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Chips zum Stretchen

Informationstechnologie. – Siliziumchips sind das Herzstück der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie, und sie sind ziemlich spröde. Weil die Siliziumkristalle Verwindungen und Stauchungen überhaupt nicht mögen, sind viele Anwendungen, die sich Nutzer wünschen, nicht machbar. US-Materialwissenschaftler haben deshalb einen dehnbaren Schaltkreis entwickelt.

Von Frank Grotelüschen | 28.03.2008
    "”Die Siliziumtechnologie ist ein spektakuläres Stück Technik. Aber: Siliziumchips sind zerbrechlich – und damit ungeeignet für viele interessante Anwendungen, die es künftig in der Elektronik geben könnte.""

    John Rodgers ist Materialforscher an der University of Illinois in Urbana-Champaign. Die heutigen Computerchips sind ihm zu spröde – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Denn würde man versuchen, einen herkömmlichen Schaltkreis hin und her zu biegen – er würde zerbrechen wie eine Tasse aus feinstem chinesischen Porzellan. Kein Wunder, denn Silizium, aus denen die Chips in aller Regel bestehen, ist ein sprödes und damit brüchiges Material. Also zog Rodgers gemeinsam mit seinen Kollegen aus, einen neuen elektronischen Schaltkreis zu kreieren. Der soll sich wie ein Stück Gummi nach Herzenslust biegen, stauchen, drehen, drillen und dehnen lassen – und dabei dennoch funktionieren. Rodgers:

    "”Als erstes stellten wir extrem dünne Schaltkreise aus Silizium her, die wir auf Plastikfolien aufdruckten. Diese Schaltkreise sind gerade mal 1,5 Mikrometer dick – 50 Mal feiner als ein menschliches Haar und 1000 Mal dünner als ein gewöhnlicher Chip. Und wenn man Dinge dünn macht, werden sie automatisch biegsam: Ein Blatt Papier zum Beispiel lässt sich problemlos biegen, ein Holzbrett dagegen nur schwer – obwohl beide ja aus demselben Material bestehen.""

    Das Ergebnis: Ein hauchdünner Siliziumchip so biegsam, dass man ihn fast schon zusammenfalten kann. Doch dehnbar wie Gummi war das Gebilde damit noch nicht. Dazu bedurfte es noch eines zweiten Tricks. Rodgers:

    "”Wir haben uns an ein Konzept gehalten, das jeder kennt – das der Ziehharmonika: Wir bringen die dünnen Silizium-Schaltkreise auf eine ziehharmonikaförmige Gummistruktur auf. Die kann man dann wie das Musikinstrument auseinander ziehen und wieder zusammenpressen. Das Silizium ist natürlich dort auf der Ziehharmonika aufgebracht, wo die mechanischen Belastungen beim Dehnen und Stauchen am kleinsten sind.""

    Knapp einen Millimeter misst die winzige Gummiziehharmonika. Wenn man’s drauf anlegt, lässt sie sich auf das Doppelte ihrer Länge dehnen. Schon sucht John Rodgers nach Anwendungen für den Gummichip – und sieht sie vor allem in der Medizin: Gemeinsam mit Ärzten soll der biegsame Schaltkreis als Hirnimplantat für Epilepsiekranke erprobt werden, um deren Hirnaktivität zu überwachen und Warnung zu geben, falls ein Anfall droht. Anders als andere Implantate soll sich der Gummichip optimal den Gehirnwindungen anpassen können. Rodgers:

    "”Bei einem anderen Projekt wollen wir die Latexhandschuhe von Chirurgen mit Elektronik und Sensoren spicken. Mit diesen Handschuhen könnte der Arzt dann zum Beispiel die Blutwerte des Organs messen, an dem er gerade operiert. Mit normalen Siliziumchips wäre so etwas undenkbar.""

    In spätestens fünf Jahren soll der Gummichip marktreif sein, hofft Rodgers. Bleibt eine Frage: Wie lange hält das Gummi, bevor es reißt? Nun – bislang haben die Forscher ihre Prototypen gerade mal 50 bis 100 Mal gebogen und gezogen. Doch es spreche nichts dagegen, dass die Schaltkreise auch viele Tausende Dehnübungen schaffen, meint Rodgers. Den Beweis dafür muss er allerdings noch antreten.