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Chilenischer Luftpoet

"Ich glaube nicht an Vaterländer" - Zitat von Roberto Bolaño als Real-Audio

Erich Hackl, österreichischer Autor, im Gespräch |
    Christoph Schmitz: Was hat Sie zum Bolaño-Leser gemacht?

    Erich Hackl: Was mich nicht nur zum Bolaño-Leser gemacht hat, sondern festgehalten hat, war seine unglaubliche Fähigkeit, im Prinzip nur über Literatur zu schreiben und dies als eine Form, die einem die Welt auch erschließt. Normalerweise ist es ja so, dass Literatur über Literatur vielleicht in etwas Langweiliges abplätten kann oder in etwas, das nur ein ganzes kleines Publikum interessiert. Bei ihm hingegen stand immer diese Fähigkeit im Vordergrund, anhand von Literaten, anhand von Literaturzeitschriften, auch den entlegendsten, anhand von Spurensuche nach unbekannten oder gar nicht existierenden Autoren einem eigentlich die Welt zu erschließen. Also dieses Können, diese Besessenheit des Autors, was Literatur betrifft, und gleichzeitig die Fähigkeit, dieses Interesse zu verbinden mit dem Blick auf politische Verhältnisse, auch mit Liebe, auch mit Tod und so weiter.

    Schmitz: Heißt das aber nicht auch dann doch, dass Bolaño ein Autor ist, an dem sich andere Autoren messen, abarbeiten, wie Sie es auch getan haben?

    Hackl: Ich glaube, Bolaño hat in dieser Hinsicht eigentlich keinen Nachfolger gefunden. Sein Werk steht für mich eigentlich alleine hier.

    Schmitz: Ich meinte das auch in der Richtung, dass Bolaño jemand ist, der nicht eine Schule gebildet hat oder ähnliches, sondern an dem andere ihr eigenes Schreiben unabhängig von Bolaño dann doch messen, also ein Autor, der eher für Autoren schreibt.

    Hackl: Glaube ich trotzdem nicht. Also ich kann das ja nur von der Rezeption in Spanien und Mexiko beurteilen. In Spanien hat er natürlich einen Riesenerfolg gehabt, also da ist einfach die Rezeption seiner Bücher weit über den Kreis der Autorenkollegen hinausgegangen.

    Schmitz: Was halten Sie von dem Gedanken, dass Bolaño eigentlich zwei lateinamerikanische Literaturen in seinem Schreiben hat aufgehen lassen, die avantgardistische eines Borges und die eher kulinarisch üppig deftige eines Marquez?

    Hackl: Ja, da würde sich, was den zweiten Teil betrifft, wahrscheinlich Bolaño heftig wehren. Also für ihn war, glaube ich, schon auch der Anspruch da, gegen die Literatur des sogenannten Boom, zu dem García Marquez zählt, zu schreiben, also das war schon etwas, woran er nicht anknüpfen wollte. Borges ganz eindeutig, nämlich auch in der Hinsicht, dass Bolaño wie Borges Erfundenes als real ausgegeben hat und Reales in Erfundenes umgewandelt hat. Das ist bei ihm ganz typisch und auch immer wieder da. Er ist nicht dem Fehler verfallen, sozusagen Subrealismus zu betreiben, also der Wirklichkeit nachzuschreiben, obwohl der Hintergrund dessen, worüber er geschrieben hat, entweder auf eigenen Erfahrungen oder auf Erfahrungen anderer basiert. Aber von dieser magischen Strömung, von dem wirklich Wunderbaren der lateinamerikanischen Literatur der 50er und 60er und auch noch Anfang der 70er Jahre ist Bolaño eigentlich weit entfernt, auch von den anderen Größen. Er hat sich polemisch mit Neruda auseinandergesetzt. Für ihn war Nicanor Parra, Nerudas Gegenspieler, unter den Lyrikern Chiles einfach der, der ihm an nächsten stand und der auch den Witz hatte, den Bolaño selbst auch gehabt hat.

    Schmitz: Haben Sie Bolaño im spanischen Original gelesen oder in den deutschen Übersetzungen?

    Hackl: Zuerst auf Spanisch; es sind auch, glaube ich, erst vier Bücher von ihm auf Deutsch erschienen, also ich habe auch die ersten anderen Bücher von ihm auf Spanisch gelesen, auch die Lyrik, die Gedichte, die er geschrieben hat.

    Schmitz: Was macht den Ton des spanischen Originals aus, was möglicherweise nicht im Deutschen hinübergebracht werden kann?

    Hackl: Ich glaube, die Übersetzungen im Deutschen sind sehr nahe am Original. Also ich habe mich gewundert bei den "wilden Detektiven"; Heinrich von Bernberg hat den Roman übersetzt und ich war eigentlich überrascht, wie gut ihm das gelungen ist, weil es fast als unübersetzbar galt aufgrund der vielen lokalen Anspielungen, aufgrund des mexikanischen Spanisch, dann wiederum des chilenischen Spanisch, das bei Bolaño vorkommt, der vielen Örtlichkeiten etc. Es war sozusagen vom Stil her, so könnte man sagen, fast sprachlich relativ unbekümmert, also ein absichtvoll sehr unliterarischer Stil, ein sehr direkter Stil, aber er hat mit diesem Stil den Eindruck einer großen Authentizität erzielt.

    Schmitz: Vielen Dank für das Gespräch.

    Das Gespräch mit Erich Hackl als Real-Audio

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