Müller: Diese Krise, diese politische Auseinandersetzung ist jedoch längst mehr als nur ein Streit um die Geschichtsbücher. Darüber wollen wir nun reden mit Professor Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik. Guten Morgen.
Sandschneider: Schönen guten Morgen.
Müller: Herr Sandschneider, sind die Chinesen zu Recht sauer?
Sandschneider: Zum Teil sind sie zu Recht sauer, aber Ihr Beitrag hat das gerade wunderschön in eine Relation gesetzt. Natürlich ist man aus chinesischer Sicht darüber verärgert, dass die japanischen Schulbücher bestimmte Phasen der traurigen gemeinsamen Geschichte verharmlosen. Aber auf der anderen Seite gilt das Sprichwort: wer im Glashaus sitzt. Und China sitzt selbst im Glashaus, wie wir gerade gehört haben.
Müller: Also, das eine hat schon etwas mit dem anderen auch zu tun?
Sandschneider: Selbstverständlich. Das wird natürlich zum Teil auch instrumentalisiert. Das Stichwort Nationalismus ist gefallen. Jede Form, drohenden sozialen Druck, der sich in Unruhen äußert, in irgendeiner Weise zu kanalisieren, ist und muss der chinesischen Regierung sogar recht sein, um nicht in die Gefahr zu geraten, an den eigenen inneren sozialen Zerwürfnissen zu zerbrechen.
Müller: Herr Sandschneider, nun ist das ja nicht unverfroren, von einer Demokratie mit Blick auf Geschichtsaufarbeitung mehr zu verlangen als von China?
Sandschneider: Das ist sicherlich richtig. An dieser einen Stellen haben die chinesischen Vorwürfe Recht. Die japanische Politik, die japanische Bildungspolitik wäre sicherlich gut beraten, an dieser Stelle etwas offener auch mit der kritischen Auseinandersetzung der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit umzugehen. Wir wissen selbst in Deutschland wie schwierig das ist und dass das uns immer wieder ein Stückchen weit auch einholt in unseren politischen Debatten. In Japan werden diese Debatten an vielen Stellen noch durch eine Politik der Verdrängung, des Verschweigens ersetzt.
Müller: Gibt es eine Erklärung dafür, warum das in Japan so ist?
Sandschneider: Das ist schwierig zu erklären. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass diejenigen, die Verantwortung getragen haben, es geschafft haben, dafür zu sorgen, dass solche Debatten nicht rechtzeitig thematisiert worden sind. Vielleicht kann man aber auch von einer Kultur des Konsenses sprechen, der gerade diese wirklich aufwühlenden und schwierigen Elemente lieber durch Verschweigen verarbeitet als durch Aussprechen.
Müller: Nun ist ja, Herr Sandschneider, immer wieder zu lesen in diesen Tagen, ich habe das gerade auch in der Moderation behauptet, es geht ja um mehr als nur um den Streit über Geschichtsbücher. Was ist der wahre Hintergrund dieses Konflikts?
Sandschneider: Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Spannungen zwischen diesen beiden Ländern. Wobei man aus europäischer Sicht sagen muss, man muss schon sehr genau hinschauen, um zu sehen, wie intensiv diese Spannungen sind. Es ist beispielsweise unverkennbar, dass sich Japan durch die militärische Modernisierung Chinas in wachsendem Maße bedroht fühlt. Insofern in enger Kooperation mit den USA versucht, seine Sicherheitspolitik zu organisieren. Das wiederum ist für China natürlich ein Problem an vielen anderen Stellen, da fällt sehr schnell das Stichwort Taiwan, wo beide großen Mächte sich relativ direkt gegenüberstehen. Es gibt auf der anderen Seite aber natürlich auch das kooperative Moment. Japan ist einer der größten Investoren in China, muss aber gleichzeitig in wachsendem Maße auf dem eigenen Markt, aber auch weltweit die Konkurrenzfähigkeit Chinas fürchten. Es ist ein Geben und Nehmen, allerdings mit hohen Risikoanteilen in Ostasien.
Müller: Ist das aber berechtigt aus japanischer Sicht, sich von China bedroht zu fühlen?
