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China
Tabu Gehaltsfragen

Der Blick aus chinesischer Perspektive auf Deutschland öffnet so manchem hierzulande verblüffend die Augen: Deutsche sind ruppig und direkt und vor allem gibt es ein paar Tabus bei Smalltalk. Das Gehalt steht ganz oben, gefolgt von der Frage nach der Miete, die man zahlt. Ein Blick auf Deutschland aus dem Reich der Mitte.

Von Ruth Kirchner, Peking | 16.08.2014
    Ein Buchhalter blättert in Peking durch mehrere 100-Yuan-Scheine
    Ein Buchhalter blättert in Peking durch mehrere 100-Yuan-Scheine (picture-alliance / epa/How Hwee Young)
    Wenn Chinesen nach Deutschland kommen, um zu arbeiten oder zu studieren, haben sie manchmal vor allem Bilder von deutschen Autos im Kopf, deutscher Technologie, vielleicht noch Beethoven, Marx und Fußball. Der Alltag in Deutschland kommt daher für manche wie ein Schock. Wie Chinesen Deutschland erleben und wie sie sich darauf vorbereiten, dazu Ruth Kirchner aus Peking.
    Der 22-jährige Gao Xinyu nennt sich neuerdings Dominik. Diesen Namen hat er sich in seinem Deutsch-Kurs am Goethe-Institut in Peking ausgesucht. Zwei Jahre hat er dort deutsche Verben und Grammatik gepaukt - im Oktober fängt er in Weimar an Design zu studieren. Aber neben der Sprache sind es vor allem die Umgangsformen, die ihm in Deutschland zu schaffen machen. Dass Deutsche meist ziemlich deutlich sagen, was sie wollen, findet er eher gewöhnungsbedürftig.
    Ruppig und direkt
    "Manchmal sind die deutschen jungen Leute, alle deutsche Leute, sind sehr direkt, manchmal ist das ein bisschen peinlich."
    Auch dass sonntags immer noch in Deutschland vielerorts die Bürgersteige hochgeklappt werden, hat Dominik erstaunt, als er im Winter erstmals für einen Monat in Berlin war. Und dass die Deutschen nicht nur direkt sind, sondern manchmal auch ganz schon ruppig.
    "Die Busfahrer, die meisten sind freundlich. Aber manche alte Leute sind zu streng und manchmal unfreundlich."
    Sauerkaut: typisch deutsch
    Trotzdem freut sich der junge Pekinger auf seinen Deutschlandaufenthalt. Zudem das Studium deutlich billiger ist als in den USA oder Australien – gerade das macht Deutschland für chinesische Studenten attraktiv. Außerdem: Deutsches Essen sei lecker, sagt Dominik, zum Beispiel Sauerkraut. Dass die Deutschen Kartoffeln nicht wie in China als Gemüse, sondern als Beilage essen - auch daran hat er sich gewöhnt. Überhaupt, sagt er, junge Leute in China und Deutschland hätten heutzutage relativ ähnliche Interessen. Die amerikanische Fernsehserie "Games of Thrones" sei schließlich in beiden Ländern populär:
    "Wir sehen alle die Serien aus den USA und Großbritannien Was wir machen in der Freizeit ist gleich, Computerspiele oder rausgehen und einen Film sehen oder ein bisschen Sport treiben wie Tennis oder Badminton."
    Trotzdem bleiben kulturelle Unterschiede. Chinesische Reiseführer etwa raten Deutschland-Besuchern die Stimme deutlich zu senken, sich nicht immer vorzudrängeln und Fremde nicht so unverblümt anzustarren, wie man es in China machen würde. Simone Peters betreibt die interkulturelle Beratung als Beruf – und bietet in Peking Seminare an für Leute, die zum Studium oder beruflich nach Deutschland reisen: Neben der deutschen Forschheit, Pünktlichkeit und Pedanterie tun sich ihre Kursteilnehmer auch mit der fremden Gesprächskultur eher schwer.
    Hierarchisches Denken ist nicht ausgeprägt
    Simone Peters:
    "Was immer wieder erwähnt ist, ist die Tatsache dass bei Besprechungen und Terminen in Deutschland jeder zu Wort kommt, jeder zu Wort kommen darf, jede Meinung ist gefragt. Das ist etwas, das für viele Chinesen ungewohnt ist. Es gibt halt immer jemanden, der das Wort ergreift, der die Entscheidungen trifft, während bei uns das hierarchische Denken nicht so ausgeprägt ist.
    Simone Peters versucht Deutschland-Besuchern ihre Unsicherheiten zu nehmen, veranstaltet in ihren Kursen Probeessen, um westliche Tischsitten durchzunehmen, erklärt, dass man in Deutschland beim Small Talk weder nach dem Gehalt noch nach der Höhe der Wohnungsmiete seines Gastgebers fragen sollte. Sie erinnert daran, dass Deutschland oft gar nicht so liberal ist, wie es zunächst scheint, dass etwa Sommer-Röcke im Büro längst nicht so kurz sein dürfen wie in China.
    "Gerade bei den Frauen hier im Vergleich zu dem was im Westen akzeptiert ist, ist es wesentlich lockerer, also was die Höhe der Schuhe angeht, was die Kürze der Röcke angeht, ist man hier doch wesentlich progressiver als bei uns und das geht es darum, wie man kann man eine Abgrenzung finden, sodass das auch noch in das Geschäftsbild passt."
    Business-Etikette ficht den jungen Dominik bislang noch nicht an. Er schaut sich zur Vorbereitung auf sein Deutschland-Abenteuer vor alle deutsche Filme und Komödien an. Und fragt sich, ob er sein Lieblingsessen Gongbaodijing – Hühnchen mit Erdnüssen in scharfer Chillisoße - nicht doch ein bisschen vermissen wird. Und die vielen Menschen. In Hildesheim sei er mal an einem Sonntag durch eine völlige leere Innenstadt gelaufen, erzählt er. Das war richtig unheimlich.