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Christian Zacharias spielt und dirigiert Klavierkonzerte von Mozart

Mozart kann als der Schöpfer des modernen Klavierkonzerts gelten. Er führte diese Gattung weg von purer Gebrauchsmusik hin zu individuell geprägten Kunstwerken und legte mit 25 eigenen Stücken einen soliden Grundstein. Der Pianist Christian Zacharias hatte sie alle in den 80er Jahren schon einmal eingespielt - leider sind die Aufnahmen vergriffen. Zwei neue Einspielungen zeigen Zacharias dafür nicht nur an den Tasten, sondern auch als Dirigent.

Von Ludwig Rink |
    Im Klassik-Betrieb zählt heute oft mehr der Betrieb als die Klassik. Musikern gelingt der Sprung auf Titelseiten und in Talkshows einfach besser, wenn sie nebenbei noch Wölfe züchten, aus völlig anderen Kulturkreisen kommen oder sich für politische oder humanitäre Ziele einsetzen. Klar, dass junge Geigerinnen im Medienzeitalter auch noch toll aussehen müssen, selbst Sängerinnen können uns längst nicht mehr eine gewisse Fülligkeit als Grundvoraussetzung für schöne, solide gestützte Töne verkaufen. Und wenn man es als Teufelsgeiger schon nicht in die Pop-Charts schafft, muss man mindestens behaupten, überkommene Klangvorstellungen entrümpeln oder sich für die allerneueste Musik einsetzen zu wollen. Besonders breitenwirksam ist es natürlich, große Konzertflügel an ungewohnte Orte schleppen zu lassen, um dann zum Beispiel im Flugzeug leichte Klassiksnacks zu servieren. Doch neben diesen betriebsamen Entertainern gibt es auch noch Musiker, die sich auf das Kerngeschäft konzentrieren und ganz einfach nur gute Interpreten sein wollen. Einer, der so ohne alles Sensationsgeklingel seinen Weg geht, ist der heute 57-jährige Pianist und Dirigent Christian Zacharias. Er hat ein besonderes Faible für die Sonaten von Scarlatti; daneben sind es allen voran die Klavierwerke von Beethoven, Schubert, Schumann und - wie hier - von Wolfgang Amadeus Mozart, die den Pianisten Zacharias offenbar immer wieder faszinieren.

    " Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart
    aus: Konzert für Klavier und Orchester G-dur, KV 453 "

    Neben seiner Karriere als Pianist ist Christian Zacharias inzwischen seit über 15 Jahren auch als Dirigent tätig. Sein diesbezügliches Debüt gab er 1992 beim Orchestre de la Suisse Romande in Genf, es folgten Engagements unter anderen bei den Bamberger Symphonikern, bei den Sinfonikern von Los Angeles und Washington, bei der Dresdner Philharmonie, dem English Chamber Orchestra, dem Zürcher Kammerorchester, der Radio Philharmonie Hannover und dem Nederlands Philharmonisch Orkest. Seit der Saison 2000/2001 hat Zacharias seine erste Verpflichtung als Künstlerischer Leiter und Chefdirigent angenommen: beim Orchestre de Chambre de Lausanne, und mit diesem in der Stammbesetzung genau für die späten Mozart-Sinfonien passenden Kammerorchester nimmt er neben anderem auch nach und nach die Klavierkonzerte von Mozart auf. Diesmal sind das die Konzerte KV 453 und 456, also zwei der insgesamt 6 Konzerte, die im Jahre 1784 entstanden, als Mozart der wohl gesuchteste Klavierspieler Wiens war.

