Dirk Müller: Führungswechsel in Peking – darüber wollen wir nun sprechen mit dem Schriftsteller und China-Kenner Tilmann Spengler. Guten Tag nach München.
Tilmann Spengler: Hallo! Ich grüße Sie.
Müller: Herr Spengler, wir sind ja nicht mehr zu Maos Zeiten. Spielt es wirklich eine so wichtige Rolle, wer an der Spitze steht?
Spengler: Doch, doch. Das spielt eine ganz, ganz große und entscheidende Rolle nach wie vor – ganz einfach deswegen, weil sich die verschiedenen Interessenkonstellationen innerhalb des Reiches der Mitte eben in der Führungsspitze widerspiegeln und dort erbittert und zäh verteidigt oder neu erkämpft werden.
Müller: Demnach kann einer in China immer noch groß beeinflussen und viel bestimmen?
Spengler: Ja! Sie können es ja an der Figur auch der älteren großen bedeutenden Bestimmer noch sehen. Jiang Zemin zum Beispiel, der Vorgänger von Hu Jintao, der ist jetzt, glaube ich, 86 Jahre alt, der sitzt immer noch vorne im ZK und zieht natürlich immer noch all die Fäden, an denen er ziehen kann.
Müller: Wenn wir, Herr Spengler, über Reformen reden – das ist ja die große Auseinandersetzung: Werden es Reformer, werden es Konservative -, sind das Reformen, unter denen wir auch Reformen verstehen?
Spengler: Reform ist ja so ein Gummiwörtchen, so wie Wachstum oder so was. Es ist ja auch immer eine Frage, in welche Richtung sie gehen. Und früher – daher hat das Wort in China so einen besonderen Zauber oder so einen Zuckerwert, weil früher hatte man es ausgespielt gegen das Wort Revolution, also entweder eine Revolution irgendwo oder irgendwo eine Reform. Jetzt sagen wir Reform, damit die ganze Geschichte jedenfalls von der Beschleunigung aus betrachtet irgendwie überblickbar wird. Natürlich braucht China Reformen. Es braucht Reformen - da gab es ja auch öffentliche Erklärungen oder halb öffentliche Erklärungen dazu aus der Parteispitze – auf dem Gebiet der Ökologie. Das ist jetzt ja auch ins Programm eingenommen worden. Es ist aber, glaube ich, sozusagen innenpolitisch noch viel dringlicher, die große Geißel der Korruption, der staatlichen und innerstaatlichen Korruption zu bekämpfen.
Müller: Gibt es wirtschaftlich noch was zu tun?
Spengler: Wirtschaftlich gibt es sehr viel zu tun, in einer möglichen Steuerreform, sagen die Leute, die davon sehr viel mehr verstehen als ich. Die Kommunalsteuer etwa so zu gestalten, dass die einzelnen Dorf-Parteivorsitzenden oder Bürgermeister nicht unbedingt sich am Land von Bauern vergreifen müssen, um ihre kleinen kommunalen Kassen zu füllen.
Müller: Reden wir auch über das, was aus unserem Fokus immer sehr, sehr wichtig ist und wichtig erscheint: politische Reformen. Wird sich da was tun?
Spengler: Ja, da wird sich sicherlich was tun. Aber da gibt es offenbar erste Vorentscheidungen, die eher andeuten, dass das Lager der Konservativen, wenn man die denn konservativ nennen sollte, also der sozusagen sehr, sehr Parteitreuen, parteitreuen Parteigenossen, dass sich das eher verstärkt hat. Das spielt sich so in einer Figur wieder wie dem ehemaligen Propagandaminister, der wohl der Erste Sekretär des ZKs werden soll.
Müller: Herr Spengler, wer kennt den neuen Mann wirklich?
Spengler: Seine Frau. Davon bin ich überzeugt.
Müller: Und sie singt auch davon?
Spengler: Sie singt nicht nur von ihm, aber sie singt auch von ihm – ja, das ist wohl wahr. – Na gut, er ist nicht so unbekannt. Seine Biografie ist nicht so unbekannt zur jetzigen Zeit, wie die anderer Führer, die früher an die Macht gekommen sind. Man weiß ja von ihm, dass er in Amerika studiert hat, dass er an der Tsinghua-Universität in Peking auch Chemie-Ingenieurswissenschaften oder so was studiert hat. Also man weiß schon ein bisschen davon. Aber was man natürlich nicht weiß ist, in welche Richtung er gezurrt werden kann. Das ist ja die entscheidende Frage.
