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Chomsky vs. Dershowitz

Formal betrachtet handelt es sich um eine unspektakuläre Auseinandersetzung. Zwei Völker streiten sich um einen kleinen Flecken Land am östlichen Rand des Mittelmeeres. Phasen friedlicher Verhandlungen wechseln sich ab mit Phasen gewaltsamer Auseinandersetzung. Nun gibt es blutigere Kriege um Land, nationale Selbstbestimmung oder gegen eine Besatzung - in Tibet, Kaschmir oder dem Sudan etwa. Dennoch nimmt der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis überproportional viel Raum in der öffentlichen Wahrnehmung ein. Kaum eine Debatte erhitzt die Gemüter so sehr wie die Frage, ob nun Israel oder die Palästinenser die hartnäckigeren Verweigerer des Friedens seien. Wie aber soll man in solch einem Wirrwarr der Gefühle Ausgewogenheit herstellen? Der Europa-Verlag beschreitet da einen, sagen wir: interessanten Weg. Er veröffentlichte zeitgleich zwei Bücher von zwei Autoren mit denkbar konträren Positionen. Die Rede ist von Noam Chomsky und Alan Dershowitz.

Von Sylke Tempel |
    Der Europa Verlag ließ zwei erprobte Veteranen in den Ring steigen, die einander diametral Entgegengesetzte Positionen vertreten. In der einen Ecke finden wir Alan Dershowitz, Anwalt und Jura-Professor der Universität Harvard. "Plädoyer für Israel. Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen" heißt sein Buch. In der anderen Ecke Noam Chomsky, Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology, eine Galionsfigur der linksintellektuellen Elite. "Keine Chance für den Frieden. Warum mit Israel und den USA kein Palästinenserstaat zu machen ist", wurde seine neu edierte Aufsatzsammlung aus den Jahren 1983 bis 1999 betitelt. Die beiden Bücher sind äußerlich gleich aufgemacht und sollen sich ganz offensichtlich gegenseitig ergänzen. Aber lässt sich ein Plädoyer für Israel aufwiegen gegen den von Chomsky erhobenen Vorwurf, ausschließlich die USA und Israel trügen die Schuld daran, dass es bis heute keinen palästinensischen Staat gibt? Oder werden hier Kontrahenten in den Ring gejagt, die sich in Technik und Stärke zu sehr unterscheiden und nicht einmal der gleichen Gewichtsklasse angehören? - Alan Dershowitz ist der Muhammad Ali dieser Auseinandersetzung. Ein Schwergewicht, aber dennoch gewandt und flink, widmet er sich häufig gestellten Fragen wie "Ist die gezielte Liquidierung von Terroristenführern ungesetzlich?", "Sind die Siedlungen im Westjordanland und im Gazastreifen ein wesentliches Hindernis für den Frieden" oder "Sind Kritiker Israels Antisemiten?" Er ist der Überzeugung:

    " Israel sieht sich als jüdische Nation auf der Anklagebank der internationalen Justiz. Die Vorwürfe: ein verbrecherischer Staat zu sein, das Paradebeispiel für Menschenrechtsverletzungen, ein Spiegelbild des Nazismus und das hartnäckigste Hindernis für einen Frieden im Nahen Osten."

    Im juristischen Stil ordnet er seine Kapitel: Vorwurf, Ankläger, Realität und Beweisführung. Er ist ein präziser Denker, bestens vorbereitet und greift auf eine Fülle von Material zurück. Er verzichtet gänzlich auf Spitzfindigkeiten oder Verdrehungen, die Unrecht irgendwie doch als Recht erscheinen lassen könnten.

    " Ich schreibe mein Plädoyer auf der Basis bürgerrechtlicher Überlegungen. Ich wünsche mir ganz einfach, dass alle Menschen guten Willens ihrer Beurteilung des jüdischen Staates dieselben moralischen und rechtlichen Kriterien zugrunde legen wie ihrer Beurteilung anderer Staaten und Völker auch."

    Der Linguist Chomsky hingegen ist eher ein intellektuelles Leichtgewicht. Die stringente Beweisführung des Juristen Dershowitz ist ihm fremd. Auch scheint er weniger einen fairen Kampf im Sinn zu haben, als das Niederschlagen des Gegners Israel mit unlauteren Mitteln bei gleichzeitiger Denunzierung des Ringrichters USA.


