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Christliche Flüchtlinge
Religiöse Konflikte mit Muslimen

Unter den Flüchtlingen aus Syrien sind Christen eine Minderheit. Viele sind gemeinsam mit Muslimen in Notunterkünften untergebracht. Sie teilen das Schicksal der Flucht. Dennoch mehren sich Berichte von christlichen Syrern, die in Deutschland Anfeindungen radikal gesinnter Muslime erleben. Deutsche bekommen davon kaum etwas mit. Es wird auf Arabisch attackiert oder missioniert.

Von Carsten Dippel | 19.05.2016
    Ein Flüchtling hört sich am 21.03.2016 die Übersetzung eines Pressegespräches zu christlichen Flüchtlingen und ihrer Unterbringung in der katholischen Kirche St. Elisabeth in Berlin, in Arabisch über Kopfhörer an.
    Christliche Flüchtlinge - ein Pressgespräch zur Unterbringung in der katholischen Kirche St. Elisabeth in Berlin (dpa)
    Sein Kreuz trägt Jamil meist unter dem T-Shirt. Ein acht Zentimeter großes Kruzifix, aus dem Vatikan, das Geschenk eines Freundes. Wochenlang hat er sich nicht getraut, es zu zeigen. Erst in den letzten beiden Tagen, als klar ist, dass er die Flüchtlingsunterkunft verlassen wird, zieht er es mit einigem Stolz hervor.
    "Ich hatte Angst. Vier Wochen lang habe ich nichts davon gesagt, dass ich Christ bin. Am Ende hatte ich das Gefühl, alle hassen mich, als ich das Kreuz zeigte."
    Jamil kam im Juli vergangenen Jahres nach Deutschland. Der 34-jährige Mathematiklehrer aus dem syrischen Homs war Monate auf der Flucht. Über die Türkei, Griechenland, den Balkan. Rund 7.000 Euro hat ihn die waghalsige Odyssee gekostet. Jamil heißt eigentlich anders. Doch seinen Namen will der syrisch-orthodoxe Christ nicht verraten. Aus Angst, ihm oder seiner Familie in Syrien könne etwas passieren.
    Der Druck der Fanatiker
    "Wir sind nach Deutschland gekommen, um hier zu leben, zu arbeiten, vielleicht einmal eine Familie zu gründen. Aber wenn du in der Schlange beim LAGeSo stehst und diese fanatischen Sätze hörst, von der Sharia – die ganze Zeit reden sie über das islamische Recht, von den ungläubigen Deutschen, dass ihre, die islamische Religion die bessere sei. Manche träumen sogar, die Deutschen zum Islam zu bekehren. Für mich ist das wirklich hart, diesen Druck zu spüren."
    Was Jamil in der Schlange vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz LAGeSo, hört, sind Sätze auf Arabisch.
    "Jamil ist an einem Sonntagmorgen bei uns im Gottesdienst in der Gethsemane-Kirche aufgetaucht und wirkte so ein bisschen verloren. Er kam direkt von einer Flüchtlingsunterkunft in der Nähe der Kirche und meinte, er sei schon einige Tage dort und würde sich bedroht fühlen durch die anderen Bewohner, die alle Moslems sind und keine Christen."
    Als Mirjam Appel, Dolmetscherin und Mitglied der Kirchengemeinde, dem jungen Mann das erste Mal begegnet, hatte er schon einige Zeit in der Flüchtlingsunterkunft hinter sich. Inzwischen gibt sie ihm Nachhilfe in Deutsch, lernt dafür bei Jamil, syrisch zu kochen. Ein Zimmer konnte ihm die Gethsemane-Kirche damals nicht anbieten, aber ein syrisches Gemeindemitglied, das seit 20 Jahren in Deutschland lebt, hat sich seiner angenommen.
