3. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung, über die griechische Polis ( besonders Athen) und das Rom der Republik und der Kaiserzeit bis hin zu den Jahrhunderten des transatlantischen Sklavenhandels während der europäischen Übersee-Expansion. Und: Kritik an der Zwangsausbeutung menschlicher Arbeitskraft und dem unmenschlichen Schicksal der völlig rechtlosen Opfer ist – historisch gesehen – ein ganz junges Phänomen:
Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Sklaverei erstmals verurteilt. Diese verspätete Reaktion des europäischen Gewissens, das sonst so sehr darum bemüht war, die Idee der Freiheit – allerdings nur für die Weißen – auf politischer Ebene zu propagieren, ist ein Skandal, der die Aufklärung auf immer befleckt.
Selbst heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, gibt es zahllose Menschen in aller Welt, die wie Sklaven, d.h. in Unfreiheit gehalten und systematisch zur Arbeit gezwungen werden - auch wenn die Sklavenhaltung (wie in den USA seit 1865) längst offiziell abgeschafft und auch durch eine ganze Reihe von völkerrechtlichen Übereinkommen und Verträgen international geächtet bzw. verboten ist. Delacampagne widmet sich in einem der letzten Kapitel seines Buches ausführlich den modernen "Relikten der Sklaverei", wie sie vor allem in einigen islamischen Ländern (wie Saudi-Arabien, Jemen und Mauretanien) anzutreffen sind, aber auch den veränderten "Formen von Sklaverei": Kinderarbeit vor allem, auch Kinder- und Erwachsenenprostitution. Allein der Umfang der Kinder-Zwangsarbeit ist ein deprimierendes Kapitel: ein Bericht des Internationalen Arbeitsamtes in Genf schätzte 1996 (!), dass die Zahl der Kinder, die unter Bedingungen arbeiten müssen, die der Sklaverei (so wörtlich) "in nichts nachstehen", bei rund 200 Millionen lag; für 2001 bereits rechnete die UNESCO mit einem weiteren Anstieg auf 250 Millionen…
Der Leser erfährt bei Delacampagne einiges wissenswerte über die Kehrseiten der antiken Gesellschaft, das geeignet ist, das humanistische Verständnis dieser Epoche infrage zu stellen. Ausgerechnet die athenische "Demokratie" stellt sich, bei Licht besehen, alles andere als "ideal" dar; den Vollbürgern (oder "Freien"), zugewanderten Fremden und sog. "Metöken" stand eine große und ständig wachsende Zahl von Arbeitssklaven gegenüber, die zwar als menschliche Wesen, zugleich aber als Sache, als persönliches Vermögen ihrer Herren galten.
Woher kamen diese Sklaven, die mindestens ein Drittel der athenischen Bevölkerung stellten? Lange galt in der Geschichtswissenschaft: es habe sich zumeist um Kriegsgefangene gehandelt, denen der Sieger aus "Milde" das Leben geschenkt habe – eine Antwort, die die Versklavung ohne Schwierigkeit als "gemilderte Form barbarischer Kriegsführung" rechtfertigen konnte. Delacampagne weist nicht nur nach, dass diese Hypothese historisch falsch ist; er belegt auch, gestützt auf neue Forschungsergebnisse, dass von Anbeginn der Sklavenhandel für die Lieferung der Ware Mensch verantwortlich war – jener Sklavenhandel,
"… der schon in homerischer Zeit im ganzen Mittelmeerraum gang und gäbe war und der in klassischer Zeit an Orten wie Korinth, Aigina, Chios, Delos, Zypern und, nicht zu vergessen, in Athen selbst bezeugt ist. Insgesamt gesehen konnte die griechische Welt tatsächlich nur deshalb so leicht zur Sklavenhalterordnung als Produktionsweise übergehen, weil zu einem bestimmten Zeitpunkt der Sklave in Ihren Augen zu einem `Werkzeug’ wurde, das man leicht auf dafür spezialisierten Märkten erwerben konnte".
