Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Christliche Flüchtlinge in Notunterkünften
"Warum trägst du kein Kopftuch?"

Die Religionsfreiheit gilt in Deutschland überall, auch in Flüchtlingsheimen. Allerdings mehren sich Berichte, dass es dort um die Religionsfreiheit schlecht bestellt sei. Muslime gingen gegen die Minderheit der christlichen Flüchtlinge vor, heißt es. Die Behörden bestreiten das. Rede und Gegenrede aus Berlin.

Von Thomas Klatt | 21.01.2016
    Die Hallen des stillgelegtes Flughafens Berlin-Tempelhof.
    Tempelhof Hangars - werden in den Notunterkünften Christen diskriminiert? (AFP / Tobias Schwarz)
    So einfach kommt man in die Hangars am früheren Flughafen Tempelhof nicht hinein. Erst muss man an der Security-Kontrolle vorbei, dann öffnet sich eine Seitentür. 2500 Menschen sind hier derzeit in Zelten und durch Leichtbauwände getrennte Zimmer untergebracht. Sascha Langenbach, Pressesprecher des Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales Lageso führt durch die gut 20 Meter hohen Hallen.
    "Im Eingangsbereich befinden wir uns direkt vor dem Kinderzimmer. Ist aufgebaut worden mit Hilfe von privaten Spenden. Jetzt da vorn ist eine Arztpraxis, wo Menschen unter der Woche behandelt werden. Das sind Freiwillige von Cabuwazi, dem Kinderzirkus, die bei der Kinderbetreuung helfen, viele Bewegungsspiele machen und kommen wahnsinnig gut an."
    Es sei eben eine Notunterkunft. Mittlerweile gebe es sogar fest installierte Toiletten und Waschgelegenheiten in den gut geheizten Hangars. Schritt für Schritt werde es immer besser. Immerhin sollen hier bald bis zu 4000 Flüchtlinge oder sogar noch mehr unterkommen. Dass es auch zu ernsthaften Konflikten unter Flüchtlingen kommt, davon hat Pressesprecher Sascha Langenbach noch nicht gehört. Vor allem nicht, dass es Unstimmigkeiten wegen der Religion gebe. Immerhin werden in den Flüchtlingsunterkünften Familien und Frauen von jungen Männern getrennt untergebracht, um so sexuell motivierte Übergriffe zu verhindern. Auch werden Ethnien getrennt. Syrer, Iraker und Araber werden meist in anderen Einheiten untergebracht als etwa Afghanen oder Afrikaner. Nach Religion aber wird hier nicht unterschieden.
    "Es ist aber so, dass wir die Religion, wenn wir die Menschen hier registrieren, erst mal gar nicht aufnehmen. Das ist jedem überlassen, ob er sich in irgendeiner Form religiös betätigt oder nicht, das heißt es gibt da keine Kategorisierung. Das ist 'ne Privatsache."
    Christliche Flüchtlinge trifft man zum Beispiel in der selbstständig evangelisch lutherischen Dreieinigkeitsgemeinde in Berlin-Steglitz. Die Bankreihen sind brechend voll, viele Gemeindeglieder kommen aus dem Iran und Afghanistan. Die meisten haben sich erst hier taufen lassen. Mühsam verfolgen sie die deutschen Liedtexte. Aber es gibt auch Übersetzungen in die Heimatsprachen Farsi und Dari. Dass die Religion in den Flüchtlingsunterkünften keine Rolle spielt, das erleben sie gerade nicht. Man müsse seinen Glauben dort verstecken, sonst ergehe es einem schlecht, schildern Gemeindeglieder nach dem Gottesdienst.
    "Vor zwei Wochen ich war in meinem Zimmer und wir hatten Waschmaschinen-Termin und meine Mutter war runtergegangen für Waschmaschine und da war eine Frau mit ihrem Kind. Die haben zu meiner Mutter gesagt, warum hast Du kein Kopftuch? Du bist Perser, Du musst Moslem sein. Ihr müsst mit Kopftücher sein, ihr seid nicht Menschen."
    Meinungsverschiedenheiten, die auch in Handgreiflichkeiten ausarten können. Diese iranische Frau traut sich noch nicht einmal zu sagen, in welchem Flüchtlingsheim sie untergebracht ist, aus Angst, dann dort bei Veröffentlichung ihrer Aussagen als Christin noch mehr unterdrückt zu werden. Ein Gottesdienstbesucher übersetzt.
    "Sie hat gesagt, die Leute im Asylantenheim Probleme gemacht, muslimische Leute. Ich bin ich auf der Straße gelaufen zum Beispiel, haben die Leute Tomaten zu uns geworfen. Gesagt: du bist jetzt Christ, du bist jetzt ganz, ganz schlecht. Du hast einfach umgetauscht deine Religion und so weiter."
