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China
Die gefährlichen Machtinteressen im Westpazifik

In den vergangenen Jahren ist es im Ost- und Südchinesischen Meer immer wieder zu Machtrangeleien zwischen China und den Anrainerstaaten gekommen. In seiner Studie "Frieden auf Chinesisch. Warum in Asien Krieg droht" analysiert Jonathan Holslag, Professor für Internationale Politik an der Freien Universität Brüssel, Chinas außenpolitische Ambitionen.

Von Silke Ballweg | 30.11.2015
    Die Spratly Inseln aus der Luft, Zankapfel zwischen (unter anderem) China und Taiwan.
    Ein Atoll im Spratly-Archipel: Umstrittene Aktionen. (dpa/Ritchie B. Tongo / Pool)
    Gleich im Vorwort seiner Studie "Frieden auf Chinesisch. Warum in Asien Krieg droht" macht Autor Jonathan Holslag deutlich: Obwohl es in Asien bisher zu keiner kriegerischen Auseinandersetzung gekommen ist, besteht Anlass zu großer Sorge. Denn Chinas Aufstieg hat das bislang gültige Machtgefüge im asiatischen Raum während der vergangenen Jahre gründlich verändert. Die meisten asiatischen Nachbarn haben dabei an Macht verloren.
    Und doch heftet Holslag der Volksrepublik nicht das Etikett des provozierenden Aggressors an. Denn Chinas machtpolitische Ambitionen unterschieden sich nicht vom Machtstreben anderer Staaten, so der Autor. Im Westpazifik prallten die verschiedenen Akteure schlicht aufeinander. Mit bislang unklarem Ausgang.
    "China versucht, seine Sicherheit durch Macht zu stabilisieren, und sein Zugewinn an Macht schränkt die Sicherheit seiner Nachbarn ein. Dieses Sicherheitsdilemma wird mit der Verschiebung der Machtverhältnisse immer drängender."
    Holslag argumentiert, dass die Volksrepublik seit ihrer Gründung im Jahr 1949 sowohl innen- als auch außenpolitisch von Bestrebungen geleitet war, die heute noch Gültigkeit besitzen. Dazu zählen etwa die Kontrolle über die Grenzregionen in Tibet und Xinjiang oder die Rückeroberung verloren gegangener Territorien, allen voran Taiwan, aber eben auch der von Japan beanspruchten Senkaku-Inseln, die in China Diaoyu heißen. Dabei spielte die Frage nach Chinas internationaler Machtposition in den ersten Jahren der Volksrepublik nur eine nachgeordnete Rolle. Chinas Führung war zunächst damit beschäftigt, die angestrebten sozialistischen Reformen umzusetzen und die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Denn:
    "China war aufgrund seiner zutiefst anarchischen Sicht auf die Weltwirtschaft so besessen von ökonomischer Macht. Man ging davon aus, dass eine starke Regierung eine starke Wirtschaft benötigte, um sich die öffentliche Zustimmung zu sichern und damit zu verhindern, dass andere Mächte Zwietracht säten."
    Verknüpfung des wirtschaftlichen Aufschwungs mit Machtinteressen
    Erst mit dem Ende der Kulturrevolution und dem Tod von Staatsgründer Mao Zedong im Jahr 1976 kam es zu einer echten strategischen Orientierung am Ausland. Maos Nachfolger Deng Xiaoping leitete die Reformen ein, die den Anstoß für den anschließenden Wirtschaftsboom gaben. Auch Deng verknüpfte die Frage nach internationalem Einfluss mit Chinas wirtschaftlicher Bedeutung. Holslag zitiert eine Aussage von Deng, die dies verdeutlicht:
    "Die Rolle, die wir in den internationalen Angelegenheiten spielen, wird durch das Ausmaß unseres Wirtschaftswachstums bestimmt. Je höher sich unser Land entwickelt, je mehr sein Wohlstand steigt, desto eher sind wir in der Lage, auch auf der internationalen Bühne eine noch wichtigere Rolle zu spielen. Bereits heute spielen wir keine unbedeutende Rolle in der Welt. Doch mit einer solideren materiellen Basis, mit größeren materiellen Kräften werden wir sie ausbauen können."
