Archiv


Chip im Hirn

Medizintechnik. - Gelähmten das Laufen ermöglichen – das ist ein alter Traum der Mediziner. Wahr werden soll der Traum mit Hilfe so genannter Neuroprothesen. So nennt man unter anderem Chips, die ins Gehirn implantiert werden, um Gliedmaßen anzusteuern, die der Gelähmte ansonsten nicht bewegen kann. Dass es dabei durchaus Fortschritte gibt, zeigt sich auf der Jahrestagung der AAAS, die zurzeit in San Francisco stattfindet.

Von Frank Grotelüschen |
    Vor neun Jahren hatte Jennifer Fridge einen Skiunfall. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Doch die junge Frau hält eine Fernbedienung in der Hand. Sie drückt auf einen der Knöpfe – und steht auf. Zwar klappert es laut und sieht etwas hölzern aus – aber sie steht. Zu verdanken hat sie das einer Reihe von Implantaten. Sie sind eingepflanzt in ihre Beinmuskulatur.

    "Im November 1999 wurden mir die Chips implantiert. Und wie man sieht: Ich kann damit aufstehen und komme an Gegenstände heran, die ich im Sitzen nie erreichen würde. Und: Ich kann mich dorthin bewegen, wo ich mit dem Rollstuhl nie durchpassen würde."

    Wenn Jennifer Fridge auf den Knopf drückt, reizt das Implantat die Beinmuskeln mit einem elektrischen Impuls. Als Reaktion kontrahiert der Muskel, und Jennifer steht auf beiden Beinen. Das ist erstaunlich genug. Doch John Donoghue von der Brown University in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island will noch einen Schritt weitergehen. Er möchte erreichen, dass Gelähmte ihre Muskelimplantate nicht mit einer Fernbedienung ansteuern, sondern durch ihre Gedanken. Dazu hat der Forscher ein winziges Hirnimplantat entwickelt, es ist nur vier mal vier Millimeter groß. Es sitzt auf der Oberfläche des Gehirns, am so genannten motorischen Cortex, also jenem Bereich, der sämtliche Bewegungen steuert. Der Chip nimmt die Signale des motorischen Cortex auf und leitet sie weiter. Donoghue:

    "Bislang verwenden die Patienten diese Signale dazu, einen Computer anzusteuern. Die Patienten bewegen mit ihren Gedanken einen Cursor auf dem Bildschirm, sie lassen ihn nach links oder nach rechts wandern. Neuerdings können sie sogar einen Mausklick machen. Das Ziel: Menschen, die weder Arme noch Beine bewegen können, sollen kraft ihrer Gedanken einen Computer bedienen können."

    Bislang wurde vier Patienten das Implantat eingesetzt. Allerdings ist das noch ziemlich experimentell. So leitet der Chip die Signale durch ein Kabel aus dem Schädel nach außen. Außerdem braucht es die Unterstützung eines Technikers, um das System zu bedienen. Doch Donoghue und seine Leute arbeiten schon an kleineren und leistungsfähigeren Hirnchips.

    "”Und mit diesen Chips kann man sich vorstellen, dass ein Gelähmter keine Knöpfe mehr drücken muss, um seine Muskelimplantate zu aktivieren. Nein – es würde genügen, wenn er ans Aufstehen denkt. Der Hirnchip würde das Signal erfassen, über einen Computer an das Muskelimplantat weiterleiten – und der Gelähmte würde sich erheben.""

    BrainGate – so heißt das System – wäre vor allem sinnvoll für vollständig Gelähmte, die nicht einmal die Knöpfe einer Fernbedienung drücken können. Donoghue:

    "”Wir erwarten, dass wir in etwa fünf Jahren einem vollständig gelähmten Patienten ermöglichen können, ein Löffel zu halten und zum Mund zu führen. Und langfristig hoffen wir, dass Gelähmte mit Hilfe unserer intelligenten Implantate aufstehen und laufen können. Das ist das ultimative Ziel. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.""

    Das Laufen nämlich ist eine komplexe Bewegung, man muss mehrere Muskelgruppen koordinieren. Und um das zu schaffen, bräuchte es mehrere Chips, die an verschiedenen Stellen des Gehirns sitzen müssen, um die Signale für die einzelnen Gliedmaßen abzugreifen. Also heißt das Nahziel erstmal, einem vollständig Gelähmten zu ermöglichen, mit Hilfe der intelligenten Implantate eigenständig zu essen. Das wäre – meint John Donoghue – ein Meilenstein für die Patienten.