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Chip im Hirn
Gelähmter steuert Hand mittels Gedanken

Vollständig gelähmten Menschen können Mediziner, Hirnforschern und Computerexperten inzwischen ein wenig Beweglichkeit zurückzugeben. So ist es bereits gelungen, mit Gedanken einen Roboterarm zu steuern. Forscher aus den USA vermelden nun einen weiteren Fortschritt. Erstmal kann ein vollständig gelähmter junger Mann mit seinen Gedanken die eigene Hand wieder bewegen.

Von Michael Lange | 14.04.2016
    Ian Burkhart, spielt ein Videospiel mit einem Gitarren-Eingabegerät.
    Ian Burkhart, spielt ein Videospiel mit einem Gitarren-Eingabegerät. ( Ohio State University Wexner Medical Center/ Battelle)
    Nach seinem Schulabschluss wollte sich Ian Burkhard aus Dublin, Ohio, am Meer entspannen und austoben. Doch dann geschah ein Unfall, der sein Leben für immer veränderte.
    "Damals war ich 19 Jahre alt und erstmals richtig unabhängig. Ich schwamm draußen im Ozean und tauchte in eine große Welle hinein. Sie riss mich hinunter. Nun ja, das Wasser war nicht so tief wie ich dachte."
    Ian Burkhart konnte sich nicht mehr bewegen, weder die Beine noch die Unterarme oder die Hände. Das Genick war gebrochen, das Rückenmark im Bereich der Halswirbel durchtrennt. Die Nervensignale aus seinem Gehirn konnten Arme und Beine nicht mehr erreichen.
    Aber der junge Mann wollte sich damit nicht abfinden. Als erster Patient nahm er an einem Forschungsprojekt teil, bei dem ein Computer die Rolle des Rückenmarks übernehmen sollte. Dazu haben Forscher ein erbsengroßes Implantat entwickelt und in den Motorcortex des Gehirns verpflanzt, in die Region, die für Handbewegungen zuständig ist. Auf diesem Chip nehmen etwa hundert Elektroden Kontakt mit den Nervenzellen auf.
    Die Elektroden reagieren auf die Nervensignale und Kabel leiten sie weiter in einen Computer. Der Computer muss selbstständig lernen können, die Signale aus dem Gehirn zu interpretieren und umzusetzen. Dazu hat das Wissenschaftlerteam um Chad Bouton vom Feinstein Institute in New York eine besondere Software entwickelt.
    "Der Computer lernt die Sprache der Nervenzellen. Diese Sprache ist in jedem Gehirn unterschiedlich. Die lernenden Algorithmen arbeiten wie Übersetzer. Sie übersetzen die Sprache des Gehirns in Signale für die Muskeln."
    Der Computer versteht, was das Gehirn will, und gibt die entsprechenden Bewegungsaufträge an eine Art Manschette am Unterarm des Patienten. Sie steht über feine Drähte und Elektroden mit den Muskeln im Unterarm und am Handgelenk in Kontakt.
    Für Ian Burkhart begann ein langwieriges Trainingsprogramm. Mehrfach die Woche trainiert er mit dem Computer – meist mehrere Stunden.
    "Danach fühle ich mich unglaublich müde und erschöpft, wie nach einem sechsstündigen Examen. Alles was ich 19 Jahre lang für selbstverständlich hielt, muss ich neu lernen. Ich muss mir jeden kleinen Teil einer Bewegung vorstellen und dabei äußerst konzentriert sein."
    Fast sechs Jahre nach seinem Unfall kann Ian Burkhart einfache Bewegungen ausführen, wie zugreifen und loslassen. Seine Hand umfasst eine Flasche und gießt Wasser in ein Glas. Außerdem spielt er das Computerspiel Guitar Hero, bei dem er auf einer Spezialgitarre bestimmte Tasten drückt.
    Ian Burkhart schüttet eine Ladung Würfel von einem Glas in ein anderes.
    Sogar komplexe Bewegungen sind möglich, wenn auch etwas fahrig. (Ohio State University Wexner Medical Center/ Battelle)
    Der Wissenschaftler Chat Bouton ist überzeugt: Nach der extrem schwierigen Pionierarbeit werden zukünftige Patienten es leichter haben.
    "Zum ersten Mal überhaupt ist es gelungen, dass eine gelähmte Person, die Hände wieder benutzen kann – gesteuert von den Gedanken des eigenen Gehirns. Wir können jetzt Gehirnsignale zu den Muskeln leiten und Bewegungen auslösen. Auf diesem Wege können zukünftig vollständig gelähmte Patienten lernen, selbstständig zu essen oder sich anzukleiden."
    Auch Schlaganfallpatienten könnten davon profitieren, so Chat Bouton. Aber noch ist es nicht soweit. Ian Burkhard muss für sein Training jedes Mal in die Klinik kommen, wo Ärzte und Techniker sein Gehirn und seinen Unterarm mit dem Computer verbinden. Aber die Forscher arbeiten an einer drahtlosen Übertragung, so dass die Gedanken des Patienten auch zu Hause seine Hand steuern können.