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Christliche Influencerin
Kein Sex, davon aber viel

Lisa Stowasser ist unter dem Namen LiMarie als Christfluencerin aktiv, also als Influencerin in Christi Namen. Die Optik ihrer Videos ist modern, der Inhalt konservativ. Besonders wichtig ist ihr Enthaltsamkeit vor der Ehe.

Von Tobias Krone | 26.03.2019
Social Media Apps auf einem Smartphone
Christfluencer verbreiten ihre Botschaft über die digitalen Medien. (imago/Simon Belcher)
"Hello Guyyyys!" Die Begrüßung der Youtube-Gemeinde ist stilecht. Lisa Stowasser alias LiMarie lächelt betont schüchtern in die Kamera, während ihr Freund Lukas neben ihr zu einer etwas beherzteren Ansprache Anlauf nimmt: "Hallo, Freunde der ganz leichten Unterhaltung."
Sie perfekt geschminkt, er lässiger Dreitagebart. Das Studierendenzimmer ganz in trendigem Grau-Weiß gehalten. Das Klischee der Videoblogger im Netz, auch Influencer genannt, erfüllen die beiden ziemlich gut. Doch schnell machen sie ihre Mission klar. Anstatt Schleichwerbung für Lippenstifte, Currywurst oder Yoga-Kurse machen sie Werbung für ein bibeltreues Leben. Oder das, was sie für ein bibeltreues Leben halten.
Lukas erklärt: "Heute werden wir ein Video machen, warum wir kein Sex vor der Ehe haben – bämmm!"
LiMaries Channel ist der wahrscheinlich meistgeklickte deutschsprachige Kanal von christlichen Influencern. Die 23 Jahre alte Grafik-Designerin aus Bingen, die an einer privaten Berufsfachschule für Theologie studiert hat, nennt ihre professionell gedrehten Videos "Predigten". Ganz oben auf ihrer Hitliste steht das Video "Kein Sex vor der Ehe".
"Das machen wir schon deshalb, weil es im Christentum so üblich ist, aber wir sind deshalb keine Opfer von Traditionen oder von christlichen Gesetzen. Sondern wir machen uns durchaus Gedanken, warum uns Gott gewisse Dinge vorschlägt", sagt sie.
"Wir haben immer zwei Hotelzimmer gebucht"
Konservative Lebensmodelle im trendigen Outfit. Die Skepsis bei vielen Youtube-Zuschauern ist groß, was die Kommentarspalten unter den Videos belegen – und auch Theologen haben damit so ihre Schwierigkeiten:
"Ich spreche gerne von einem modernen Antimodernismus – und das ist so bezeichnend für diese Szene. Man nutzt Phänomene der Popkultur und hat aber doch eher eine sehr konservative Botschaft", sagt Matthias Pöhlmann, der Weltanschauungsbeauftragte der Evangelischen Landeskirche Bayern, spezialisiert auf Sekten und fundamentalistische Glaubensauffassungen. Pöhlmann ordnet die Christfluencerin LiMarie dem pfingstkirchlichen Spektrum zu:
"Die Glaubensauffassungen, die dort verbreitet werden, sind doch sehr stark evangelikal geprägt. Das heißt eine ganz massive Bibelorientierung, die davon ausgeht, dass die Bibel letztendlich ein Rezeptbuch ist für alle Lebensfragen. Punkt 1. Punkt 2: Es sind immer wieder die klassischen Themen, um die es geht. Kein Sex vor der Ehe, Homosexualität… Das sind so für evangelikale Christen die Bewährungsfelder für den eigenen Glauben."
Im Video appelliert LiMarie: "Und wenn es wirklich nur noch zwei Wochen sind, bis ihr heiratet, dann könnt ihr diese zwei Wochen grade noch warten, und dieses Geschenk auspacken, wenn es an der Zeit ist." Weil die Versuchung hinter jeder Ecke lauert, gibt sie praktische Tipps aus eigener Erfahrung: "Und natürlich, das gilt auch im Urlaub oder so, dann bucht man halt zwei Hotelzimmer. Wir haben auch zwei Hotelzimmer gebucht..."
Von den Global Playern gelernt
In der Tat scheint auf LiMaries Kanal kein Widerspruch zu bestehen zwischen Enthaltsamkeit und dem ausgiebigen Reden über Sex. Immerhin finden Betroffene zu diesem Thema gleich vier Videoclips a 15 Minuten zur vorehelichen Keuschheit. Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt Lisa Stowasser diese Schwerpunkt-Setzung so:
"Weil Sex immer bei jedem irgendwie ein Thema ist – und immer zieht."
Mit dieser Strategie unterscheidet sie sich kaum von anderen Youtube-Kanälen. Sex sells – und Sex klickt. Und wer nachgefragt ist und viel diskutiert wird, dessen Videos werden von den sozialen Netzwerken oder Suchmaschinen in der Regel eher vorgeschlagen als andere. Doch genau das sei das Ziel der Givici, der Global Video Church, die Lisa Stowasser zusammen mit der Leiterin ihrer Predigerschule THS, Inga Haase, mitgründete. Das Ziel: Klicks und Likes sammeln in Christi Namen.
Lisa Stowasser sagt im Interview mit dem DLF: "So eine normale, klassische Gemeinde, die erreicht halt ein paar Hanseln im Ort, im Dorf oder in der Stadt. Aber so richtig, dass wir dadurch viele Menschen erreichen mit dem, was wir sagen wollen, was wir rausbringen wollen in die Welt, das klappt meistens nicht so gut. Dann haben wir überlegt, okay: Wie machen es denn, keine Ahnung, zum Beispiel Coca Cola oder Audi oder so? Die kennt jeder. Wie schaffen die das? Und dann haben wir uns das so ein bisschen angeguckt und haben gemerkt, okay, die machen vor allem in den sozialen Medien. Die sind überall präsent, wo man hinguckt. Und die meisten Menschen gucken momentan mittlerweile einfach in Handys."