Müller: Seine Kinder gehen ja auch auf renommierte amerikanische Hochschulen, wenn wir das hier richtig registriert haben. Ist das ein Mann mit Öffnungspotenzial?
Spengler: Es wäre ein Mann mit Öffnungspotenzial. Also es gibt gewisse Hoffnungen darauf, dass sie in ihm schlummern. Nur wäre es töricht anzunehmen, dass er jetzt gleich zu Anfang damit loslegen würde.
Müller: Wie groß ist denn das Risiko aus chinesischer Sicht, sich zu öffnen beziehungsweise sich zu liberalisieren? Wäre dann der ganze Machtanspruch der Kommunistischen Partei infrage gestellt?
Spengler: Nein, sicherlich nicht der ganze Machtanspruch. Aber derjenigen: Sie müssen sich das wie so ein Kardinalskollegium vorstellen. Da gibt es eben, weiß ich nicht, 40 Prozent der Kardinalskollegen, die sagen, wir wollen die Messe nach altem Ritus. Und bestehen darauf. Und das ist nicht nur eine Frage der Zeremonien, sondern das ist eine Frage, wer die Macht hat. Und das ist eine Frage, wer seine Kinder im Ausland studieren lassen kann. Und das ist eine Frage, wer seiner Familie die eine oder andere Vorteilsnahme gestatten kann. Also das sind so Konflikte, wo das Privatwirtschaftliche sehr stark ins Ideologische hineinspielt.
Müller: Wir haben uns ja damals auch genauer die Verhältnisse in der Sowjetunion angeschaut, noch genauer die Verhältnisse in der DDR. Nun ist der Fokus sehr, sehr stark konzentriert auf China. Bekommen dort die Mächtigen mit, was auf der Straße passiert?
Spengler: Jedenfalls sehr viel stärker, glaube ich, als damals, als man in Wandlitz saß, um den Deutschlandvergleich da zu bemühen. Das geht eben auch schon dadurch, dass die Kinder, wie gesagt… Ich meine, Kinder studieren ja nicht nur, um ein Luxusleben in den Vereinigten Staaten oder in England zu führen, sondern die haben engen Kontakt, die haben enge Verbindungen, da tut sich einiges. Sie haben außerdem selbstverständlich - - Sie können heute keine Firma mehr führen, die großen Firmen, die in China operieren, ohne einen Input an Informationen über das zu haben, was im Ausland passiert, aber auch von dem, was im Inland vorgeht. Die investieren ja auch im Inland und haben da eine ziemlich genaue Vorstellung, wo die Bottlenecks, also wo die Engpässe in der Wirtschaft und sozusagen dem Prozess der gesellschaftlichen Reformen stecken.
Müller: Sie wollten ja, Tilmann Spengler, vor einigen Monaten selbst nach China reisen, in Begleitung der Kanzlerin. Oder auch umgekehrt, je nachdem wie man es definiert. Und es ist Ihnen verwehrt worden, Sie durften nicht einreisen. Das heißt, es gibt so Listen, wo auch Tilman Spengler draufsteht. Haben Sie die Möglichkeit, über E-Mail, Internet Kontakt zu halten zu Freunden, Bekannten, Schriftstellern in China?
Spengler: Ja, ja! Es war übrigens der Außenminister, es war nicht die Kanzlerin, um das nur protokollarisch zurechtzustellen.
Müller: Der Geist der Kanzlerin war immer dabei, dann haben wir uns vertan.
Spengler: Aber nein, selbstverständlich. So eng kann sich kein Land abschotten, dass man diese Kontakte nicht aufrecht erhalten kann.
Müller: Werden die zensiert, werden die kontrolliert?
Spengler: Ich denke schon, ja. Es würde mich sehr wundern, wenn nicht. Und ich glaube, in meinem Status als Persona non grata hat sich auch noch nichts geändert.
Müller: Wenn wir jetzt hören, dass in Amerika zwischen einem General und einer vermeintlichen Geliebten 2.000 bis 3.000 E-Mails gelaufen sind. Und wenn wir das hochmultiplizieren auf die chinesischen Verhältnisse, müssen das ja Millionen, Hunderte von Millionen, vielleicht Milliarden sein. Kann man einen solchen Staat noch weiter kontrollieren?
