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China und die gefährlichen Folgen der Finanzkrise

Es geht nicht ohne die Schwellenländer. Das haben die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen erkannt. Und so haben sie auch China zum Weltfinanzgipfel nach Washington eingeladen. Mehr noch. Der chinesischen Regierung wird eine entscheidende Rolle zugetraut, um die Finanzkrise zu bewältigen. Doch China spürt die Folgen des weltweiten Abschwungs bereits jetzt, und dies könnte erst der Auftakt zu einer gefährlichen Entwicklung sein, wie Astrid Freyeisen berichtet.

Von Astrid Freyeisen |
    Die Gittertore sind verschlossen, eine Kette soll sichern, was aus den verlassenen Fabrikhallen noch nicht gestohlen worden ist: Pappkartons mit kleinen Baggern aus Plastik, Spielzeug, hergestellt für Weltfirmen wie Mattel oder Disney. Von den 7000 Arbeitern der Firma Hejun im südchinesischen Dongguan. Bis der Hongkonger Firmenchef plötzlich verschwand. Arbeiterin Li Xiaoping erinnert sich an jenen Tag im Oktober:

    " Es passierte an einem Montag. Wir Arbeiter spürten, dass etwas nicht stimmte, denn viele Waren wurden aus der Fabrik wegtransportiert. Wir traten dann in Streik. Wir gingen auf die Straße, über 3000 von uns. Man hatte uns noch nicht mal den Lohn für August gezahlt. Der Streik brachte zwar uns diesen Lohn ein, Arbeiter aus anderen Teilen der Fabrik bekamen ihn aber nicht gezahlt. Erst nach Verhandlungen mit der Stadtregierung von Dongguan erhielten wir auch die Löhne bis Oktober. Jetzt versuchen wir, über Entschädigungen und unsere Versicherung zu verhandeln."

    Menschen wie Li Xiaoping gibt es immer mehr in den chinesischen Industriezentren, vor allem eben im Perlflussdelta nahe Hongkong, wo Tausende von Firmen schließen. Ein Rundgang durch Dongguan stimmt trostlos. Etwa ein Drittel der Firmen steht leer. Die Arbeiter von Hejun sind verzweifelt:

    "Ich habe kein Einkommen und weiß nicht, was ich tun soll. Es ist nicht leicht, einen Job zu finden. Die meisten Fabriken haben eine Altersgrenze. Sie wollen Arbeiter unter 35.

    Wenn ich nichts mehr Passendes finde, muss ich zurück in mein Heimatdorf. Die Politik dort hat sich verbessert, ich könnte wieder auf dem Feld arbeiten.

    Wir gehörten zum Management. Früher haben wir sofort Angebote bekommen, wenn wir uns im Internet beworben haben. Dieses Mal – nichts dergleichen. Vor ein paar Tagen hat wieder eine Firma zugemacht. Die hatte für einen Hongkonger Investor Weihnachtsbäume hergestellt. Ich muss für meine Kinder und Eltern sorgen. Ihnen zu essen geben."

    An diesem Morgen versammeln sich Frau Li, Herr Liu, Frau Chen und Dutzende Kollegen vor dem Arbeitsamt von Dongguan. Die Beamten sind freundlich, sie nehmen die Papiere der Arbeiter entgegen, die Anträge auf Entschädigung. Alle wissen, wie viel hier auf dem Spiel steht, sagt Qu Renyun, einst Abteilungsleiter der Firma Hejun:

    " Sobald die Regierung bemerkt hatte, dass wir streikten, hat sie eingegriffen. Sie hat Polizei und Wachpersonal geschickt, die Fabrik vor Plünderern zu schützen. Man will die Restbestände versteigern. Hier geht es um Entschädigungen für zehn Jahre Arbeit, um nicht gezahlte Löhne und Überstunden. Ich denke, wir Arbeiter haben zwar gute Chancen, mit unseren Forderungen Recht zu bekommen. Aber unsere Chancen, auch Geld zu erhalten, sind ziemlich gering. Die lokale Regierung wird nicht alles zahlen. Ich höre, sie hat schon umgerechnet zwei Millionen Euro an Arbeiter gezahlt. Was die Behörden wollen: Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit zu verhindern. Sie wollen, dass die Arbeiter irgendeine Summe annehmen und verschwinden."

    Und das haben auch schon viele getan – vor allem die Jüngeren, die typischen Wanderarbeiter zwischen 16 und 30. Deshalb gibt es schon Viertel in der einstigen Boomtown Dongguan, die wie ausgestorben wirken, denn 90 Prozent der Bevölkerung dieser Fabrikenlandschaft stammen aus weit entfernten, armen Provinzen. Auch die Wohnblöcke neben dem geschlossenen Spielzeugwerk Hejun stehen leer. Tücher schützen die Billard- und Mahjongtische vor Staub. Keiner isst Nudeln in den Garküchen. Die Waschmittel, Coladosen und Zahnbürsten im kleinen Laden von Frau Xu will niemand kaufen:

    " Der Unterschied zu früher ist riesig. Wir haben einfach kein Geschäft mehr, jetzt da alle weg sind. In dieser Straße steht nun mal nur eine einzige große Fabrik. Früher sind wir gerade so über die Runden gekommen. Natürlich mache ich mir Sorgen, wohin ich gehen soll. Jeden Tag verliere ich Geld. Ich kann nicht viel. Man sagt, dass dieses Jahr eine Finanzkrise herrscht. Ich habe mein Geschäft erst vor kurzem eröffnet. Ich habe keine Erfahrung."