    Sie sei schon im Iran Mitglied einer geheimen christlichen Hausgemeinde gewesen, erzählt sie. Nun habe sie sich zusammen mit ihrer Familie in Berlin zum endgültigen Übertritt und zur Taufe entschieden. Seitdem das in ihrer Flüchtlingsunterkunft ruchbar geworden ist, hat sie vor allem Angst um ihre Kinder.
    "Die Leute sagen, du darfst nicht spielen mit unseren Kindern. Unsere Kinder sind Muslime, deine Kinder darf nicht spielen mit Fußball und andere. Sie hat gesagt, ich hab Zimmer 12 qm und ich kann nicht immer meine Kinder in dem Zimmer. Und was mach ich jetzt?"
    Zumindest kann sie ihre Nöte und Ängste äußern. In der Berlin-Steglitzer Gemeinde werden die Berichte aus den Flüchtlingsunterkünften gesammelt. Da heißt es: Christlichen Asylbewerbern werde der Zugang zur Küche verweigert mit der Begründung, sie seien haram, also unrein. Sie würden stundenlangen Koranrezitationen aus Lautsprechern vor ihrer Unterkunft ausgesetzt, weil muslimische Mitbewohner sie zur Rückkehr zum Islam bewegen wollen. Wer als Christ nicht beim Ramadan mit faste, werde beschimpft und körperlich bedrängt. Kreuze, Taufkerzen oder Bibeln müssten versteckt werden. Es komme nicht nur zu Morddrohungen, sondern auch zu Prügeleien bis zu lebensgefährlichen Messerattacken. Und es gebe kaum Möglichkeiten sich zu schützen oder zur Wehr zu setzen. Denn die meisten Security-Mitarbeiter seien selbst Muslime, kämen aus türkischen und arabischen Familien und würden die Probleme der christlichen Flüchtlinge zumindest übersehen und nicht weiter melden. So hat es dieser junge iranische Christ in den Tempelhofer Hangars erlebt, in denen er zurzeit untergebracht ist. Sein Freund übersetzt.
    "Er sagt, seitdem sie in dem Heim sind, sie werden immer wieder bedrohtvon Afghanen und die haben ihm die Bibel kaputt gemacht. Sie würden sogar mit Stühlen werfen oder sogar mit Feuerlöscher. Sein Freund kann türkisch, hat mit Security gesprochen. Aber die meinten, das kann ich nicht machen, weil sonst werden die auch mich rausschmeißen."
    Um sich also mit der Mehrheit der muslimischen Flüchtlinge nicht anzulegen, verzichtet die Security darauf, die wenigen Christen zu schützen, so diese Aussage. Dabei sehen nicht alle Muslime die Konversion als Todsünde an. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland bekennt sich etwa ausdrücklich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und damit zum Recht, seine Religion zu wechseln oder eben auch Atheist zu sein. Doch das scheint sich noch längst nicht bei allen Flüchtlingen herumgesprochen zu haben, zumindest nicht in den Tempelhofer Hangars.
    "Am Anfang haben sie nicht gewusst, dass er Christ ist. Dann haben sie ihn gefragt, ob er am Freitagsgebet teilnehmen will. Dann hat er gesagt, dass er nicht Moslem ist, sondern Christ ist. Sie wollten sich prügeln, du bist nicht hallal. Er fühlt sich jetzt wirklich bedroht da."
    Das aber könne so nicht sein, meint Lageso-Pressesprecher Sascha Langenbach. Es gebe genügend Sozialarbeiter und jeder finde mit seinen Klagen stets ein offenes Ohr. Dass eine muslimisch dominierte Security gegen die christliche Minderheit agieren würde, kann er sich nicht vorstellen.
    "Das sind Araber und Türken – ist eine Pauschalisierung. Es gibt normale Deutsche, Menschen, die vom Balkan kommen. Ich weiß nicht, ob da nicht auch Süd-Schweden dabei sind. Aber dieser pauschale Vorwurf, die Security machen dies und jenes, das ist mir zu kurz gegriffen."
    Wer in Flüchtlingsheimen Wachdienste übernimmt, der müsse ein polizeiliches Führungszeugnis vorweisen und Vorstrafen frei sein. Und vielleicht noch eine gewisse Freundlichkeit an den Tag legen. Sonst aber:
    "Wissen Sie, ich kann ja nicht jeden Security-Menschen fragen, welcher Religion er angehört. Dass 'ne Religionszugehörigkeit Einstellungsvoraussetzung ist, hätt ich Schwierigkeiten mit."
    Eine Lösung könnte sein, christliche und muslimische Flüchtlinge getrennt unterzubringen. Doch das lehnt das Lageso ab, erkennt es doch das Religions-Problem als solches nicht einmal an. Aber immerhin, Lageso-Sprecher Langenbach verspricht, sich mit den dokumentierten Klagen der christlichen Flüchtlinge auseinanderzusetzen. Mehr aber verspricht er nicht.