    Zuflucht in einer syrisch-orthodoxen Gemeinde
    Mirjam Appel: "Das hat mich schon überrascht, dass es diese Ängste offenbar bei vielen Christen gibt, wenn sie hierher kommen, sich dann sehr allein fühlen unter Moslems, und sie offensichtlich erst einmal einen Ort brauchen, wo sie sich einfach sicher fühlen können. Ich habe nachgedacht über die Frage der Verantwortung für uns als Kirche, als Christen. Da kommen Mitchristen zu uns und wieweit sollten wir uns das vielleicht auch bewusst machen."
    In Syrien ist die Lage für junge Männer wie Jamil bedrohlich. Auf der einen Seite das Assad-Regime, das Soldaten für den Krieg rekrutiert, auf der anderen Seite radikale Islamisten. Jamil hat den Krieg hautnah erlebt, Bomben schlugen in unmittelbarer Nähe ein. Für Männer wie ihn, besonders auch für Christen, gibt es in dem zerschundenen Land keine Perspektive.
    "Der Jamil hat sich eines Tages bei uns vorgestellt und hat gesagt, er sucht dringend eine Unterkunft."
    Amill Gorgis floh einst vor dem Regime des Vaters von Baschar Al-Assad. Das war Anfang der 70er-Jahre. Gorgis ist Subdiakon einer syrisch-orthodoxen Gemeinde in Berlin und betreut Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Eine katholische Gemeinde hat ihm Räume zur Verfügung gestellt, wo er sie unterbringen kann. Jamil erzählt ihm von einer Begegnung mit dem Leiter einer Flüchtlingsunterkunft, der meinte, "solange du ein Moslem bist, kannst du hier unterkommen". Amill Gorgis:
    "Allein diese Bemerkung, 'solange du ein Moslem bist', das hat ihn schon irritiert, weil er dachte: Was ist, wenn sie herausfinden, dass ich Christ bin und kein Moslem? Da wurde er stutzig und hat sich gesagt, hier kann ich nicht lange bleiben."
    Amill Gorgis konnte schließlich in den Räumen der katholischen Gemeinde einen Platz für Jamil finden. Jamil hilft ihm seitdem in der Betreuung von anderen Flüchtlingen, ist für Amill Gorgis eine Art Bindeglied zu den Flüchtlingen. Von Problemen, wie sie Jamil berichtet, hört Amill Gorgis immer wieder. Gerade sind zwei syrische Flüchtlinge, die in Thüringen untergekommen sind, zu Gast.
    Ausgegrenzt statt willkommen und akzeptiert
    Auch Samir trägt eigentlich einen anderen Namen. Er möchte seine Unterkunft so schnell wie möglich wieder verlassen. Er lebt dort mit neun anderen syrischen Flüchtlingen, allesamt Muslime. Sie würden ihn zu missionieren versuchen, ihn ständig wegen seines christlichen Glaubens anfeinden. Amill Gorgis:
    "Wir, die Christen aus den islamischen Ländern, haben die Geschichte auf dem Buckel und sehen, dass wir immer weniger werden und verdrängt werden. Dass wir dort in den Städten, die wir aufgebaut haben, nicht mehr existieren. Dass unsere Kloster und Kirchen zerstört werden; und wir spielen immer weniger eine Rolle im öffentlichen Leben. Diese Erfahrung bringen wir mit. Die ist sehr schmerzlich. Auf der anderen Seite sehen die Christen hier, die aus dem Orient kommen, eine Willkommenskultur für die Muslime. Also, das, was die Christen im Orient vermissen, dass sie akzeptiert, toleriert werden."
    Amill Gorgis weiß in seiner Flüchtlingsarbeit auch von vielen positiven Erfahrungen zu berichten. Dennoch: die Erlebnisse von Jamil, Samir und anderen, das Gefühl, ausgegrenzt zu werden – das sind für ihn längst keine Einzelfälle mehr.
    "Ich glaube wirklich, dass man das kritisch begleiten muss, zur Sprache bringen muss. Wenn wir das alles unter den Teppich kehren, dann wird keine Seite lernen aus diesen Erfahrungen. Letzten Endes geht es darum, wie wir einander gegenseitig respektieren und achten und dem anderen nicht aufdrängen zu wollen, was er selber nicht bejahen kann."