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China's Next Top Model

Trends kommen und Trends gehen. Aber nach welchen Gesetzen entstehen sie, wie verbreiten sie sich, und warum gehen sie irgendwann auch wieder unter? Und wie verhält es sich vor allem mit internationalen Trends, mit Modeerscheinungen, die um die ganze Welt, oder zumindest einen großen Teil dieser Welt ziehen? Diesen Fragen ging kürzlich eine vom Heidelberger Exzellenzcluster "Asien und Europa im globalen Kontext" veranstaltete internationale Konferenz nach. Sie untersuchte das Phänomen im asiatischen Raum - der zumindest, was Trends angeht, längst ein internationaler Raum ist.

Von Kersten Knipp | 23.02.2012
    Wie kleiden sich die Menschen unterschiedlicher asiatischer Länder, was gefällt ihnen und warum? Dass der "Clash of Civilizations", der Zusammenprall der Kulturen, zumindest im Bereich der Mode wie überhaupt der Begeisterung für das Schöne nicht besteht, war eines der Ergebnisse der Tagung.

    Da posieren sie vor der Kamera, die schlanken, hochgewachsenen Models, ziehen sich erst dieses Kostüm über und dann jenes, ganz den Anweisungen der Fotografen entsprechend. Ob Neu-Delhi, Mumbai oder auch Kalkutta: Die indische Modefotografie ist längst auf globalem professionellem Standard angekommen. Und so sind dorthin auch viele Models aus Osteuropa und Lateinamerika gekommen, die in der indischen Modewelt eine große Rolle spielen. Natürlich hat das finanzielle Gründe, erläutert die Kulturwissenschaftlerin Laila Abu Er-Rub. Denn Models aus diesen Ländern sind, wenn sie nicht zur ersten Kategorie ihres Berufs gehören, günstiger als die lokalen Models. Hinzu komme aber ein weiteres:

    "Und dazu entsprechen sie, ästhetisch gesehen, einem internationalen Standard. Ich habe ganz oft gehört, zum Beispiel, wenn es um brasilianische Models ging, dass 'Brazilians, they look like Indians. But they have a better body'. Das sind so Sachen, die man gehört hat: Ein 'better body' war eben nicht unbedingt bezogen auf das lokale Schönheitsideal, sondern auf das Schönheitsideal, das in den Medien vorherrscht, und das man bedienen muss in der kommerziellen Werbung."

    Ein "better body": Das ist der, den man auch anderswo sieht, auf den amerikanischen und europäischen Ausgaben der großen Modezeitschriften. Hübsch ist, was global ist, und umgekehrt. Denn das Globale ist das Erstrebenswerte - zumal dann, wenn es zu lokalen Gepflogenheiten nicht in Widerspruch steht. Laila Abu Er-Rub:
    "Leute, die in die Produktionsprozesse in solchen Medien involviert sind, die möchten beides haben. Die möchte zum einen ein Model haben, das als lokal erkannt wird und auch einem gewissen lokalen Schönheitsideal entspricht. Auf der anderen Seite soll aber auch etwas Modernes, etwas Globales transportiert werden. Und das wurde von meinen Informanten dann oft mit einem "international look" umschrieben. ... Es wird eben ein moderner globaler Bürge, ein moderner Mensch eben porträtiert. Der wohlhabend ist und der dementsprechend auch eine gewisse Körpersprache hat und ein gewisses Styling und auch eine gewisse Kleidung trägt."

    Ein wenig anders stellt sich die Lage in China dar. Dort wurden die Models in den letzten Jahren in immer freizügigerer Kleidung fotografiert. Auch das markiert einen starken Trend, erläutert die Sinologin Annika Jöst.

    "Also es war im kommunistischen China so, dass die Models oder die Frauen, die in den Frauenzeitschriften dargestellt wurden, eher defeminized, also defeminisiert wurden. Das maoistische Ideal war die Frau in ihrem Mao-Anzug, die genau die Arbeiten erledigen konnte, die auch ein Mann erledigen konnte, und die dementsprechend auch die gleiche Statur hatte. Im Zuge der Öffnungspolitik seit den 80er-Jahren erscheint dieses Bild nun langsam etwas anders, auch im Zuge dessen, dass Mode einen wichtigeren Stellenwert in der chinesischen Gesellschaft einnimmt. Auf den Covern sieht man jetzt chinesische Models, die in international gängigen Posen und in international gängiger Mode dargestellt werden, und eben auch in sehr freizügigen Posen."