Spengler: Nun gut, nun gut, wie man sieht schon. Also, ich meine, der Deckel wird ja doch schon sehr stark draufgehalten. Ich weiß nicht, wie es um das Liebesleben chinesischer höchster Offiziere bestellt ist. Und halte mich da auch raus. Aber man muss sich immer überlegen, dass der chinesische Staat für die interne Abwehr von Feinden mehr ausgibt als für die externe Abwehr von Feinden. Und das ist eine ganze Menge.
Müller: Sie haben ja eben gesagt, Herr Spengler, die chinesische Führung ist ein bisschen enger an der Straße dran beziehungsweise weiß, was im Lande vor sich geht, als beispielsweise die DDR-Oberen oder die Sowjet-Oberen. Wir haben jetzt gestern noch einmal gelesen, hier in Mediendarstellungen, dass es über 3.000 Bauernaufstände beispielsweise gegeben haben soll ...
Spengler: Ja!
Müller: ... binnen kürzester Zeit. Gibt es darauf Reaktionen, die darauf hindeuten, dass man sagt, ja wir reden mit den Menschen, wir versuchen, dort die Situation zu verbessern?
Spengler: Also ich habe den Text von Xinhua, also von der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur, über den Parteitag, also über diesen Abschlussbericht, den habe ich so gelesen, als würde das auch erwähnt. Das heißt Kampf gegen soziale Unruhen. Oder nicht Kampf gegen, das klingt jetzt zu militant, und das war wohl so nicht intendiert, sondern ernst nehmen von sozialen Unruhen. Das tauchte durchaus auf. Nein, die Statistiken, wie echt sie nun sind, aber die Statistiken werden ja auch von den zuständigen chinesischen Stellen veröffentlicht. Und das ist eine beeindruckende Zahl von Zunahmen des öffentlichen Protestes. Nur ist dieser öffentliche Protest in aller Regel ein Lokalprotest. Es ist kein Protest gegen die Zentrale.
Müller: Ich muss Sie dann abschließend zum Schluss fragen: Glauben Sie, dass China besser wird in den nächsten zwei, drei, vier Jahren?
Spengler: Ich wünsche es dem Land – ich wünsche es uns allen.
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Schriftsteller und China-Kenner Tilmann Spengler. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Spengler: Tschüss, Herr Müller.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Tilmann Spengler: Hallo! Ich grüße Sie.
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Spengler: Doch, doch. Das spielt eine ganz, ganz große und entscheidende Rolle nach wie vor – ganz einfach deswegen, weil sich die verschiedenen Interessenkonstellationen innerhalb des Reiches der Mitte eben in der Führungsspitze widerspiegeln und dort erbittert und zäh verteidigt oder neu erkämpft werden.
Müller: Demnach kann einer in China immer noch groß beeinflussen und viel bestimmen?
Spengler: Ja! Sie können es ja an der Figur auch der älteren großen bedeutenden Bestimmer noch sehen. Jiang Zemin zum Beispiel, der Vorgänger von Hu Jintao, der ist jetzt, glaube ich, 86 Jahre alt, der sitzt immer noch vorne im ZK und zieht natürlich immer noch all die Fäden, an denen er ziehen kann.
Müller: Wenn wir, Herr Spengler, über Reformen reden – das ist ja die große Auseinandersetzung: Werden es Reformer, werden es Konservative -, sind das Reformen, unter denen wir auch Reformen verstehen?
Spengler: Reform ist ja so ein Gummiwörtchen, so wie Wachstum oder so was. Es ist ja auch immer eine Frage, in welche Richtung sie gehen. Und früher – daher hat das Wort in China so einen besonderen Zauber oder so einen Zuckerwert, weil früher hatte man es ausgespielt gegen das Wort Revolution, also entweder eine Revolution irgendwo oder irgendwo eine Reform. Jetzt sagen wir Reform, damit die ganze Geschichte jedenfalls von der Beschleunigung aus betrachtet irgendwie überblickbar wird. Natürlich braucht China Reformen. Es braucht Reformen - da gab es ja auch öffentliche Erklärungen oder halb öffentliche Erklärungen dazu aus der Parteispitze – auf dem Gebiet der Ökologie. Das ist jetzt ja auch ins Programm eingenommen worden. Es ist aber, glaube ich, sozusagen innenpolitisch noch viel dringlicher, die große Geißel der Korruption, der staatlichen und innerstaatlichen Korruption zu bekämpfen.