    Die Hongkonger Zeitung South China Morning Post berichtet von Demonstrationen, die die Polizei gewaltsam niedergeschlagen hat. Interviews mit Managern von Fabriken zu bekommen, ist schwierig. Die meisten sagen nein, sobald sie hören, dass es um die Folgen der Finanzkrise geht. Es antworten nur solche, die offenbar weniger Probleme haben, wie Li Youping, Niederlassungsleiter der taiwanesischen Firma YEC:

    "Die Exporte in die USA sind hier um vier Fünftel gefallen. Glücklicherweise hatten wir uns rechtzeitig umgestellt. Früher haben wir viel Heimwerkerbedarf für den amerikanischen Markt produziert. Nun machen wir Klimaanlagen für japanische Autos. Würden wir noch für die USA produzieren, wären wir in echten Schwierigkeiten."

    Ein Manager einer Uhrenfabrik, der anonym bleiben will, ergänzt:

    " Viele Firmen in meiner Branche sind schwer von der Finanzkrise betroffen. Einige haben schon zugemacht, andere versuchen nur noch, ihre fertigen Waren loszuwerden. Es sieht nicht sehr gut aus. Meiner Meinung nach wird sich die Situation erstmal nicht verbessern. Es wird dauern, bis der Optimismus der Kunden zurückkehrt."

    Die chinesische Regierung fürchtet, dass ihr Land schweren Zeiten entgegengeht. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua meldet: Zu 38 Prozent hänge die chinesische Wirtschaft vom Export ab, vor zehn Jahren in der Asienkrise seien es nur 18 Prozent gewesen. Shen Minggao, Chefökonom der renommierten Wirtschaftszeitung Caijing ist überzeugt, dass die chinesische Wirtschaftspolitik eine Wende braucht:

    " Wenn unser Wirtschaftswachstum sich weiter am Export orientiert, muss es auf hohem Niveau wachsen, um genügend Arbeitsplätze zu schaffen, damit unsere Probleme des mangelhaften sozialen Netzes nicht zur Explosion führen. Wächst die Wirtschaft langsamer, könnten Unruhen die Folge sein. "

    Deshalb hat die Zentralregierung einen massiven Konjunkturplan verabschiedet: Über umgerechnet 458 Milliarden Euro, die so schnell wie möglich den Binnenmarkt ankurbeln sollen. Bereits wenige Tage nach Bekanntgabe seien elf Ministerien angewiesen worden, die ersten Gelder zu verteilen. Demnach wird das Bauministerium in den kommenden drei Jahren rund 90 Milliarden Euro für billigen Wohnraum ausgeben, bis Jahresende schon zehn Milliarden. Peking kürzt ab ersten Dezember die Exportsteuern und Ausfuhrzölle auf über 3700 Güter, knapp ein Drittel des gesamten Ausfuhrvolumens. Laut Mitteilung des Staatsrates entfalle die Exportsteuer auf Stahl, Getreide und chemische Produkte. Außerdem wurde bekannt, dass die Zentralregierung umgerechnet etwa neun Milliarden Euro in eine Gaspipeline aus der westlichen Provinz Ningxia nach Hongkong investiert. Auch sei der Bau von zwei Kernkraftwerken und mehreren Wasserkraftprojekten beschlossen, sowie rund eineinhalb Milliarden Euro für Flughäfen. Das Konjunkturprogramm wurde international gelobt. Ökonom Shen Minggao sagt:

    " Ich denke, das Wachstum der chinesischen Wirtschaft ist eine Quelle des Vertrauens für die ganze Welt. Denn ich finde, die gegenwärtige Krise ist vor allem eine Vertrauenskrise der Märkte. Sie entsteht, weil es zu wenige Auslöser für Wachstum gibt. Wenn nun China sein neues Konjunkturprogramm gut umsetzt, dann dürfte die Wachstumsrate über acht Prozent bleiben, was für internationale Investoren ein Zeichen wäre. Auch für die Exportwirtschaft anderer Länder. Außerdem ermöglicht Wachstum China, mit größerer Entschlossenheit am internationalen Rettungsplan teilzunehmen."

    Der Vizepräsident des internationalen Banken- und Finanzinstituts in Shanghai Horst Loechel hält das Konjunkturprogramm ebenfalls für den richtigen Schritt. Allerdings sieht er Probleme in der Umsetzung.

    "Eine der Grundschwierigkeiten ist natürlich, welche Projekte damit gefördert werden sollen, welche Krankenhäuser gebaut, welche Straßen gebaut werden. Das Grundproblem von allen Konjunkturprogrammen ist ja immer die Zeit, also dass die positive Wirkung vielleicht erst eintritt, wenn man es schon gar nicht mehr braucht, und das Zweite ist natürlich, dass tatsächlich das Geld dann auch bei denen ankommt, die es brauchen und nicht in irgendwelchen dubiosen Kanälen nun verstrandet und versandet."

    Auch viele Chinesen sind misstrauisch, weil sie das Ausmaß der Korruption in ihrem Land tagtäglich erleben. Im Internet äußerten sie sich besorgt über die riesigen Summen, die nun ausgeschüttet werden. Und die erst einmal in lokalen Verwaltungen ankommen, die sie verteilen sollen. Viele Internetnutzer zweifeln daran, ob das Geld den Durchschnittsbürger je erreichen wird. Der Präsident der Europäischen Handelskammer in China Jörg Wuttke bleibt dennoch optimistisch. Seiner Beobachtung nach zieht der Binnenmarkt bereits an, entwickelten sich ärmere Gegenden wie der Südwesten schnell. Trotz aller Probleme, die China habe, sagt Jörg Wuttke.

    "Der Binnenmarkt steigt am stärksten in China. Die Entwicklung an der Küste geht zurück, relativ, in Zentralchina steigt das Wirtschaftswachstum sehr stark und im Westen Chinas ist Boomtown. China wird aus diesem ganzen Kuddelmuddel wahrscheinlich am meisten gestärkt hervorgehen."