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Chips am Krankenbett

RFID-Chips gelten als Fluch und Segen zugleich – die Funketiketten sind unter Datenschützern höchst umstritten, andererseits eröffnen sie Logistikern völlig neue Horizonte. Ein wichtiges, aber auch sensibles Anwendungsgebiet sind etwa Krankenhäuser.

Von Stephanie Kowalewski |
    Krankenhäuser setzen aus Kostengründen immer öfter auf die Hilfe kleiner Funketiketten - so genannter RFID-Chips. Auf Krankenbetten, Blutkonserven und auch am Patientenhandgelenk sollen sie die Logistik effizienter gestalten und die Behandlung sicherer machen. Doch es gibt auch Untersuchungen, die genau das Gegenteil belegen und von einem Einsatz dringend abraten.

    "RFID hat einen grundsätzlichen Vorteil, den es auch von Alternativtechnologien unterscheidet, wie Barcode beispielsweise. Ich kann ein einzelnes Objekt eindeutig identifizieren und zuordnen oder auch eine Person eindeutig identifizieren und zuordnen. Und die Hoffnung, die man hat, ist im Rahmen von Prozessverbesserungen diesen Vorteil der RFID-Technologie nutzen zu können und auch die Kosten im Gesundheitswesen darüber zu senken."

    Oliver Koch vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik in Dortmund hat bundesweit knapp 20 verschiedene RFID-Projekte im Gesundheitswesen unter die Lupe genommen. Demnach werden die Funkchips zum Beispiel bei der Wäschesortierung eingesetzt, zur Temperaturüberwachung von Blutkonserven oder bei Babyüberwachungssystemen, die verhindern sollen, dass die Kinder entführt werden.

    "Das sind Systeme, wo auf Neugeborenenstationen sowohl die Mutter als auch das Baby ein Armband bekommen, ein RFID-Armband, und letztendlich immer dann ein Alarm ertönt, wenn zum Beispiel das Baby ohne seine Mutter den Raum verlässt."

    Mit solch einem Babyguardsystem hat auch das Evangelische Krankenhaus Castrop-Rauxel gute Erfahrungen gemacht. Überhaupt setzt die Klinik, da wo es sinnvoll scheint, auf die RFID-Technik. Aufzugfahrten zum Beispiel werden durch die Funktechnik effizienter, sagt Frank Tuschmann. Der Leiter der Betriebstechnik erklärt, wie das funktioniert.

    "Das bedeutet, dass jedes Krankenbett und auch Transportwagen mit einem RFID-Tag ausgestattet sind. Das ist ein Schildchen in Form einer Folie, auf der ein Transponderchip aufgebracht ist mit einer Antenne. Vor den Aufzügen ist ein Lesegerät angebracht. Die Betten werden im Abstand von circa einem halben Meter an dieses Lesegerät gebracht, die Steuerung erkennt, dass ein Bett auf eine Aufzugsfahrt wartet."

    Durch die Funkerkennung kann das RFID-Etikett verdeckt sein. Ein Vorteil gegenüber dem Barcode, der immer eine direkte Sichtverbindung zum Lesegerät und eine relativ genaue Positionierung braucht. Hat das Lesegerät den Funkchip erfasst, schickt das computergesteuerte System einen leeren Aufzug auf die gewünschte Etage. Ohne RFID kam der Aufzug zwar auch, doch oft war er besetzt - Wartezeiten entstanden. Auch durch die lästigen Zwischenstopps auf den Etagen. Heute, sagt Frank Tuschmann, hat das Bett im Aufzug dank RFID freie Fahrt.

    "Und das ist bei gemessenen 320.000 Aufzugsfahrten im Jahr natürlich schon immens. Wenn ich mir überlege, ich würde pro Aufzugsfahrt eine Minute sparen, dann wären das schon 5500 Stunden im Jahr, die ich alleine nur dadurch einspare."

    Auch das Reinigen der Endoskope ist in Castrop-Rauxel RFID-unterstützt. Früher, sagt die Krankenschwester Danuta Raschka, musste der gesamte Reinigungsprozess handschriftlich dokumentiert werden.

    "Wir hatten so einen Protokollzettel, da mussten wir handschriftlich draufschreiben, welcher Endoskoptyp das war, wer die Vorreinigung gemacht hat, wer das eingelegt hat, wer das wieder rausgenommen hat und wer das in den Schrank gelegt hat."

    Das kostet Zeit und damit Geld und ist letztlich auch eine mögliche Fehlerquelle. Heute ist jedes Endoskop mit einem Funkchip ausgestattet und wird automatisch erkannt, sobald es in die Reinigungsmaschine eingelegt wird.

    "Das macht die alles alleine, die Maschine, und dementsprechend können wir auch sofort zum Patienten."

    Danuta Raschka findet, dass die RFID-Technik zumindest bei solch standardisierten Aufgaben eine erhebliche Arbeitserleichterung ist. Problematisch wird es allerdings, wenn die Funkchips in der Nähe von medizinischen Geräten eingesetzt werden. Das zumindest hat eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Freien Universität Amsterdam ergeben. Die Forscher haben untersucht, ob RFID-Systeme die Funktion medizinischer Geräte stören. Dazu näherten sie sich aus zwei Meter Entfernung schrittweise zum Beispiel Beatmungsgeräten und Herzschrittmachern, die natürlich nicht an Patienten angeschlossen waren. Die Ergebnisse sind besorgniserregend, sagt Dr. Erik Jan van Lieshout, einer der Autoren.

    "Einige dieser externen Herzschrittmacher zeigten gefährliche Störungen bei einigen RFID-Sytemen. Sie funktionierten einfach nicht mehr einwandfrei. Im Ernstfall wäre das sehr gefährlich für den Patienten gewesen."

    Auch Beatmungsgeräte, Infusionspumpen und Dialysegeräte blieben einfach stehen, wenn ihnen die Funkchips zu nahe kamen. Insgesamt testeten die niederländischen Forscher 41 Apparate unterschiedlicher Hersteller und ihre Reaktion auf verschiedene RFID-Systeme. In 123 Testläufen registrierten sie 34 Störungen. Die meisten davon, nämlich 22, wurden entsprechend gängigen Standards als "sehr gefährlich" eingestuft. Erik Jan van Lieshout kritisiert, dass die RFID-Technik einfach aus dem logistischen Bereich, wo sie gute Dienste leistet, ungeprüft in den hochsensiblen Patientenbereich übertragen wird. Das muss sich dringend ändern, fordert van Lieshout:

    "Wenn man RFID-Systeme auf Intensivstationen nutzen möchte, müssen die entsprechenden RFID-Chips in Verbindung mit den medizinischen Geräten unbedingt getestet werden. Das ist sehr viel Arbeit, aber es muss getestet werden. Die zweite Empfehlung ist, dass die internationalen Standards der medizinischen Geräte auf den neuesten Stand gebracht und den Anforderungen moderner Kliniken angepasst werden müssen."

    Solange das nicht umgesetzt ist, überwiegen nach Meinung der niederländischen Forscher die Risiken der Funketiketten, zumindest was ihren Einsatz auf den Intensivabteilungen angeht.