Kritik an dieser Beschaffungspraxis gab es damals sowenig wie an der Sklaverei als gesellschaftlicher Realität, weder in Athen noch später in Rom. Philosophen wie Platon und Aristoteles taten alles, um entweder die "bestehenden sozialen Ungleichheiten in rechtlich fixierte Rangordnungen umzuformen und in Verbindung zu einer transzendentalen Ordnung zu setzen" – oder die "naturbedingte Minderwertigkeit" dieser Menschen zu betonen.
Natürlich nimmt die Zeit des europäischen Sklavenhandels in der Folge der Entdeckung Afrikas und Amerikas, die einen grausamen Höhepunkt in der Geschichte der Sklaverei darstellt, bei Delacampagne breiten Raum ein. Kolonialisierung, staatliche Interessen und privates Profitstreben gingen dabei jene unheilvolle Allianz ein, die erst wirklich erklärt, warum die Ausbeutung der Ware Mensch über 4 Jahrhunderte von allen großen Handelsmächten (Portugal, Spanien, England, den Niederlanden, auch Frankreich ) ohne die geringsten Skrupel betrieben wurde. Oberste Maxime war immer: der größtmögliche ökonomische Nutzen – und nützlich war, aus der Sicht der Besitzer von Zuckerrohr-, Kaffee-, Indigo- und Baumwollplantagen in der Neuen Welt – vor allem eins: billige Arbeitskraft – aus Afrika. Je mehr 'Schwarze’ beschafft werden konnten, desto besser. Das Ergebnis war ein Massenelend unvorstellbaren Ausmaßes – und es sind die Details, die Delacampagne mit schonungsloser Direktheit schildert, die einen noch heute erstarren lassen. Am schlimmsten vielleicht die "Große Passage", die Verschiffung der auf den Sklavenmärkten West- und Zentralafrikas gekauften Menschen; ganze Generationen wurden so deportiert und unter regelrechten KZ-Bedingungen in die Karibik, nach Brasilien und in die USA verfrachtet, wo sie – und ihre Nachkommen ! – ein trostloses Leben erwartete.
Die erschütternde Bilanz der Sklavenverschiffung: Mindestens 1 Million Afrikaner bezahlte die Zwangspassagen mit dem Leben. Und wahrscheinlich ist diese Zahl noch zu tief gegriffen – wegen der nach wie vor unsicheren Berechnungsgrundlage. Zu dieser Bilanz gehört auch die vollkommene Gleichgültigkeit der Intellektuellen Europas, zumal der französischen. Ungeachtet unterschiedlicher Anschauungen über die Rechtmäßigkeit und Nützlichkeit von 'Kolonien’ schwiegen sie zur Sklaverei und ihren menschenverachtenden Praktiken. Montesquieu, Voltaire, Condorcet, Rousseau: sie alle taten nichts, um eine Änderung des allgemeinen Bewusstseins zu bewirken; die Vernunft der Aufklärung, die – so Delacampagne – in "ihrem natürlichen Ethnozentrismus … weiß war", konnte in den 'Schwarzen’ keine gleichberechtigten Menschen erkennen. Nicht von ungefähr nahm die Bewegung für die Sklavenbefreiung denn auch nicht in Frankreich Gestalt an (auch nicht in dem von 1789), sondern in der angelsächsischen Welt: die erste förmliche Verurteilung der Sklaverei erfolgte 1759 durch die Quäker in Philadelphia. Und Vermont erklärte 1777 als Erster Staat in der Menschheitsgeschichte die Sklaverei auf seinem Territorium für 'illegal’. Es war der Beginn eines langen Kampfes. Er dauerte zwei Jahrhunderte – und ist noch immer nicht zu Ende.
Martin Geiling war das über Die Geschichte der Sklaverei von Christian Delacampagne, übersetzt von Ursula Vones-Liebenstein. Das Buch ist bei Artemis und Winkler erschienen, hat 352 Seiten und kostet 26 Euro.