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Christliches Ereignis, Familienfest oder Konsumspektakel

Die frühen Christen haben gar kein Weihnachten gefeiert, bis die Kirche im 4. Jahrhundert den 25. Dezember zum Feiertag erhob gegen den rivalisierenden Kult des Sonnengottes. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich das Fest genauso wie seine Gabenbringer, vom Heiligen Nikolaus und dem Christkind bis zum amerikanisierten Weihnachtsmann.

Ein Feature von Peter Leusch | 25.12.2008
    "Ich denke, Weihnachten ist ein Familienfest.

    Natürlich ein kirchliches Fest, ist es immer noch.

    Es sollte vor allem eine Zeit sein, in der man zur Ruhe kommen kann, meistens klappt es nicht so richtig weil man noch arbeiten muss, aber wenn es klappt ist es gut."
    Besucher auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zu der Frage, was für sie Weihnachten bedeutet.

    "Weihnachten ist für mich in der Familie sitzen, Geschenke austauschen, schön essen, beisammen sein, Arbeit vergessen, die Stunden genießen - Entspannung eigentlich.

    Für mich ist es das einzige Mal im Jahr, wo ich in die Kirche gehe, es ist sehr familienorientiert, auch gegenüber all seinen Lieben und Freunden, dass man denen Geschenke kauft.

    Für uns ist es einfach ein christliches Fest, wir sind Engländer. Dort ist nur Schmuck und Geld und Party, hier ist das Gefühl etwas ganz besonderes. Die Weihnachtszeit in Deutschland, das macht uns sehr froh, das fühlt sich gut."
    Deutsche Weihnachtsmärkte sind sehr erfolgreich. Sie locken Touristen, auch aus anderen Ländern zu ihrem Szenario aus Stimmung und Shopping: ein Budenzauber mit Lichterketten, Tannenbaum, Weihnachtsschlagern und Glühwein dazu. Die Düfte von Mandeln und Honigwachs lassen Kindheitserinnerungen aufsteigen. Auch für nüchterne Gemüter ist das ganze ein beliebtes Event, eine willkommene Abwechslung in den kurzen, dunklen Dezembertagen. Man trifft sich mit Freunden, auf einen Plausch, zum Imbiss oder um ein paar Geschenke zu besorgen. Das kulinarische Angebot ist dabei genauso international wie die Palette der Geschenkartikel. Neben traditionellem Holzspielzeug und Kunsthandwerk finden sich anspruchlose Xmas-Präsente aus den USA.
    Der Erfolg des Weihnachtsmarktes spiegelt in bestimmter Hinsicht die Entwicklung des gesamten Festes: Weihnachten mit Tannenbaum und Weihnachtsmann hat immer weitere Länder und Kulturen der Welt erobert, aber der Inhalt sei bei diesem Triumphzug auf der Strecke geblieben, meint der Hamburger Ethnologe Torkild Hinrichsen.

    "Weil in unseren Zeiten es so ist, dass der ursprüngliche christliche Hintergrund in vielen Ländern immer mehr ins Hintertreffen gerät, ob in Deutschland oder sonst wo, und man sich eigentlich auf das Fest als Fest konzentriert ohne genau zu wissen, worum es gefeiert wird, und zweitens das Drumherum: man liebt festliches Zubehör als deutsche Erfindung wie Weihnachtsbaum, Weihnachtsmann usw. das heißt es reduziert sich auf die Dekoration, ... dass selbst Länder ohne christliche Tradition es übernehmen können, in Japan ist es erstaunlicherweise so, dass ausgehend von Amerika vor ein paar Jahren nur die japanischen Warenhäuser weihnachtlich dekoriert waren, eben nach amerikanischer Methode und nun erstaunlicherweise das in die Familien hineinschwappt insofern, also junge Leute in Japan anfangen, sich nicht nur zum japanischen Neujahrsfest was zu schenken sondern auch zu Weihnachten, ohne dass sie genau wissen warum."