Das Wort Gottes im Youtube-Format, orientiert an der Benchmark der Global Player. Bei der authentischen Ansprache der Zielgruppe kommt den Christfluencern auch die Do-It-Yourself-Ästhetik entgegen, sagt Lisa Stowasser im Interview.
"Mann und Frau passen super zusammen"
"Gerade bei so bekannten Youtubern, die haben ihre Kamera in der Hand und laufen dann da rum. Und manchmal filmen die – keine Ahnung – ein paar Sekunden lang einfach nur den Boden, weil sie die Kamera falsch halten. Aber das ist eben real und komt eben gut rüber."
Natürlich darf auch bei LiMarie der Rundgang durchs Zimmer nicht fehlen. Doch im Kern geht es um das Leben mit der Bibel. Alles Leben sei von Gott geschaffen, sagt sie. Ihr Freund Lukas übernimmt diesen Gedanken und spricht sich gegen Abtreibungen aus. Ein eigenes Video zum Thema Homosexualität gibt es nicht, das sei zu kontrovers. Im Interview wird Lisa Stowassers Haltung dazu aber klar.
"Also ich persönlich finde einfach, Mann und Frau passen super zusammen: Fertig. So. Und ja, klar, die Bibel sagt halt schon, dass Homosexuelle – dass das Gott nicht mag, und dass er Mann und Frau geschaffen hat. Also, das vertrete ich schon auch."
Diesen Umgang mit der Bibel lehnt der katholische Theologe und Weltanschauungsbeauftragte der Erzdiözese München-Freising Axel Seegers allgemein ab:
"Es ist letztendlich auch ein Missbrauch der Bibel. Weil die Bibel eben nicht so ein Rezeptbuch ist. Die Bibel ist nicht eine Bedienungsanleitung, aus der wir uns einfach unsere konkreten Hinweise nehmen und eins zu eins umsetzen."
Zudem stößt das Prinzip bei LiMarie an seine Grenzen. Weil es zu Lebzeiten Jesu noch keine Pornofilme im Netz gab, das Thema aber offenbar christlicher Sanktionierung bedarf, greift LiMarie hier auf eigene Erfahrung zurück. Und auf vermeintliche Wissenschaft. Wie der Predigerschüler Michi, den LiMarie zum Thema befragt, der zugibt, früher pornosüchtig gewesen zu sein, allerdings mittlerweile die Finger davon zu lassen.
Erst lesbisch, jetzt fromme Familienmutter
Er erzählt: "Da habe ich eine Studie gelesen. Und die war echt interessant. Da ging es los, du hast mit 13 deinen ersten Porno geguckt. Die Wahrscheinlichkeit, dass du dir mit 20 einen Porno reinziehen wirst, wo Kinder vergewaltigt werden, ist sechsmal höher, wie wenn du's erst mit 18 anfängst oder so. Also diese Zahl mit 18 – da bin ich mir jetzt nicht mehr ganz sicher. Aber – da war ich in so einem Antiporn-Ding-Seminar, und da haben die das gesagt, und das war echt schockierend."
Wenn es eine solche bahnbrechende Studie geben sollte, dann ist sie wohl zumindest jenseits ultrakonservativer Zirkel schwer zu finden. Und dennoch lässt LiMarie auf ihrem Videokanal keinen Zweifel daran, für die gesamte Christenheit zu sprechen.
"Wenn das nur bei dir nicht so ist in dem Umkreis – ja lern ein paar Christen kennen, ich denke, da ist es relativ normal."
Die suggestive Wirkung solcher biblisch inspirierten Lebenshilfe-Tutorials gerade auf heranwachsende Internetnutzende sei nicht zu unterschätzen, sagt der evangelische Theologe Matthias Pöhlmann:
"Es kann vor allem auch ein Druck für den Einzelnen entstehen: Ein wahres Christsein zeigt sich daran, dass man Homosexualität ablehnt – oder kein Sex vor der Ehe. Das heißt, gut, das sind Werte, darüber kann man diskutieren, aber was löst das beim Einzelnen aus? - Das ist so die Frage."
Die Video Church hat großes vor. Noch sind ihre Follower- und Abozahlen in den sozialen Netzwerken bescheiden. In den USA, wo es mehr evangelikale Christen als in Deutschland gibt, sind die christlichen Influencer erfolgreicher. Und die wirken auf den ersten Blick sehr fortschrittlich. Die Rapperin Jacky Hill Parry aus Atlanta zum Beispiel könnte man auf ihrem Profil für eine Black Life Matters-Aktivistin halten – würde sie nicht stolz davon verkünden, wie Jesus Christus sie von einer Lesbe zur frommen Familienmutter gemacht hat.
"I used to be a lesbian."
Erkennbar sein in der säkularen Welt
Das Wachstums-Potenzial solcher neuer evangelikaler Strömungen schätzt der Theologe Matthias Pöhlmann für Deutschland geringer ein, aber es ist vorhanden:
"Wir erleben natürlich nach wie vor eine starke Säkularisierung, einen Abschied von Religion in vielen Millieus. Und gleichzeitig nehmen – vielleicht auch als kritische Reaktion darauf bewusste christliche Gemeinden dann zu, die sagen, wir möchten erkennbar sein in dieser säkularen Welt."
Erkennbar rückwärtsgewandt – und doch erkennbar angepasst an die Mechanismen des Youtube-Mainstreams. Lisa Stowasser will vor allem die Menschen aus dem evangelikalen Millieu ansprechen – und der Welt eines beweisen:
"Dass christliche Sachen auch schön aussehen können (lacht) und professionell sind."