Sandschneider: Direkt bedroht fühlen muss sich Japan sicherlich nicht. China ist alles andere, nur keine Macht, die weder heute oder traditionell ihre Nachbarn militärisch zu kujonieren versucht, die Ausnahme bildet Taiwan. Aber Bedrohungswahrnehmungen, das wissen wir auch aus unserer eigenen Geschichte, sind in der Politik enorm wichtig. Wir müssen schlicht und ergreifend feststellen, Japan fühlt sich durch die wachsende Macht Chinas in vielerlei Beziehung unmittelbar bedroht.
Müller: Herr Sandschneider, bleiben wir bei Ihrem Stichwort: militärische Modernisierung Chinas. Ist das eine Modernisierung, ist das eine Aufrüstung, die über die reinen Sicherheitsbedürfnisse des Landes hinausgeht?
Sandschneider: Nein, die Sicherheitsbedürfnisse des Landes sind eigentlich gar nicht so dramatisch, weil China es auch in allen sensitiven Bereichen geschafft hat, mit den Betroffenen auf gütlichem Wege Einvernehmen zu erzielen. Das gilt für Russland entlang der gemeinsamen Grenze, das gilt mit Indien entlang der gemeinsamen Grenze. Dafür muss man nicht militärisch aufrüsten. Die Aufrüstung hat schon natürlich auch den Beigeschmack, die derzeitige Regionalmacht allmählich in den Supermachtstatus zu bringen. An einer bestimmten Stelle ist die militärische Rüstung natürlich instrumentell wichtig, das ist Taiwan, bis heute. Das haben wir in den letzten Wochen und Monaten noch einmal sehr deutlich gesehen, gibt es gegenüber Taiwan keinen militärischen Gewaltverzicht.
Müller: Herr Sandschneider, wenn Sie sich mit Regierungspolitikern, Parlamentsabgeordneten unterhalten, plädieren Sie dann dafür, das Waffenembargo gegen China aufzuheben?
Sandschneider: Das ist eine spannende Frage an einem Tag, an dem der Kanzler dazu eine Regierungserklärung abgibt. Der Kanzler hat im Prinzip Recht, das ist symbolische Politik, darauf kann man verzichten, da wird sich auch fundamental nicht zwangsläufig etwas an der Politik verändern. Aber das ist eine Frage, die man nicht mit Ja oder Nein beantworten kann. Mir fehlt in den Debatten manchmal die Differenzierung, die darauf hinweist, solange man das aus deutscher Sicht nicht transatlantisch sauber kommuniziert hat und mit den Amerikanern zu einer gemeinsamen Position gekommen ist, solange ist der Schaden in den transatlantischen Beziehungen deutlich größer als der Nutzen in den Wirtschaftsbeziehungen zu China, wenn man einfach einseitig voranprescht und dieses Waffenembargo aufhebt.
Müller: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, sagen Sie, rein sicherheitspolitisch betrachtet ist es irrelevant?
Sandschneider: Völlig. Es ist ein symbolischer Akt, der sehr eng mit dem Jahr 1989 verbunden ist und der im übrigen, darauf muss man immer wieder hinweisen, wenn das Embargo aufgehoben würde, bedeutet das nicht, dass man nun zwangsläufig mehr Waffen nach China verkaufen müsste oder könnte. Die chinesische Seite muss sie auch erst mal kaufen, es gibt deutlich billigere Anbieter auf dem Weltmarkt, wo es ja auch schon funktioniert.
Müller: Aber die Chinesen wollen das?
Sandschneider: Die Chinesen wollen das Symbol, das sich mit dem Juni 1989 verbindet, loswerden. Das ärgert sie, das stigmatisiert sie. Das ist es aber auch schon an ihrer Seite. Sie drängen nicht einmal besonders. Der Kanzler weiß, wenn er ihnen diesen Gefallen tut, werden manche Wirtschaftsgespräche in China in Zukunft besser laufen, einfacher laufen und auf diese Politik setzt er.
Müller: Also doch?
Sandschneider: Aufheben? Ja, selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen, dass alle Waffenexportrichtlinien, die die Bundesrepublik hat, immer noch nach wie vor in Kraft sind. Wenn wir keine Waffen nach Taiwan verkaufen, weil es ein Krisengebiet ist, dann können wir auch tunlichst keine Waffen nach China verkaufen, weil China genau der Spannungspartner in diesem Krisengebiet ist. Man kann den Chinesen das Symbol geben, wenn man sichergestellt hat, dass die Kolateralschäden in unseren sonstigen auswärtigen Beziehungen nicht überdimensioniert groß sind, ohne dass man deshalb zu einem großen Waffenhändler mit China werden muss.
