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China könnte "Hauptopfer" der Weltwirtschaftskrise werden

Nach langjährigen Wachstumsraten von 20 Prozent im Jahr soll das Bruttoinlandsprodukt Chinas nächstes Jahr nur noch um etwa sieben Prozent wachsen. Was sich für europäische Verhältnisse beneidenswert anhört, wird China zu einem Hauptopfer der Wirtschaftskrise machen, sagt der Asienkundler Oskar Weggel. Schon jetzt müsse sich das Land mit Billionen-Beträgen gegen das schrumpfende Wachstum stemmen.

Oskar Weggel im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Die Wirtschaftskrise ist global. Hausgemachte Gründe kommen hier und da hinzu, aber selbst Boomländer wie China sind betroffen. Dort wird jetzt die Produktion beim Glanzstück Volkswagen reduziert. China ist deshalb wichtig für uns, weil die Nachfrage nach Rohstoffen Auswirkungen auf die Preisentwicklung hat, zum Beispiel beim Öl. Jetzt also Zeichen der Krise auch in China.
    Mitgehört hat der China-Experte Oskar Weggel, lange Jahre tätig beim Institut für Asienkunde in Hamburg. Zunächst mal guten Tag, Herr Weggel.

    Oskar Weggel: Guten Tag, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Weggel, die Produktion beim Glanzstück VW in China bricht ein. Ist das nur ein punktuelles Einbrechen, etwa weil die Nachfrage für Autos abschwächt? Wie sieht es mit der Wirtschaft in China allgemein aus?

    Weggel: Viel Beunruhigendes liegt hier natürlich in der Luft. Zunächst einmal, um nur einige Zahlen zurück, geht das BIP zurück. 2007 hatten die noch 11,4 Prozent, etwas was für uns fast unvorstellbar ist. 2008 wird das ganze auf 9 Prozent sinken, 2009 dann auf 7,5 Prozent. Das ist zwar immer noch viel, aber die Chinesen brauchen ein hohes Wachstum. Ich nenne noch zwei weitere Zahlen. Wir haben einen großen Aktienabsturz zu verzeichnen. Von 2006 bis 2008 sind die Aktien dort beispielsweise um 450 Prozent gestiegen, aber schon am schwarzen Freitag, am 18. 08. 2008, hat es einen Rückgang von 6124 auf 2,319 Punkte gegeben. Das sind also 63 Prozent und seitdem geht es laufend weiter abwärts. Weiterhin haben wir als drittes ein Inflationsproblem, das 2007 bei ungefähr sieben Prozent gelegen ist, das jetzt aber langsam im Begriffe ist, in eine Deflation überzugehen. Das alles sind beunruhigende Zahlen, die erklären, warum Einzelpunkte wie beispielsweise der Rückgang der VW-Produktion so stark markiert sind.

    Liminski: Warum, Herr Weggel, muss denn das Wachstum in China so hoch sein? Sieben Prozent oder mehr, ich erinnere mich nicht, dass wir in EU-Europa in den letzten 20 Jahren je solche Zahlen hatten. Warum reichen nicht drei oder vier Prozent?

    Weggel: Wir würden uns in der Tat die Finger abschlecken, wenn wir nur drei oder vier Prozent hätten, von 7,5 Prozent oder gar von 11,4 Prozent ganz zu schweigen. Aber China braucht es. Wenn man eine grüne BIP-Rechnung aufstellt, dann hat China wahrscheinlich trotz des hohen Zuwachses in den letzten Jahren ins Negative hineinproduziert, weil unendlich viel an Umwelt zerstört worden ist, also China an seiner eigenen Substanz gezehrt hat. Dieses hohe Wachstum ist aber auch weiterhin nötig, um die Arbeitsplätze zu erhalten, um Investitionen zu tätigen. Es deutet vieles darauf hin, dass die VR China mit ihrer bisher so glänzenden Wirtschaft wegen dieses zurückgehenden Wachstums zu einem der Hauptopfer überhaupt der Weltwirtschaftskatastrophe wird.

    Liminski: Ist denn die Wirtschaftskrise für China überhaupt sozial verträglich, wenn man das hört? Muss man mit Aufruhr oder Unruhen rechnen?

    Weggel: Ja. China hat drei Hauptprobleme in sozialer Hinsicht. Das ist zunächst mal Arbeitslosigkeit. Das Wanderarbeiterproblem steht hier im Vordergrund. Dann das stärker werdende Gefälle zwischen Küste und Hinterland, zwischen einzelnen Hochverdienstgruppen und dem großen Durchschnitt. Und dann schließlich noch ein Altersproblem. Die beiden letzteren Probleme werden durch diese Weltwirtschaftskrise jetzt weniger angesprochen, aber das Arbeitslosenproblem beginnt natürlich wieder zu wachsen. China ist eine Volkswirtschaft, deren BIP, das heißt also deren Bruttoinlandsprodukt, hauptsächlich gefördert worden ist in den letzten Jahren durch Exporte, Exporte und noch mal Exporte. Deswegen waren die Produktionsorte im Perlfluss-Delta in Schen schen, einem großen Industrieort in der Nähe von Hongkong, so unendlich wichtig. Die Aufträge fallen jetzt weg, weil vor allem die Amerikaner nicht mehr nachfragen. Deswegen hat in der Zwischenzeit bereits auch eine große Rückwanderungswelle von Wanderarbeitern in ihre Heimat begonnen. Das ist eine Bewegung, der die Regierung entgegen zu wirken versucht, indem sie ein gewaltiges Konjunkturprogramm aufgelegt hat, das wohl einzigartig in der heutigen Weltgeschichte ist, nämlich die Zentrale hat 460 Milliarden – man muss sich das mal anhören – Euro hineingepumpt, um die Konjunktur zu halten, und kurze Zeit später haben die Provinzen noch ein weiteres Programm von 1,5 Billionen Euro zugesagt. Ob sie das je zahlen können, ist eine andere Frage, aber man sieht: Die chinesische Führung ist ungeheuer darauf aus, sich einem Einbruch entgegenzustemmen, und sie bereitet die Bevölkerung gleichzeitig auf einen Bewusstseinswandel, auf das so genannte Überwintern vor, was als solcher Ausdruck schon sehr viel aussagt.

    Liminski: Noch mal die Frage: Muss man denn mit Aufruhr oder Unruhen rechnen, wenn dieses Programm nicht greift?

    Weggel: Ja. Das ist eines der ganz großen Probleme, die man immer schon im Hinterkopf hatte. Bisher hat es immer geheißen, wenn es den Bauern gut geht, dann geht es der ganzen Wirtschaft gut. In der Zwischenzeit ist ja doch sehr viel Bevölkerung hineingezogen worden in diesen leichtindustriellen Prozess und deswegen kann man sagen, wenn es in der Zwischenzeit der Leichtindustrie schlecht geht, dann geht es dem ganzen Land schlecht und dann ist mit Unruhen zu rechnen. Die Führung hat ungeheuere Angst davor und diese gewaltigen, fast unvorstellbaren Summen, die da jetzt als Gegenmaßnahme hineingepumpt werden in die Wirtschaft, sind ein Beweis für die Angst dieser Regierung.

    Liminski: Die Wirtschaftskrise ist global und trifft aufstrebende Länder wie China besonders hart. Das war der China-Experte Oskar Weggel. Besten Dank für das Gespräch, Herr Weggel.

    Weggel: Vielen Dank, Herr Liminski.