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Christlich-muslimischer Dialog
Christian Wulff beim Spendenessen

Eine muslimische Familie lädt zum Essen und zum Dialog. Mit dabei: zwei deutsche Rentner, ein katholischer Ex-Bundespräsident und der Vorsitzende der palästinensischen Gemeinde. Was nach einem Bühnenstück klingt, hat in Hannover tatsächlich stattgefunden. Aus diesem Dialog der Religionen entwickelte sich eine spannende Debatte.

Von Alexander Budde | 15.01.2015
    Der Geschäftsführer Islamic Relief Deutschland Tarek Abdelalem (l-r), der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, der Unternehmer Baycan Varol mit Ehefrau Meriyem, Sohn Malik und Tochter Merve unterhalten sich am 12.01.2015 zusammen in dem Haus des Gastgebers Varol in Hannover (Niedersachsen) vor Beginn der Spenden-Aktion von Islamic Relief "Speisen für Waisen". Bei der Aktion kommen Muslime und Nicht-Muslime zu einem gemeinsamen Essen zusammen. Dabei werden Spenden für Kinder in den palästinensischen Gebieten gesammelt. Initiator ist die Kölner Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland. Foto: Peter Steffen/dpa
    Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff zu Gast bei der Familie Varol in Hannover (Niedersachsen) vor Beginn der Spenden-Aktion von Islamic Relief "Speisen für Waisen". (dpa / picture alliance / Peter Steffen)
    Baycan und Meriyem Varol treffen letzte Vorbereitungen. Der Süßwarenfabrikant legt im Flur flauschige Pantoffeln für die Gäste bereit. Seine Frau rührt in der Küche in den Töpfen, assistiert von Tochter Merve und den Söhnen Mücahid und Malik. Die kleine Mina, jüngster Spross der Familie, ist noch im Windelalter und wird den denkwürdigen Besuch verschlafen. Dabei biegt sich die Tafel im Wohnzimmer unter geräucherten Auberginen, gefüllten Weinblättern und knusprigen Lammkeulen.
    "Speisen für Waisen", ist das Motto der Hilfsaktion, für die Altbundespräsident Christian Wulff bei diesem Mittagessen in Hannover werben will. Menschen verschiedener Herkunft und Religion sollen dabei ins Gespräch kommen, nebenbei werden Spenden für Kinder im zerstörten Gaza gesammelt. Die muslimische Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland ruft noch bis Anfang Februar Privatleute, Unternehmen und Vereine zum Mitmachen auf.
    Ute Köster: "So alleine kommt man gar nicht so in die Ecken. Und außerdem kann Herr Varol wahnsinnig gut Auto fahren. Da macht man am besten die Augen zu und sagt: 'Ich sehe das alles gar nicht!'"
    Gäste der Tafel sind auch Ute und Johannes Köster, beide im Rentenalter. Ihre Freundschaft zu den Varols gründet in einer gemeinsamen Urlaubsreise nach Istanbul. Christian Wulff gibt eigene Reisetipps. Wie beiläufig erwähnt er auch die Ehrenbürgerwürde, die ihm der Magistrat der Hafenstadt Tarsus verlieh.
    Das Zusammenleben von Christen und Muslimen war das prägende Thema seiner Amtszeit. Auch nach seinem Rücktritt. "Ich habe damals einen Gottesdienst dort angeregt, zwischen alle Weltreligionen, in Tarsus, und habe die Stadt Tarsus ein bisschen unterstützt, im Bekenntnis zu ihrem Erbe: Dass sie bedeutende Muslime haben, dass sie auch bedeutende jüdische Philosophen beherbergt haben."
    Eine ganze Weile scheint die Tischgesellschaft bemüht, möglichst jedes Thema zu meiden, das ihre Harmonie trüben könnte. In gelöster Stimmung wird über das Leben mit dem Doppelpass und über die Vorzüge deutscher Automobile diskutiert.