    Und so setzte die chinesische Regierung in den 1980er-Jahren zahlreiche Hebel in Bewegung und kurbelte das Wirtschaftswachstum an. Innerhalb von zehn Jahren stiegen die ausländischen Direktinvestitionen von praktisch Null auf drei Milliarden Dollar im Jahr 1989. Auch Chinas Exporte legten zu:
    "Chinas angestrebte Konsolidierung als Nation stand nun auf solidem wirtschaftlichem Boden, und das war die wichtigste Leistung der Ära Deng Xiaoping."
    Bei den Nachbarn ließ diese Entwicklung die Alarmglocken schrillen. Sie sorgten sich vor Chinas wachsender ökonomischer wie politischer Macht. Die Pekinger Führung versuchte, die Ängste zu zerstreuen, und pries immer wieder die Möglichkeiten an, die sich ausländischen Firmen auf Chinas riesigem Absatzmarkt böten. Zudem erhöhte sie die Schlagzahl an bilateralen Treffen und internationalen Dialogforen.
    Druck auf Nachbarstaaten
    Das aber war nur die eine Seite der Strategie. Denn Peking nahm gleichzeitig billigend in Kauf, dass die Nachbarstaaten unter wachsenden Druck gerieten, weil etwa immer mehr Unternehmen ihre Direktinvestitionen aus den kleineren Ländern Asiens abzogen und nach China umleiteten. Hinzu kam, dass China selbst die Nachbarn in Bedrängnis brachte. Denn im bilateralen Handel war es vor allem an Rohstoffen interessiert. Holslag schreibt:
    "In seinem Streben nach industrieller Leistungsfähigkeit zwingt es andere Entwicklungsländer in die Rolle des Rohstofflieferanten. Die Arbeitsteilung zwischen China und den meisten seiner Nachbarn wird immer extremer. China übernimmt die Fertigung und lässt den Primärsektor anderen."
    Die Territorialkonflikte im ost- und südchinesischen Meer wurden durch Pekings neu gewonnenes Selbstbewusstsein während der vergangenen Jahre angeheizt. Denn die Volksrepublik hält nicht nur an ihren Ansprüchen fest, sondern will zudem die Vormachtstellung der USA im Westpazifik zurückdrängen - ein Unterfangen, dem sich Washington bislang jedoch mit demonstrativer Militärpräsenz widersetzt hat.
    Um die Unterstützung für die USA bei seinen Verbündeten wie Japan, Südkorea oder Vietnam zu brechen, versucht China mittlerweile einen Keil zwischen die asiatischen Länder zu treiben. Und schüttet Riffe auf, um seine Ansprüche eindrucksvoll zu untermauern. Nach wie vor geht es Peking um die Frage, wie kann es die Souveränität des eigenen Landes garantieren.
    "China strebt Sicherheit durch Macht an und mehr Macht, um noch mehr Sicherheit zu erlangen."
    Schreibt Holslag. Und er ist dabei gleichzeitig überzeugt:
    "Das Sicherheitsdilemma, an dem beide Mächte beteiligt sind, ist die Ursache der anhaltenden Spannungen und keineswegs trägt China alleine die Verantwortung."
    Mit seiner informativen und hintergründig geschriebenen Studie kommt Holslag zu dem Ergebnis: Angesichts der aktuellen Wirtschaftsflaute in Asien ist weniger mit Entspannung denn mit zunehmender Rivalität in Asien zu rechnen. Nicht unwahrscheinlich, dass der vor allem in Krisenzeiten zutage tretende Nationalismus sowohl in China als auch bei seinen Nachbarn wieder anschwellen wird.
    Auf die schwächelnde Konjunktur könnte China zudem mit Wirtschaftsprotektionismus reagieren, eine Entwicklung, die für kleinere Länder im Extremfall den Ruin bedeuten könnte. An den ungelösten Territorialkonflikten könnten sich schließlich sogar militärische Konflikte entzünden.
    Buchinfos:
    Jonathan Holslag: "Frieden auf Chinesisch. Warum in Asien Krieg droht"
    Edition Körber-Stiftung, Übersetzung: Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher, 300 Seiten, Preis: 17,00 Euro, ISBN: 978-3-89684-170-4