    Bis vor einigen Jahren entsprach die Darstellung der Models der auch sonst zu beobachtenden Internationalisierung der chinesischen Presse. Dabei galten die westlichen Models als Blickfänger und fungierten erfolgreich als Kaufanreiz. Mittlerweile aber sind die großen Modemagazine in China bereits seit gut 20 Jahren auf dem Markt. Längst haben sie sich etabliert - und sind darum auf den Kaufanreiz durch westliche Models nicht mehr angewiesen.

    "In beiden Ländern war es vorher üblich, die westliche Frau als das sexualisierte Andere zu betrachten. Das kann man sich ungefähr vorstellen wie, dass man Eigenschaften - und das ist ganz normal im 'othering' - die man bei sich selbst nicht haben möchte, auf das vermeintlich Andere projiziert. Durch die Ankunft der Konsumkultur und der globalen Medien in Asien hat sich das eben gewandelt: Jetzt werden auch in Asien Frauen sexualisiert dargestellt. Und es ist keine Seltenheit mehr, dass man indische oder chinesische Frauen in Unterwäsche sieht - auf Anzeigen, im Fernsehen, in Filmen. Und seitdem haben wir eben beobachtet, dass die Unterschiede zumindest in der visuelle Repräsentation von Asiaten und Westlern langsam, aber sicher verschwinden."

    Doch das chinesische Publikum schaut nicht nur - es inszeniert sich auch selbst. Etwa, wenn es Kaffe trinkt, vorzugsweise den der derzeit sehr populären amerikanischen Kette Starbucks. Die Kunden dieses Unternehmens, erläutert die Sinologin Lena Henningsen, sind überwiegend junge Berufstätige in guten Positionen, die es sich leisten können, so viel für einen Kaffee auszugeben wie andere Leute für vier Mahlzeiten. Doch warum ist der Kaffee so teuer? Schmeckt er besser als anderer Kaffee? Nicht unbedingt. Wesentlich ist etwas anderes: Der Kaffee präsentiert ein bestimmtes Lebensgefühl. Und dieses Gefühl, erklärt Henningsen, wird auch von anderen kulturellen Medien aufgegriffen.

    "Wenn ein taiwanesischer Bestseller nach China kommt, ist es zunächst einmal gar nicht so anders, als wenn amerikanisches Fast Food nach China kommt. Und beides hat unglaublich viel miteinander zu tun - wenn dann in diesem taiwanesischen Roman Fast Food und der Konsum von Kaffee unglaublich prominent sind und ganz eng verbunden sind mit romantischer Liebe und sich dieser taiwanesische Roman dann in China zu einem Bestseller entwickelt. Der war ein Bestseller in den späten 90ern, frühen 2000er. Wenn man mit der Generation der heute 30-Jährigen redet, und diesen Roman erwähnt, dann gehen sofort die Augen auf und: Ja, dieser Roman, damals habe ich ihn gelesen. Und dann kam Starbucks nach China und dann habe ich das gleich auch einmal probiert."

    Und das ist der Kern, des Lebensgefühls, bei Starbucks in China, wie auch bei den Modemagazinen in der Region: Sie verkörpern einen Lebensstil - und zwar einen, der sich, so sehr er sich allmählich auch auf lokale Traditionen besinnen mag, sich weiterhin sehr stark an westlichen Impulsen orientiert. Beim Beispiel Starbucks erläutert Lena Henningsen, sei eines ganz wesentlich, nämlich

    "die globale Zugehörigkeit, dieses Gefühl, wir sind was Kosmopolitisches, wir sitzen hier genauso in Na Jing auf der Hauptstraße und trinken unseren Kaffee wie jemand anders in Manhattan Downtown. Das mag etwas ganz Unterschiedliches sein in der Realität, aber in der Vorstellung ist diese Verbindung zu einerbestimmten globalen Kultur- und Konsumschicht - diesen partikularen Teil der chinesischen Mittelklasse ein ganz wichtiger Teil der eigenen Identität. Das ist aber auch ein Teil der Identität, der gleichzeitig doch relativ stark lokal auch noch verankert ist."

