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China
Kleinanleger leiden unter Börsenturbulenzen

Der Aktienhandel in Deutschland – das ist vor allem etwas für große Anleger. Kleinanleger scheuen das Parkett. Anders ist es in China: Dort gibt es viele Kleinanleger – und die haben sich in diesem Jahr ordentlich die Finger verbrannt.

Von Markus Rimmele | 29.12.2015
    Zwei Männer sitzen in Huaibei vor einer Anzeigentafel mit Börsenkursen
    Chinesische Investoren beobachten an der Börse in Huaibei die Kurse (picture alliance / dpa / Xie Zhengyi)
    Am 21. April erscheint in Chinas Volkszeitung, dem Sprachrohr der Kommunistischen Partei, ein Börsenkommentar. Der Shanghai Composite Index hat wenige Tage zuvor die 4.000er-Marke überschritten, liegt damit schon glatt doppelt so hoch wie ein Jahr zuvor. Die Kurse schießen weiter in die Höhe, obwohl sich die Konjunktur immer mehr eintrübt. Westlichen Medien ist die Entwicklung unheimlich. Sie warnen vor dem Platzen einer Blase.
    Nicht so der Kommentator des einflussreichen Parteimediums. Man befinde sich erst am Anfang eines guten Börsenmarktes, eines langen Aufwärtstrends, schreibt er.
    Chinas Anleger glauben den Verheißungen der Staatsmedien. Schließlich spricht da ja die Regierung. Außerdem fehlt es an Anlagealternativen – die Zinsen sind niedrig, die Immobilienpreise sinken. Die Leute folgen dem Herdentrieb und kaufen Aktien. Viele nehmen sogar Kredite auf, um Geld in die Börse stecken zu können.
    "Der chinesische Aktienhandel wird von Kleinanlegern dominiert. Sie machen 80 Prozent des Umsatzes aus", sagt Steve Yang von der Großbank UBS in Schanghai. "Kleinanleger orientieren sich vor allem an Nachrichten und lassen sich von Regierungsverlautbarungen beeinflussen. Sie schauen sich kaum die Unternehmensfakten an wie den Ertragszuwachs oder die Bewertung."
    Absturz ins Bodenlose
    Sieben Wochen nach dem Kommentar, am 12. Juni, hat der Schanghai Composite den Scheitelpunkt erreicht. Er steht bei 5.166 Punkten. Dann stürzt er ab. In einer Shanghaier Aktien-Handelshalle schauen Anleger dabei zu, wie die Kurse in Bodenlose purzeln.
    "Für Leute in meinem Alter ist der Aktienmarkt zunehmend unpassend, körperlich und psychisch", so diese ältere Dame. "All diese Kursverluste mitzumachen, nach zuvor hohen Gewinnen, das ist anstrengend!"
    Der Absturz erfolgt in mehreren Wellen. Am 26. August erreicht der Schanghai Composite schließlich seinen Tiefststand mit 2.927 Zählern. Er hat sich seit dem Scheitelpunkt im Juni fast halbiert. Die Gewinne der Börsenrally sind nahezu komplett vernichtet. Es trifft vor allem die Kleinanleger, die erst spät zu Höchstpreisen eingestiegen sind.
    Ein Desaster, das für viele absehbar war. Seither machen Zweifel am ökonomischen Sachverstand der chinesischen Technokraten-Regierung die Runde. Peking wollte – so eine verbreitete Interpretation – über die Geldschwemme am Aktienmarkt die hoch verschuldeten Staatskonzerne mit frischem Kapital versorgen. Dass Blasen irgendwann platzen, damit hatten die Regierenden wohl nicht gerechnet.
    Weltweites Kopfschütteln
    Kopfschütteln rief weltweit auch Pekings Reaktion auf den Börsencrash hervor. Der Staat setzte das Spiel des Marktes außer Kraft. Der Handel eines Großteils der Aktien wurde gestoppt. Börsengänge verboten. Großinvestoren durften keine Papiere mehr abstoßen. Aktienfonds mussten stattdessen Werte kaufen. Der Staat versorgte sie dafür mit unzähligen Milliarden.
    "Ich glaube, die Leute, die hier in die Börse eingreifen, verstehen die Marktwirtschaft nicht", sagt der unabhängige Volkswirt Andy Xie in Hongkong. "Sie glauben zu sehr an die Regierungsmacht. Sie sind erstaunt, warum der Markt nicht so reagiert, wie sie es wünschen. Sie sagen: Ich bin so mächtig, und ich will dass dies und das eintritt. Und weil ich so mächtig bin, wird es eintreten."
    Peking streitet Mitverantwortung ab
    Eine Mitverantwortung an den Turbulenzen hat Peking bis heute nicht eingeräumt. Stattdessen präsentierte die Regierung noch im August die aus ihrer Sicht Schuldigen: Einen Journalisten, der Gerüchte verbreitet haben soll, einen Beamten der Börsenaufsicht und mehrere Wertpapierhändler wegen angeblicher Korruption und Insiderhandels.