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Chinesische Zeitung in Stuttgart

In der Mitte des Monats liegt an den Bahnhöfen immer ein ein großer Stapel der chinesischen Zeitung "Ouline"; spätestens am Abend sind alle Zeitungen weg. Vorwiegend chinesische Studenten kaufen "Ouline", aber immer mehr auch Wirtschaftsexperten für China und chinesische Touristen in Deutschland. "Ou" heißt auf chinesisch Europa und "line" bedeutet frei übersetzt – lesen. Mittlerweile gibt es "Ouline" aber auch an Bord von deutschen Fluglinien, die nach China starten. Die Zeitung erscheint in chinesischer Schrift mit einer Gesamtauflage von 25. 000 Exemplaren und hat 40 Seiten. Der Chefredakteur der Zeitung arbeitet und lebt in Stuttgart - Uschi Götz hat ihn besucht :

Von Uschi Götz |
    Jinglei Wan wohnt im 7. Stock einer großen Hochhaussiedlung mit Blick auf den Stuttgarter Flughafen. Seine 2-Zimmerwohnung ist auch sein Büro; entsprechend voll gepackt sind die paar Quadratmeter. Jinglei Wan hat keine festen Bürozeiten, er ist rund um die Uhr erreichbar. Er ist ein richtiger Schaffer – und schon dadurch in der überwiegend von Schwaben bewohnten Hochhaussiedlung äußerst beliebt.

    Der 36-jährige ist in Shanghai in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen. Er studierte Anglistik und ging dann in die Wirtschaft und hatte Sehnsucht. Ein Freund erzählte ihm immer wieder von Europa, von Deutschland. Mit 100 Dollar in der Tasche machte er sich vor über 14 Jahren auf den Weg:

    " Das war das erste Mal, dass ich in einem Flugzeug saß. Als ich im Flugzeug saß habe ich zuerst einmal einen Schock gekriegt als ich gehört habe, das Flugzeug fliegt nicht nach Stuttgart sondern nach Zürich. Die Leute haben mir gesagt: "Sie müssen umsteigen in Zürich". "

    In Stuttgart angekommen absolviert Wan einen dreimonatigen Deutschkurs. Er studiert Betriebswirtschaftslehre und jobbt nebenher, denn er muss sich alleine versorgen.

    " Hab ich auch ehrlich Traumstudentenjob bekommen – bei Bosch am Fließband drei Schichten arbeiten und danach ist man reich geworden. "

    Er ist fleißig : Studiert tagsüber und arbeitet nachts. Zwischendurch geht Wan noch für ein paar Semester nach England. Zurück in Deutschland schließt er das Studium ab und kann sich vor Angeboten kaum retten. Wan entscheidet sich für eine sehr gut bezahlte Stelle beim " Daimler" – wie er sagt. Er arbeitet wieder hart und ist zum Schluss im Konzerncontrolling. Seine Vorgesetzten und Kollegen sind entsetzt, als er eines Tages mit der Begründung kündigt:

    "Das ist für mich andere Welt, aber es war nie mein Traum bei Daimler Karriere zu machen. "

    Er tauscht die noble S-Klasse gegen einen alten Golf und wird Journalist. Ein alter Kindertraum von ihm. Wan hat eine Vision – genährt aus den eigenen ersten Jahren in Stuttgart. Etwa 30.000 junge Chinesen studieren in Deutschland und allen fehlt es an Informationen in der eigenen Sprache:

    " Man kann deutsch lesen und reden, aber nach dem ganzen Tag will man sich gerne mal ein bisschen zurückziehen in die eigene Kultur. "

    Ende 2003 erscheint die erste gedruckte Ausgabe von Ouline. Chefredakteur Wan legt die Meßlatte ganz oben an. Er möchte kein Stückwerk, sondern fundierte redaktionelle Beiträge sollen das Blatt auszeichnen:

    " Wir suchen gezielt Autoren, wir schreiben selber. Viele Zeitungen kopieren einfach aus dem Internet. Das machen wir nie. Wir suchen immer Autoren, die auch sehr lange in Europa gelebt haben, die Sprache, die Kultur kennnen und dann in der chinesischen Sprache schreiben. "

    Vor allem politische Themen greift Wan gerne auf. Aber auch das Reisen spielt eine große Rolle. In jeder Ausgabe wird ein deutsches Buch oder ein aktueller Film vorgestellt. Anfragen und Angebote finden sich im Blatt ebenso wie eine Flut von Anzeigen. Da sucht Mc Kinnsey Studenten für ein Asienprojekt oder ein Unternehmen ist auf der Suche nach einem chinesischen Professor für Logistik. Das Geschäft läuft – der Chefredakteur ist glücklich. Wan und sein Team verdienen an den Anzeigen; das ist nicht viel aber es reicht. Er möchte gar keinen Mercedes mehr fahren, sagt Wan – er ist so viel glücklicher.