    Auch hierzulande und in anderen Ländern mit christlicher Tradition lässt sich beobachten, dass viele Menschen Weihnachten ohne religiösen Bezug feiern.
    Manche meinen bereits, Ostern ginge es um den Osterhasen. Wird man bald an Weihnachten den Geburtstag des Weihnachtsmannes feiern - statt der Geburt Jesu?

    Lukasevangelium nach Lutherbibel, Weihnachtsoratorium von J.S. Bach

    Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
    Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
    Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war,
    auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die ward schwanger.
    Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte.
    Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.


    Das Lukasevangelium beginnt mit der Weihnachtsgeschichte, die Verkündigung an Maria, die Geburtsszene in Bethlehem. Die Erzählung enthält die ganze christliche Weihnachtsbotschaft: mit Jesu Geburt ist Gottes Sohn Mensch geworden. Er ist in die Welt gekommen, um alle von Sünde und Elend zu erlösen, der Messias. Oder wie es bei Lukas heißt: Euch ist heute der Heiland geboren.

    Sprechgesang Lukasevangelium nach Lutherbibel, Weihnachtsoratorium von Bach
    Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
    Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht ! siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
    denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.


    "Die Kühnheit der Kindheitsgeschichte bei Lukas ist völlig verdunkelt durch diesen - sentimentalen Touch."
    Rainer Kampling, katholischer Theologe an der FU Berlin, möchte die vielen verkitschten Bilder vom süßen Jesuskind, die es gibt, beiseite räumen, damit die Ungeheuerlichkeit des Erzählten wieder bewusst wird.

    "Diese schrecklichen Bilder entsprechen nicht der Wirklichkeit, Kinder waren in der Antike gewickelt wie Mumien, nicht mit irgendwelchen Flottweg-Windeln. Dieses Kind, sagt Lukas ist der Herr. Die Paradoxie des Weihnachtsfestes ist geradezu atemberaubend: Wenn ihr glaubt, glaubt ihr, dass dieses Kind Gottes Sohn ist, und es gibt keinen Grund dafür - es gibt außer der Bezeugung des Himmels keinen Grund dafür - und man muss dem Himmel glauben. Und da treibt Lukas es soweit, dass den Hirten gesagt wird, das ist das Zeichen: ein Kind in Windeln gewickelt. Das ist ja kein Suchspiel, die Hirten machen keine Schnitzeljagd, das ist wirklich das Zeichen, das Heil ist ein Kind."

    Sprechgesang Lukasevangelium nach Lutherbibel, Weihnachtsoratorium von Bach

    Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen.
    Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
    Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.
    Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
    Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

    Dass Gott Mensch wird, wie die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten erzählt, ist eine Botschaft des Glaubens, kein Tatsachenbericht. Glaubensdinge kann man weder beweisen noch widerlegen. Gleichwohl stellt sich für den modernen Menschen die Frage nach dem Verhältnis von Wissen und Glauben. Was sagt die neuere religionswissenschaftliche Forschung über die historische Persönlichkeit Jesu, insbesondere was Zeit und Ort seiner Geburt angeht? Wie weit reichen die historischen Fakten und wo beginnt der Glaube?