    " Seit Mitte der siebziger Jahre, als die Frage des palästinensischen Staats auf die diplomatische Agenda geriet, sind unzweideutig die USA das Haupthindernis für dessen Entstehung gewesen, eifrig sekundiert von der New York Times. In der offiziellen US-Geschichtsschreibung, an der die Medien fleißig mitstrickten, gilt auch die Friedensinitiative des ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat als Triumph der amerikanischen Diplomatie, die den Arabern unseren Friedenswillen aufzwang."

    Chomskys Taktik ist simpel. Da wird ominös die Behauptung aufgestellt, es gebe eine "offizielle Geschichtsschreibung", und die Mächtigen strickten an Legenden, die willige Medien nur zu gerne verbreiteten. Nur wenige Erleuchtete, wie Chomsky selbst, seien in der Lage, diese Lügen zu durchschauen. Wer das schlicht für paranoid hält, sei ohnehin nicht diskussionswürdig und müsse, so Chomsky, wohl noch ein paar Geschichtsstunden nehmen. Dershowitz bevorzugt dagegen die klassische Rechts-Links-Kombination. Er spricht sich für die Errichtung eines palästinensischen Staates auf der Grundlage der UN-Resolution 242 aus. Aber nur Verhandlungen, und nicht Terror-Aktionen können zu Errichtung dieses Staates führen. Er kritisiert so manche israelische Militäraktion. Aber er weiß genau, dass Israel über eine funktionierende Justiz und kritische Medien verfügt, die regulierend eingreifen. Ihm geht es nicht um eine blinde Verteidigung Israels, sondern um Fairness.

    " Die extremen Verurteilungen Israels übertönen jede vernünftige, vergleichende und kontextbezogene Kritik an der Politik Israels. Das zweifache Maß, nach dem man Israel misst, gefährdet die Glaubwürdigkeit internationaler Einrichtungen ebenso wie die Herrschaft des Rechts."

    Chomsky hingegen erweist sich als Meister der Verdächtigungen, Auslassungen und haarsträubenden Vergleiche. Er hat keine Skrupel, Schimon Peres als Massenmörder vom Schlage Adolf Hitlers oder Idi Amins zu bezeichnen. Sein gesamtes Gedankengebäude beruht auf der Prämisse, allein die PLO habe seit den siebziger Jahren immer wieder Interesse an einer Zwei-Staaten-Lösung signalisiert.

    " Die USA und Israel führen das Lager der Verweigerer an. Man kann die Panik erkennen, mit der Israel auf Initiativen der PLO reagierte, die in den USA ignoriert oder verschwiegen wurden."

    Als Beweis führt er eine Pressekonferenz an, die der Abgeordnete des Palästinensischen Nationalrates Issam Sartawi 1982 in Paris abhielt. Israel, erklärte Sartawi, solle formell das Existenzrecht eingeräumt werden. Leider wurde nie geklärt, was "formell" bedeuten sollte. Sartawi wurde wenige Monate später von einem palästinensischen Rollkommando umgebracht. Man hatte ihm die Anerkennung Israels übel genommen. Erst 1988 beschloss PLO-Chef Jassir Arafat, den Aufruf zur Vernichtung Israels aus der Charta der PLO zu streichen.

    Welche Befriedigung sollte man an einem Schlagabtausch finden, in dem die eine Seite mit und um Fairness kämpft, die andere aber ein Höchstmaß intellektueller Unredlichkeit an den Tag legt? Keine. Man kann Chomskys Buch getrost zur Seite legen. Es bietet nur das altbekannte, wirre Konglomerat düsterer Anspielungen, aus dem Kontext gerissener Zitate und wüster Analogien. Seine Thesen für ein Gegengewicht zu Dershowitz' Plädoyer zu halten, ist schlicht vermessen. Es wäre vergnüglicher gewesen, nur einem der beiden Kontrahenten, nämlich Dershowitz, beim Training zuzusehen. Dershowitz' Buch mag nicht dem Zeitgeist entsprechen. Aber es ist eine lohnenswerte Lektüre.

    Noam Chomsky: Keine Chance für Frieden. Warum mit Israel und den USA kein Palästinenserstaat zu machen ist.
    Europa Verlag. Hamburg 2005. 272 Seiten. 19,90 Euro.

    Alan Morton Dershowitz: Plädoyer für Israel. Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen.
    Europa Verlag. Hamburg 2005. 415 Seiten. 19,90 Euro.
    Rezensentin: Sylke Tempel