Müller: Gibt es wirtschaftlich noch was zu tun?
Spengler: Wirtschaftlich gibt es sehr viel zu tun, in einer möglichen Steuerreform, sagen die Leute, die davon sehr viel mehr verstehen als ich. Die Kommunalsteuer etwa so zu gestalten, dass die einzelnen Dorf-Parteivorsitzenden oder Bürgermeister nicht unbedingt sich am Land von Bauern vergreifen müssen, um ihre kleinen kommunalen Kassen zu füllen.
Müller: Reden wir auch über das, was aus unserem Fokus immer sehr, sehr wichtig ist und wichtig erscheint: politische Reformen. Wird sich da was tun?
Spengler: Ja, da wird sich sicherlich was tun. Aber da gibt es offenbar erste Vorentscheidungen, die eher andeuten, dass das Lager der Konservativen, wenn man die denn konservativ nennen sollte, also der sozusagen sehr, sehr Parteitreuen, parteitreuen Parteigenossen, dass sich das eher verstärkt hat. Das spielt sich so in einer Figur wieder wie dem ehemaligen Propagandaminister, der wohl der Erste Sekretär des ZKs werden soll.
Müller: Herr Spengler, wer kennt den neuen Mann wirklich?
Spengler: Seine Frau. Davon bin ich überzeugt.
Müller: Und sie singt auch davon?
Spengler: Sie singt nicht nur von ihm, aber sie singt auch von ihm – ja, das ist wohl wahr. – Na gut, er ist nicht so unbekannt. Seine Biografie ist nicht so unbekannt zur jetzigen Zeit, wie die anderer Führer, die früher an die Macht gekommen sind. Man weiß ja von ihm, dass er in Amerika studiert hat, dass er an der Tsinghua-Universität in Peking auch Chemie-Ingenieurswissenschaften oder so was studiert hat. Also man weiß schon ein bisschen davon. Aber was man natürlich nicht weiß ist, in welche Richtung er gezurrt werden kann. Das ist ja die entscheidende Frage.
Müller: Seine Kinder gehen ja auch auf renommierte amerikanische Hochschulen, wenn wir das hier richtig registriert haben. Ist das ein Mann mit Öffnungspotenzial?
Spengler: Es wäre ein Mann mit Öffnungspotenzial. Also es gibt gewisse Hoffnungen darauf, dass sie in ihm schlummern. Nur wäre es töricht anzunehmen, dass er jetzt gleich zu Anfang damit loslegen würde.
Müller: Wie groß ist denn das Risiko aus chinesischer Sicht, sich zu öffnen beziehungsweise sich zu liberalisieren? Wäre dann der ganze Machtanspruch der Kommunistischen Partei infrage gestellt?
Spengler: Nein, sicherlich nicht der ganze Machtanspruch. Aber derjenigen: Sie müssen sich das wie so ein Kardinalskollegium vorstellen. Da gibt es eben, weiß ich nicht, 40 Prozent der Kardinalskollegen, die sagen, wir wollen die Messe nach altem Ritus. Und bestehen darauf. Und das ist nicht nur eine Frage der Zeremonien, sondern das ist eine Frage, wer die Macht hat. Und das ist eine Frage, wer seine Kinder im Ausland studieren lassen kann. Und das ist eine Frage, wer seiner Familie die eine oder andere Vorteilsnahme gestatten kann. Also das sind so Konflikte, wo das Privatwirtschaftliche sehr stark ins Ideologische hineinspielt.
Müller: Wir haben uns ja damals auch genauer die Verhältnisse in der Sowjetunion angeschaut, noch genauer die Verhältnisse in der DDR. Nun ist der Fokus sehr, sehr stark konzentriert auf China. Bekommen dort die Mächtigen mit, was auf der Straße passiert?
