, weil viele in ihm, Grunert, den Urheber des Begriffes sehen. Grunert lebt in Chemnitz und hat als einer der Ersten und insgesamt wenigen Journalisten vor Ort für "Zeit Online" über die Demonstrationen nach der Ermordung von Daniel H. auf einem Chemnitzer Stadtfest berichtet.
    Streit um Begriff "Hetzjagd"
    Medien sprachen seitdem von "Hetzjagden", doch der Begriff ist umstritten. Die "Freie Presse" Chemnitz verzichtete von Beginn an auf ihn. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer bezweifelte öffentlich, dass es zu "Hetzjagden" gekommen ist.
    Und auch Hans-Georg Maaßen, Präsident des Verfassungsschutzes, sieht bis heute keine Beweise dafür. Es sprächen "gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken", sagte Maaßen der "Bild"-Zeitung und zielte auf ein Video, das zeigt, wie rechte Demonstranten über einige Meter einen Mann verfolgen und nach ihm treten. Für seinen Vorwurf hat Maaßen allerdings bis heute keine Belege präsentiert.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Die SPD fordert inzwischen den Rücktritt von Hans-Georg Maaßen, dem Präsidenten des Verfassungsschutzes (imago | IPON)
    Video wohl echt
    Das Wort "Hetzjagd" hält Johannes Grunert ebenfalls für problematisch. Der Begriff beschreibe das Jagen und Erlegen von Tieren und lasse sich schon deshalb nicht ohne Weiteres auf Menschen übertragen, findet der Journalist. Damit wolle er aber nicht bestreiten, dass in Chemnitz ausländisch aussehende Menschen von Demonstranten verbal angegriffen und verfolgt worden seien - denn genau solche Szenen habe er beobachtet und in seiner Reportage über die Ereignisse beschrieben, unterstreicht er.
    Und was ist mit dem Video, das seine Beobachtungen stützt? Für den Reporter besteht "kein Zweifel an der Authentizität"; eine Einschätzung, zu der auch die Redaktionen von "ZDF Heute" und "Zeit Online" gelangt sind.
    "Kampagne der AfD"
    Der Streit um Begriffe und die Echtheit eines Videos - für Georg Restle, Redaktionsleiter des ARD-Politmagazins "Monitor", eine "groteske Debatte", die vom eigentlichen Thema ablenke: Deutschland erlebe eine "Mobilisierung des rechtesten Randes der Republik", zu dem es von Seiten von Spitzenfunktionären der AfD keine Berührungsängste mehr gebe, sagte Restle dem Deutschlandfunk.
    Teilnehmer einer Kundgebung rechter Gruppen halten Plakate hoch.
    Nach den Ereignissen in Chemnitz gab es deutschlandweit Demonstrationen, hier in Köln. (picture alliance/Henning Kaiser/dpa)
    Die aktuellen Vorwürfe gegenüber Medien hätten nichts mit Medienkritik zu tun. Insbesondere von Rechts werde "der Versuch unternommen, kritische Stimmen mundtot zu machen", meint Restle. "Das ist ganz klar eine Kampagne, die federführend von der AfD betrieben wird." Hinzu komme, dass "staatliche Institutionen Sorgen haben, den Kontakt zu einem bestimmten zu Milieu verlieren". Hier verschiebe sich offensichtlich was, so Restle.
    Restle hatte in einem Kommentar für die Tagesthemen von Verfassungsschutzchef Maaßen Beweise für seine Behauptung gefordert und war daraufhin vom AfD-Europaabgeordneten Jörg Meuten als "Hofschranze Merkels", dem "das ein oder andere Tässchen fehlen könnte", bezeichnet worden.
    Lilienthal: Plädoyer für engagierten Journalismus
    Für Volker Lilienthal ist die Kritik von Meuthen "hoch befremdlich": Gegnern ihre Zurechnungsfähigkeit abzusprechen, sei ein politisches Mittel, für das es zahlreiche negative Beispiele in der Geschichte gebe, sagte der Journalismusforscher im Gespräch mit @mediasres. Restle dürfe engagierten Journalismus machen; die Rundfunkfreiheit sehe als verfassungsrechtlich dienende Freiheit den Einsatz für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte vor.
    Überhaupt seien Journalisten - lokal wie überregional arbeitende - in diesen Tagen gefragt, auf die "zunehmende Neuradikalisierung" auf den Straßen hinzuweisen.
    Lilienthal hält es auch für zulässig, von "Hetzjagden" zu sprechen. Dieser Begriff enthalte eine Wertung und lege als Framing "einen Bedeutungsrahmen um ein Ereignis". Und die Debatte, die sich zwischen Politikern um den Begriff entwickelt habe, hätten Journalisten, die den Begriff zu Beginn verwendet haben, nicht vorhersehen können.