Müller: Professor Eberhard Sandschneider war das, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik.
Sandschneider: Schönen guten Morgen.
Müller: Herr Sandschneider, sind die Chinesen zu Recht sauer?
Sandschneider: Zum Teil sind sie zu Recht sauer, aber Ihr Beitrag hat das gerade wunderschön in eine Relation gesetzt. Natürlich ist man aus chinesischer Sicht darüber verärgert, dass die japanischen Schulbücher bestimmte Phasen der traurigen gemeinsamen Geschichte verharmlosen. Aber auf der anderen Seite gilt das Sprichwort: wer im Glashaus sitzt. Und China sitzt selbst im Glashaus, wie wir gerade gehört haben.
Müller: Also, das eine hat schon etwas mit dem anderen auch zu tun?
Sandschneider: Selbstverständlich. Das wird natürlich zum Teil auch instrumentalisiert. Das Stichwort Nationalismus ist gefallen. Jede Form, drohenden sozialen Druck, der sich in Unruhen äußert, in irgendeiner Weise zu kanalisieren, ist und muss der chinesischen Regierung sogar recht sein, um nicht in die Gefahr zu geraten, an den eigenen inneren sozialen Zerwürfnissen zu zerbrechen.
Müller: Herr Sandschneider, nun ist das ja nicht unverfroren, von einer Demokratie mit Blick auf Geschichtsaufarbeitung mehr zu verlangen als von China?
Sandschneider: Das ist sicherlich richtig. An dieser einen Stellen haben die chinesischen Vorwürfe Recht. Die japanische Politik, die japanische Bildungspolitik wäre sicherlich gut beraten, an dieser Stelle etwas offener auch mit der kritischen Auseinandersetzung der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit umzugehen. Wir wissen selbst in Deutschland wie schwierig das ist und dass das uns immer wieder ein Stückchen weit auch einholt in unseren politischen Debatten. In Japan werden diese Debatten an vielen Stellen noch durch eine Politik der Verdrängung, des Verschweigens ersetzt.
Müller: Gibt es eine Erklärung dafür, warum das in Japan so ist?
Sandschneider: Das ist schwierig zu erklären. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass diejenigen, die Verantwortung getragen haben, es geschafft haben, dafür zu sorgen, dass solche Debatten nicht rechtzeitig thematisiert worden sind. Vielleicht kann man aber auch von einer Kultur des Konsenses sprechen, der gerade diese wirklich aufwühlenden und schwierigen Elemente lieber durch Verschweigen verarbeitet als durch Aussprechen.
Müller: Nun ist ja, Herr Sandschneider, immer wieder zu lesen in diesen Tagen, ich habe das gerade auch in der Moderation behauptet, es geht ja um mehr als nur um den Streit über Geschichtsbücher. Was ist der wahre Hintergrund dieses Konflikts?
Sandschneider: Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Spannungen zwischen diesen beiden Ländern. Wobei man aus europäischer Sicht sagen muss, man muss schon sehr genau hinschauen, um zu sehen, wie intensiv diese Spannungen sind. Es ist beispielsweise unverkennbar, dass sich Japan durch die militärische Modernisierung Chinas in wachsendem Maße bedroht fühlt. Insofern in enger Kooperation mit den USA versucht, seine Sicherheitspolitik zu organisieren. Das wiederum ist für China natürlich ein Problem an vielen anderen Stellen, da fällt sehr schnell das Stichwort Taiwan, wo beide großen Mächte sich relativ direkt gegenüberstehen. Es gibt auf der anderen Seite aber natürlich auch das kooperative Moment. Japan ist einer der größten Investoren in China, muss aber gleichzeitig in wachsendem Maße auf dem eigenen Markt, aber auch weltweit die Konkurrenzfähigkeit Chinas fürchten. Es ist ein Geben und Nehmen, allerdings mit hohen Risikoanteilen in Ostasien.
Müller: Ist das aber berechtigt aus japanischer Sicht, sich von China bedroht zu fühlen?
Sandschneider: Direkt bedroht fühlen muss sich Japan sicherlich nicht. China ist alles andere, nur keine Macht, die weder heute oder traditionell ihre Nachbarn militärisch zu kujonieren versucht, die Ausnahme bildet Taiwan. Aber Bedrohungswahrnehmungen, das wissen wir auch aus unserer eigenen Geschichte, sind in der Politik enorm wichtig. Wir müssen schlicht und ergreifend feststellen, Japan fühlt sich durch die wachsende Macht Chinas in vielerlei Beziehung unmittelbar bedroht.