    Trends, so die Wissenschaftler Heidelberger Exzellenzcluster "Asien und Europa im globalen Kontext", entstehen, weil der Mensch ein Bedürfnis hat, sein Leben zu gestalten, ihm Form, Richtung und vor allem Bedeutung zu geben. Er braucht einen Überbau, vielleicht politisch, auf jeden Fall aber ästhetisch. Trends besetzten die affektiven Leerstellen, sie geben dem Menschen, wonach er am meisten giert: nach Sinn. Der Trend ist das Angebot von Transzendenz in Zeiten, in denen der Götterglaube müde geworden ist.

    Da posieren sie vor der Kamera, die schlanken, hochgewachsenen Models, ziehen sich erst dieses Kostüm über und dann jenes, ganz den Anweisungen der Fotografen entsprechend. Ob Neu-Delhi, Mumbai oder auch Kalkutta: Die indische Modefotografie ist längst auf globalem professionellem Standard angekommen. Und so sind dorthin auch viele Models aus Osteuropa und Lateinamerika gekommen, die in der indischen Modewelt eine große Rolle spielen. Natürlich hat das finanzielle Gründe, erläutert die Kulturwissenschaftlerin Laila Abu Er-Rub. Denn Models aus diesen Ländern sind, wenn sie nicht zur ersten Kategorie ihres Berufs gehören, günstiger als die lokalen Models. Hinzu komme aber ein weiteres:

    "Und dazu entsprechen sie, ästhetisch gesehen, einem internationalen Standard. Ich habe ganz oft gehört, zum Beispiel, wenn es um brasilianische Models ging, dass 'Brazilians, they look like Indians. But they have a better body'. Das sind so Sachen, die man gehört hat: Ein 'better body' war eben nicht unbedingt bezogen auf das lokale Schönheitsideal, sondern auf das Schönheitsideal, das in den Medien vorherrscht, und das man bedienen muss in der kommerziellen Werbung."

    Ein "better body": Das ist der, den man auch anderswo sieht, auf den amerikanischen und europäischen Ausgaben der großen Modezeitschriften. Hübsch ist, was global ist, und umgekehrt. Denn das Globale ist das Erstrebenswerte - zumal dann, wenn es zu lokalen Gepflogenheiten nicht in Widerspruch steht. Laila Abu Er-Rub:
    "Leute, die in die Produktionsprozesse in solchen Medien involviert sind, die möchten beides haben. Die möchte zum einen ein Model haben, das als lokal erkannt wird und auch einem gewissen lokalen Schönheitsideal entspricht. Auf der anderen Seite soll aber auch etwas Modernes, etwas Globales transportiert werden. Und das wurde von meinen Informanten dann oft mit einem "international look" umschrieben. ... Es wird eben ein moderner globaler Bürge, ein moderner Mensch eben porträtiert. Der wohlhabend ist und der dementsprechend auch eine gewisse Körpersprache hat und ein gewisses Styling und auch eine gewisse Kleidung trägt."

    Ein wenig anders stellt sich die Lage in China dar. Dort wurden die Models in den letzten Jahren in immer freizügigerer Kleidung fotografiert. Auch das markiert einen starken Trend, erläutert die Sinologin Annika Jöst.

    "Also es war im kommunistischen China so, dass die Models oder die Frauen, die in den Frauenzeitschriften dargestellt wurden, eher defeminized, also defeminisiert wurden. Das maoistische Ideal war die Frau in ihrem Mao-Anzug, die genau die Arbeiten erledigen konnte, die auch ein Mann erledigen konnte, und die dementsprechend auch die gleiche Statur hatte. Im Zuge der Öffnungspolitik seit den 80er-Jahren erscheint dieses Bild nun langsam etwas anders, auch im Zuge dessen, dass Mode einen wichtigeren Stellenwert in der chinesischen Gesellschaft einnimmt. Auf den Covern sieht man jetzt chinesische Models, die in international gängigen Posen und in international gängiger Mode dargestellt werden, und eben auch in sehr freizügigen Posen."

    Bis vor einigen Jahren entsprach die Darstellung der Models der auch sonst zu beobachtenden Internationalisierung der chinesischen Presse. Dabei galten die westlichen Models als Blickfänger und fungierten erfolgreich als Kaufanreiz. Mittlerweile aber sind die großen Modemagazine in China bereits seit gut 20 Jahren auf dem Markt. Längst haben sie sich etabliert - und sind darum auf den Kaufanreiz durch westliche Models nicht mehr angewiesen.