    "Mehr Fingerspitzengefühl"
    Erst nach einer Stunde, der Hauptgang ist schon abgeräumt, kommen die Terroranschläge in Paris zur Sprache. "Wie gehen Sie damit um?", fragt Wulff in die beklommene Stille. Yazid Shammout, der Vorsitzende der palästinensischen Gemeinde in Hannover, spricht von seinem Befremden, er habe den Eindruck, sich von jedem Terrorakt fanatischer Glaubenskrieger distanzieren und seine Religion rechtfertigen zu müssen. Das Protokoll erlaubt keinen Mitschnitt des Gesprächs. Doch später im Interview legt der streitbare Muslim nach: "Ich vertrete der Meinung, dass diese ISIS, oder IS, wie es bezeichnet wird, eine terroristische Sekte ist, die sich mit dem Islam umhüllt - hat allerdings mit dem Islam nichts zu tun! Das ist hier ein Terrorakt von Fanatikern – und Punkt, fertig!"
    Entsetzt seien sie über die Mordtaten, merken die Kösters an. Doch Satire à la Charlie Hebdo mit Zeichnungen des Propheten, nicht selten weit unterhalb der Gürtellinie, sei ihre Sache nicht.
    Johannes Köster: "Satire ist OK, ist super! Wenn also Missstände aufgedeckt werden, finde ich ganz toll! Aber man muss bei der Religion wirklich etwas vorsichtiger sein..."
    Ute Köster: "... man muss mehr Fingerspitzengefühl haben, finde ich!"
    Christian Wulff widerspricht mit Inbrunst. Die Meinungsfreiheit sei das höchste Gut, Schmähungen gelte es auszuhalten. Und besser als er, Wulff selbst, könne wohl kaum jemand ermessen, welche Bürde damit verbunden sei.
    Muslime im Schützenverein
    Der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland, sagte Wulff 2010 in einer Grundsatzrede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit – und der damalige Bundespräsident stieß auf heftigen Widerspruch, vor allem in der eigenen Partei. Doch der Satz hat Konjunktur, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn sich zu eigen gemacht. Christian Wulff sieht sich bestätigt, in seinem Werben für mehr islamischen Religionsunterricht an Grundschulen, für die Ausbildung von Imamen in deutscher Sprache, für mehr Muslime im Schützenverein und bei der Feuerwehr.
    "Zum christlich-jüdisch geprägten Abendland gehört die Religionsfreiheit. Und wir alle tun gut daran, dafür einzutreten, dass wir zu einem Frieden kommen, im Miteinander!"
    Selbst ernannte Patrioten wettern gegen die angebliche Islamisierung ihres christlichen Abendlandes. Die Tafelrunde diskutiert, ob der hemmungslose Populismus wohl die Stimmung im Lande dauerhaft verändern wird. Christian Wulff bleibt gelassen, kühl verweist er auf das Grundgesetz.
    "Das gilt übrigens auch für alle, die zu diesen Demonstrationen gehen, in Dresden und andernorts. Und wenn die denn alle hinter dem Grundgesetz stehen, wäre schon eine Menge gewonnen! Denn das verteidigen wir ja als deutsche Leitkultur: unser Grundgesetz. Und darin steht, dass jeder seine ihm eigene Würde hat und das jeder glauben darf, was er will, und auch entscheiden darf, ob er überhaupt etwas glaubt. Das ist die Freiheit des Einzelnen."
    Yazid Shammout: "Meine Kinder gehen auf die Walldorfschule. Und das ist, glaube ich ... deutscher geht es kaum noch!"
    Lacht Yazid Shammout, während Meriyem und Merve Varol, Mutter und Tochter mit Kopftuch bedeckt, Dessert und allerhand Naschwerk auftragen. Einen Weg der Annäherung sieht er in der persönlichen Begegnung, im offenen Gespräch wie es im Wohnzimmer der Familie Varol möglich war.
    Meriyem Varol: "Ich bin ja selber hier aufgewachsen, ich bin hier geboren. Und deswegen, denke ich, kann ich auch mit den Menschen, mit meinem Umfeld, ganz anders umgehen, ganz andere Kontakte knüpfen, oder Diskussionen führen, wo ich den Menschen das auch erklären kann, gerade weil ich die deutsche Sprache einfach auch kann."
    Sagt Meriyem Varol zum Abschied. Die Gastgeberin trägt ein müdes Lächeln im Gesicht. Sie sieht ein wenig erleichtert aus.