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Christentum
Die durchkritisierte Religion

Das Christentum ist in den vergangenen fünf Jahrhunderten einmal komplett durchkritisiert worden: von den Naturwissenschaften, der Aufklärung und aus den eigenen Reihen. Ist die Kritik damit abgeschlossen oder bleibt noch etwas übrig, das sich zu bemängeln lohnte?

Von Christian Röther | 21.09.2016
    Die Jesus-Statue im polnischen Swiebodzin ist 36 Meter hoch.
    Die Jesus-Statue im polnischen Swiebodzin ist 36 Meter hoch. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Kirchenkritik – da gibt es die üblichen Verdächtigen. Diese Kirchenkritiker arbeiten sich seit Jahrzehnten an ihrer – meist der katholischen – Kirche ab. Aber Christentumskritik? Ein seltsames Wort, man hört es im Gegensatz zu seinem islamischen Pendant so gut wie nie. Folgerichtig wird auch der berühmteste und erfolgreichste Kritiker des Christentums aller Zeiten zumeist gar nicht als solcher wahrgenommen: Martin Luther. Seine Kritik an der Kirche ging ans Eingemachte und hat sie grundlegend verändert.
    Rund 200 Jahre nach Luthers Wirken beginnt das Zeitalter der Aufklärung. Jetzt prasselt die Kritik von allen Seiten auf das europäische Christentum nieder – und gibt der Religion ein völlig neues Gesicht. Die Entdeckungen der Naturwissenschaft stellen das christliche Weltbild auf den Kopf. Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Weltalls, sagt Kopernikus. Der Mensch stammt vom Affen ab, befindet Darwin.
    Aufklärung und Holocaust
    Auch die Phalanx der abendländischen Denker startet ihren aufklärerischen Angriff auf das Christliche. Frei nach Descartes: Ich denke, also kritisiere ich. Oder: Ich kritisiere, also bin ich. Die Menschen haben sich Gott bloß ausgedacht, konstatiert Feuerbach. Als Opium fürs Volk, ergänzt Marx. Gott ist tot, diagnostiziert Nietzsche gnadenlos – und mit ihm krankt auch die Macht der Kirchen. Sie werden gesellschaftlich zurückgedrängt. Das moderne Europa formiert sich auch in Abgrenzung zum Christentum. Das erfindet sich neu – zum Teil begeistert, zum Teil wider Willen.
    Der Holocaust löst dann eine weitere Welle der christlichen Selbstkritik aus. Die Ermordung von sechs Millionen Juden lässt viele Theologen nach der Mitschuld des Christentums fragen. Der Antijudaismus hatte über Jahrhunderte hinweg die christliche Lehre durchwirkt. Jetzt, vor dem Hintergrund der Shoa, wird er weginterpretiert, an die braunen Ränder der Kirchen verdrängt. Ein bemerkenswerter selbstkritischer Akt.
    Ein neuer Kritiker in Sicht?
    Seitdem fehlt die große Kritik am Christentum. Zeitgenössische Religionskritiker wiederholen meist nur, was schon andere vor ihnen formuliert haben. Kein Wunder: Was will man noch bemängeln an einer Religion, die einmal komplett vom Kopf auf die Füße kritisiert wurde? Die inzwischen Theologie betreibt mit der "historisch kritischen Methode" und so ihre eigenen Fundamente schonungslos seziert.
    Natürlich gibt es dennoch einiges zu kritisieren am Christentum. Aber vielleicht muss die Kritik erneut von innen kommen, um etwas zu bewirken? Wie damals bei Luther. Ein Mann schickt sich an, in der größten Kirche einiges auf den Prüfstand zu stellen, was lange als gesetzt galt: den Zölibat, den Umgang mit Homosexualität, die Rollen der Geschlechter. Sein Name, Sie ahnen es: Papst Franziskus.