Müller: Herr Sandschneider, bleiben wir bei Ihrem Stichwort: militärische Modernisierung Chinas. Ist das eine Modernisierung, ist das eine Aufrüstung, die über die reinen Sicherheitsbedürfnisse des Landes hinausgeht?
Sandschneider: Nein, die Sicherheitsbedürfnisse des Landes sind eigentlich gar nicht so dramatisch, weil China es auch in allen sensitiven Bereichen geschafft hat, mit den Betroffenen auf gütlichem Wege Einvernehmen zu erzielen. Das gilt für Russland entlang der gemeinsamen Grenze, das gilt mit Indien entlang der gemeinsamen Grenze. Dafür muss man nicht militärisch aufrüsten. Die Aufrüstung hat schon natürlich auch den Beigeschmack, die derzeitige Regionalmacht allmählich in den Supermachtstatus zu bringen. An einer bestimmten Stelle ist die militärische Rüstung natürlich instrumentell wichtig, das ist Taiwan, bis heute. Das haben wir in den letzten Wochen und Monaten noch einmal sehr deutlich gesehen, gibt es gegenüber Taiwan keinen militärischen Gewaltverzicht.
Müller: Herr Sandschneider, wenn Sie sich mit Regierungspolitikern, Parlamentsabgeordneten unterhalten, plädieren Sie dann dafür, das Waffenembargo gegen China aufzuheben?
Sandschneider: Das ist eine spannende Frage an einem Tag, an dem der Kanzler dazu eine Regierungserklärung abgibt. Der Kanzler hat im Prinzip Recht, das ist symbolische Politik, darauf kann man verzichten, da wird sich auch fundamental nicht zwangsläufig etwas an der Politik verändern. Aber das ist eine Frage, die man nicht mit Ja oder Nein beantworten kann. Mir fehlt in den Debatten manchmal die Differenzierung, die darauf hinweist, solange man das aus deutscher Sicht nicht transatlantisch sauber kommuniziert hat und mit den Amerikanern zu einer gemeinsamen Position gekommen ist, solange ist der Schaden in den transatlantischen Beziehungen deutlich größer als der Nutzen in den Wirtschaftsbeziehungen zu China, wenn man einfach einseitig voranprescht und dieses Waffenembargo aufhebt.
Müller: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, sagen Sie, rein sicherheitspolitisch betrachtet ist es irrelevant?
Sandschneider: Völlig. Es ist ein symbolischer Akt, der sehr eng mit dem Jahr 1989 verbunden ist und der im übrigen, darauf muss man immer wieder hinweisen, wenn das Embargo aufgehoben würde, bedeutet das nicht, dass man nun zwangsläufig mehr Waffen nach China verkaufen müsste oder könnte. Die chinesische Seite muss sie auch erst mal kaufen, es gibt deutlich billigere Anbieter auf dem Weltmarkt, wo es ja auch schon funktioniert.
Müller: Aber die Chinesen wollen das?
Sandschneider: Die Chinesen wollen das Symbol, das sich mit dem Juni 1989 verbindet, loswerden. Das ärgert sie, das stigmatisiert sie. Das ist es aber auch schon an ihrer Seite. Sie drängen nicht einmal besonders. Der Kanzler weiß, wenn er ihnen diesen Gefallen tut, werden manche Wirtschaftsgespräche in China in Zukunft besser laufen, einfacher laufen und auf diese Politik setzt er.
Müller: Also doch?
Sandschneider: Aufheben? Ja, selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen, dass alle Waffenexportrichtlinien, die die Bundesrepublik hat, immer noch nach wie vor in Kraft sind. Wenn wir keine Waffen nach Taiwan verkaufen, weil es ein Krisengebiet ist, dann können wir auch tunlichst keine Waffen nach China verkaufen, weil China genau der Spannungspartner in diesem Krisengebiet ist. Man kann den Chinesen das Symbol geben, wenn man sichergestellt hat, dass die Kolateralschäden in unseren sonstigen auswärtigen Beziehungen nicht überdimensioniert groß sind, ohne dass man deshalb zu einem großen Waffenhändler mit China werden muss.
Müller: Professor Eberhard Sandschneider war das, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik.