Spengler: Jedenfalls sehr viel stärker, glaube ich, als damals, als man in Wandlitz saß, um den Deutschlandvergleich da zu bemühen. Das geht eben auch schon dadurch, dass die Kinder, wie gesagt… Ich meine, Kinder studieren ja nicht nur, um ein Luxusleben in den Vereinigten Staaten oder in England zu führen, sondern die haben engen Kontakt, die haben enge Verbindungen, da tut sich einiges. Sie haben außerdem selbstverständlich - - Sie können heute keine Firma mehr führen, die großen Firmen, die in China operieren, ohne einen Input an Informationen über das zu haben, was im Ausland passiert, aber auch von dem, was im Inland vorgeht. Die investieren ja auch im Inland und haben da eine ziemlich genaue Vorstellung, wo die Bottlenecks, also wo die Engpässe in der Wirtschaft und sozusagen dem Prozess der gesellschaftlichen Reformen stecken.
Müller: Sie wollten ja, Tilmann Spengler, vor einigen Monaten selbst nach China reisen, in Begleitung der Kanzlerin. Oder auch umgekehrt, je nachdem wie man es definiert. Und es ist Ihnen verwehrt worden, Sie durften nicht einreisen. Das heißt, es gibt so Listen, wo auch Tilman Spengler draufsteht. Haben Sie die Möglichkeit, über E-Mail, Internet Kontakt zu halten zu Freunden, Bekannten, Schriftstellern in China?
Spengler: Ja, ja! Es war übrigens der Außenminister, es war nicht die Kanzlerin, um das nur protokollarisch zurechtzustellen.
Müller: Der Geist der Kanzlerin war immer dabei, dann haben wir uns vertan.
Spengler: Aber nein, selbstverständlich. So eng kann sich kein Land abschotten, dass man diese Kontakte nicht aufrecht erhalten kann.
Müller: Werden die zensiert, werden die kontrolliert?
Spengler: Ich denke schon, ja. Es würde mich sehr wundern, wenn nicht. Und ich glaube, in meinem Status als Persona non grata hat sich auch noch nichts geändert.
Müller: Wenn wir jetzt hören, dass in Amerika zwischen einem General und einer vermeintlichen Geliebten 2.000 bis 3.000 E-Mails gelaufen sind. Und wenn wir das hochmultiplizieren auf die chinesischen Verhältnisse, müssen das ja Millionen, Hunderte von Millionen, vielleicht Milliarden sein. Kann man einen solchen Staat noch weiter kontrollieren?
Spengler: Nun gut, nun gut, wie man sieht schon. Also, ich meine, der Deckel wird ja doch schon sehr stark draufgehalten. Ich weiß nicht, wie es um das Liebesleben chinesischer höchster Offiziere bestellt ist. Und halte mich da auch raus. Aber man muss sich immer überlegen, dass der chinesische Staat für die interne Abwehr von Feinden mehr ausgibt als für die externe Abwehr von Feinden. Und das ist eine ganze Menge.
Müller: Sie haben ja eben gesagt, Herr Spengler, die chinesische Führung ist ein bisschen enger an der Straße dran beziehungsweise weiß, was im Lande vor sich geht, als beispielsweise die DDR-Oberen oder die Sowjet-Oberen. Wir haben jetzt gestern noch einmal gelesen, hier in Mediendarstellungen, dass es über 3.000 Bauernaufstände beispielsweise gegeben haben soll ...
Spengler: Ja!
Müller: ... binnen kürzester Zeit. Gibt es darauf Reaktionen, die darauf hindeuten, dass man sagt, ja wir reden mit den Menschen, wir versuchen, dort die Situation zu verbessern?
Spengler: Also ich habe den Text von Xinhua, also von der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur, über den Parteitag, also über diesen Abschlussbericht, den habe ich so gelesen, als würde das auch erwähnt. Das heißt Kampf gegen soziale Unruhen. Oder nicht Kampf gegen, das klingt jetzt zu militant, und das war wohl so nicht intendiert, sondern ernst nehmen von sozialen Unruhen. Das tauchte durchaus auf. Nein, die Statistiken, wie echt sie nun sind, aber die Statistiken werden ja auch von den zuständigen chinesischen Stellen veröffentlicht. Und das ist eine beeindruckende Zahl von Zunahmen des öffentlichen Protestes. Nur ist dieser öffentliche Protest in aller Regel ein Lokalprotest. Es ist kein Protest gegen die Zentrale.
Müller: Ich muss Sie dann abschließend zum Schluss fragen: Glauben Sie, dass China besser wird in den nächsten zwei, drei, vier Jahren?
Spengler: Ich wünsche es dem Land – ich wünsche es uns allen.
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Schriftsteller und China-Kenner Tilmann Spengler. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Spengler: Tschüss, Herr Müller.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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