    Überhaupt kann Mozart als der Schöpfer des modernen Klavierkonzerts gelten. Er führte diese Gattung weg von purer Gebrauchsmusik hin zu individuell geprägten Kunstwerken und legte mit 25 eigenen Stücken einen soliden Grundstein für diese später im Konzertsaal immer wichtiger werdende Musikart. Verblüffend ist dabei immer wieder, wie hinter der Einheitlichkeit und äußeren Geschlossenheit der Sätze eine Vielzahl unterschiedlicher Motive und Themen steht. Bei weniger begabten Komponisten würde eine solche Zusammenstellung mit Sicherheit auseinander zu brechen drohen. Und so schwierig es für den Wissenschaftler ist, unter diesen Umständen das eindeutige Formschema etwa eines Sonatenhauptsatzes auszumachen, so dringlich wird es für den Interpreten, diese Fülle von Einfällen unter einen Hut zu bekommen. Möglicherweise gelingt dies besser, wenn man sich Mozarts Klavierkonzerte als textlose Opernszenen vorstellt, in denen Klavier und Orchesterinstrumente miteinander Theater spielen: Ruhe oder Überraschung, Entwicklung oder Kontrast, liebliches Säuseln oder befehlender Ton, pompöse Geste oder unterwürfige Ängstlichkeit, knallende Türen oder Versteckspiel - alles, was Theater ausmacht, befreit von konkreter Handlung, dargestellt durch pure Musik. Christian Zacharias jedenfalls scheint die Melodien zu formen wie ein Regisseur seine Schauspieler und haucht den unterschiedlichen Figuren ihren je eigenen Charakter ein. Sein musikalischer Farbkasten hält für jede Stimmung einen passenden Farbton bereit, mit Fingerspitzengefühl setzt er Lichter und Schatten. Sein Spiel hält immer wieder Überraschungen bereit. Am Klavier erlaubt er sich, durchaus historisch richtig, kleine "Improvisationen" in Form von melodischen oder rhythmischen Varianten und platziert diese mit Stilgefühl in der Art von besonderen Pointen. Diese Mozart-Interpretation hat Hirn und Herz, Kopf und Bauch, in ihr pulsiert das pralle Leben.

    " Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart
    aus: Konzert für Klavier und Orchester B-dur, KV 456 "

    Diese beiden Mozart-Klavierkonzerte sind erschienen bei der "Musikproduktion Dabringhaus und Grimm" in Detmold, einer kleinen, aber feinen Schallplattenfirma, die sich von ihren Anfängen mit Schwerpunkt Orgelmusik längst weiterentwickelt hat und heute ein breites Repertoire von klein besetzter Kammermusik bis hin zur Sinfonik anbietet. Da Werner Dabringhaus von Hause aus Tonmeister ist, werden hier die Aufnahmen selbst gemacht, nicht von anderen, zum Beispiel Rundfunkanstalten, preiswert übernommen, sondern nach eigener "audiophiler" Klangphilosophie produziert, und das heißt: natürliche Akustik ausgesuchter Räume, keine klangverändernden Manipulationen wie künstlicher Hall, Filter, Begrenzer und ähnliches. Ziel ist eine möglichst unverfälschte Wiedergabe mit genauer Tiefenstaffelung, originaler Dynamik und natürlichen Klangfarben. Hinzu kommt eine geschickte Repertoire-Politik mit Blick auch für das weniger Bekannte sowie die Zusammenarbeit mit Musikern, die diese Sorgfalt im Klanglichen zu schätzen wissen. Und dazu gehört seit vielen Jahren eben auch Christian Zacharias, einst bei einem der großen multinationalen Schallplattenkonzerne unter Vertrag, dann aber eher enttäuscht von deren Marktstrategien - womit wir wieder beim Klassik-Betrieb und seinem heutigen Lieblingskind, dem Event wären. Zacharias realisierte bei Dabringhaus und Grimm inzwischen eine Solo-CD mit Mozart-Klavierwerken, zusammen mit dem Leipziger Streichquartett Schuberts Forellenquintett und ein Klavierquintett von Dvorak, Klavierwerke von Schubert, Sonaten von Scarlatti, zusammen mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne zwei Klavierkonzerte von Chopin, Klavierkonzerte von Mozart und Schumann und ein Requiem und Sinfonien von Michael Haydn. In den 80er Jahren hatte Zacharias bereits bei EMI im Laufe von etwa 10 Jahren alle Mozart-Klavierkonzerte eingespielt - damals mit sechs verschiedenen Orchestern und vier verschiedenen Dirigenten. Leider ist diese ebenfalls mit modernem Konzertflügel realisierte Gesamtaufnahme nicht mehr auf dem Markt. So kann man nur hoffen, dass das heutige, 2003 begonnene Projekt, bei dem Zacharias als Pianist und Dirigent aktiv ist und mit seinem Kammerorchester Lausanne einen kongenialen Partner gefunden hat, in etwas schnellerer Folge und doch mit der nötigen Sorgfalt weitergeführt wird.

    " Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart
    aus: Konzert für Klavier und Orchester B-dur, KV 45 "6

    Die Neue Platte - zuletzt mit dem Allegro vivace aus dem Konzert für Klavier und Orchester B-dur, KV 456 von Wolfgang Amadeus Mozart. Es spielte das Orchestre de Chambre de Lausanne, Pianist und Dirigent war Christian Zacharias. Diese neue Platte ist erschienen beim Label Dabringhaus und Grimm.