    "In beiden Ländern war es vorher üblich, die westliche Frau als das sexualisierte Andere zu betrachten. Das kann man sich ungefähr vorstellen wie, dass man Eigenschaften - und das ist ganz normal im 'othering' - die man bei sich selbst nicht haben möchte, auf das vermeintlich Andere projiziert. Durch die Ankunft der Konsumkultur und der globalen Medien in Asien hat sich das eben gewandelt: Jetzt werden auch in Asien Frauen sexualisiert dargestellt. Und es ist keine Seltenheit mehr, dass man indische oder chinesische Frauen in Unterwäsche sieht - auf Anzeigen, im Fernsehen, in Filmen. Und seitdem haben wir eben beobachtet, dass die Unterschiede zumindest in der visuelle Repräsentation von Asiaten und Westlern langsam, aber sicher verschwinden."

    Doch das chinesische Publikum schaut nicht nur - es inszeniert sich auch selbst. Etwa, wenn es Kaffe trinkt, vorzugsweise den der derzeit sehr populären amerikanischen Kette Starbucks. Die Kunden dieses Unternehmens, erläutert die Sinologin Lena Henningsen, sind überwiegend junge Berufstätige in guten Positionen, die es sich leisten können, so viel für einen Kaffee auszugeben wie andere Leute für vier Mahlzeiten. Doch warum ist der Kaffee so teuer? Schmeckt er besser als anderer Kaffee? Nicht unbedingt. Wesentlich ist etwas anderes: Der Kaffee präsentiert ein bestimmtes Lebensgefühl. Und dieses Gefühl, erklärt Henningsen, wird auch von anderen kulturellen Medien aufgegriffen.

    "Wenn ein taiwanesischer Bestseller nach China kommt, ist es zunächst einmal gar nicht so anders, als wenn amerikanisches Fast Food nach China kommt. Und beides hat unglaublich viel miteinander zu tun - wenn dann in diesem taiwanesischen Roman Fast Food und der Konsum von Kaffee unglaublich prominent sind und ganz eng verbunden sind mit romantischer Liebe und sich dieser taiwanesische Roman dann in China zu einem Bestseller entwickelt. Der war ein Bestseller in den späten 90ern, frühen 2000er. Wenn man mit der Generation der heute 30-Jährigen redet, und diesen Roman erwähnt, dann gehen sofort die Augen auf und: Ja, dieser Roman, damals habe ich ihn gelesen. Und dann kam Starbucks nach China und dann habe ich das gleich auch einmal probiert."

    Und das ist der Kern, des Lebensgefühls, bei Starbucks in China, wie auch bei den Modemagazinen in der Region: Sie verkörpern einen Lebensstil - und zwar einen, der sich, so sehr er sich allmählich auch auf lokale Traditionen besinnen mag, sich weiterhin sehr stark an westlichen Impulsen orientiert. Beim Beispiel Starbucks erläutert Lena Henningsen, sei eines ganz wesentlich, nämlich

    "die globale Zugehörigkeit, dieses Gefühl, wir sind was Kosmopolitisches, wir sitzen hier genauso in Na Jing auf der Hauptstraße und trinken unseren Kaffee wie jemand anders in Manhattan Downtown. Das mag etwas ganz Unterschiedliches sein in der Realität, aber in der Vorstellung ist diese Verbindung zu einerbestimmten globalen Kultur- und Konsumschicht - diesen partikularen Teil der chinesischen Mittelklasse ein ganz wichtiger Teil der eigenen Identität. Das ist aber auch ein Teil der Identität, der gleichzeitig doch relativ stark lokal auch noch verankert ist."

    Trends, so die Wissenschaftler Heidelberger Exzellenzcluster "Asien und Europa im globalen Kontext", entstehen, weil der Mensch ein Bedürfnis hat, sein Leben zu gestalten, ihm Form, Richtung und vor allem Bedeutung zu geben. Er braucht einen Überbau, vielleicht politisch, auf jeden Fall aber ästhetisch. Trends besetzten die affektiven Leerstellen, sie geben dem Menschen, wonach er am meisten giert: nach Sinn. Der Trend ist das Angebot von Transzendenz in Zeiten, in denen der Götterglaube müde geworden ist.