    "Wir wissen von Jesus, dass er in Galiläa aufgewachsen ist, dass er dann als Wanderprediger aufgetreten ist, und dass er zweifelsohne von der römischen Besatzungsmacht gekreuzigt wurde, ... was nun seine Geburt angeht, das ist schwierig, da offensichtlich die frühen Christen glaubten, dass Jesus aus dem Hause Davids stammt, ist die Geburt in Bethlehem nicht ganz so weit weg, weil Bethlehem selber die Stadt Davids ist - ich bin allerdings eine Minderheit in der Exegese: ich glaube, dass Jesus in Bethlehem geboren wurde, weil der Erfindungsreichtum den man den frühen Christen unterstellt, ... Jesus von Nazareth ist 30 gekreuzigt worden, da man müsste fast Hollywood-mäßig gewesen sein, um das alles zu erfinden. Aber angesichts des Ereignisses, der Menschwerdung Gottes ist die Frage, wann denn dieser Tag war, relativ belanglos, ich pflege zu sagen: Weihnachten ist kein Kindergeburtstag."
    Lag der Ort von Jesu' Geburt, es war wohl eher eine Felsenhöhle als ein Stall, überhaupt in Bethlehem und nicht doch in Nazareth. Man weiß es nicht. Auch das Geburtsjahr und schon gar nicht Tag und Monat lassen sich exakt ermitteln. Zwar werden im Text von Lukas, der fast 100 Jahre nach den Ereignissen aufgeschrieben wurde, konkrete politische Persönlichkeiten genannt. Aber Jesus kann nicht unter der Regentschaft von Herodes dem Großen und zugleich unter der des syrischen Statthalters Quirinius geboren sein, - wie der Text sagt, denn zwischen beider Amtsperioden klafft eine Lücke von 10 Jahren. Und für die erwähnte Volkszählung, falls sie überhaupt im gesamten römischen Reich stattgefunden hat, lässt sich keine exakte Jahreszahl für Galiläa rekonstruieren. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass Jesus, was kurios klingt, im Jahr vier vor Christus geboren wurde.
    Die frühen Christen haben nach einem Geburtsdatum von Jesus nicht gefragt. Und sie haben in den ersten drei Jahrhunderten auch gar kein Weihnachtsfest gefeiert. Für die Frühkirche war Ostern entscheidend, bis heute ist die Feier der Auferstehung das höchste christliche Fest.
    Außerdem schildern Matthäus und Markus in ihren älteren Evangelien nicht die Geburt in Bethlehem, sie erzählen aber, wie Jesus von Johannes dem Täufer im Jordan getauft wird, und wie dabei eine himmlische Stimme seinen göttlichen Ursprung offenbart.

    Und eben diese Erscheinung des Herrn, griechisch Epiphanias, also gleichsam die geistige Geburt Jesu hat die Frühkirche am 6. Januar gefeiert.

    Für den evangelischen Theologieprofessor Ralf Wüstenberg von der FU Berlin spiegelt die Vielfalt der Evangelien die unterschiedlichen Erfahrungen mit Jesus.
    Und die junge Kirche befand sich in einem Prozess der Selbstfindung.

    "Es ist interessant dass man im Neuen Testament verschiedene Modelle hat für die Bedeutung Jesu, für den göttlichen Ursprung Jesu. Bei Paulus besonders die Vorstellung der Auferstehung und dann geht es aber immer weiter zurück, bei Markus hat man die Vorstellung, dass die Taufe ganz im Mittelpunkt steht, was ja dann auch zu einem großen christlichen Fest Epiphanias geworden ist, und bei Lukas sehr bekannt die Jungfrauengeburt und damit verbunden die Vorstellung von Weihnachten in dem engeren Sinne wie wir es heute feiern."
    Es gab in der Frühkirche ein wachsendes Interesse, das gesamte Leben Jesu zu belegen und seiner im Jahreskreis mit Festtagen zu gedenken. Vielleicht wurde bereits im 3. Jahrhundert in Rom Weihnachten am 25. Dezember gefeiert, wie eine Minderheit von Theologen heute vermutet. Doch das war eine Zeit, in es immer wieder zu kaiserlich angeordneten Christenverfolgungen kam, unter der Anschuldigung, die Christen würden sich dem Staatskult, der Verehrung des Kaisers, entziehen. Und der 25. Dezember gehörte dem Sol invictus, dem Sonnengott, in dessen Zeichen sich die römischen Kaiser verehren ließen.
    Oder war doch die Konstantinische Wende im Jahr 313 die entscheidende Voraussetzung für die Einführung des Weihnachtsfestes, wie die Forschermehrheit annimmt. Dafür gibt es gesicherte Daten, so der Hamburger Ethnologe und Weihnachtsforscher Rüdiger Vossen.

    "Als das Christentum unter Kaiser Konstantin nach Zeiten schwerer Christenverfolgungen im Jahre 313 durch das Toleranzedikt von Mailand als gleichberechtigt mit den anderen Religionen anerkannt wurde, mussten die führenden christlichen Kirchenvertreter versuchen, mit den übrigen Religionen noch stärker gleich zu ziehen. 321 hatte Konstantin offiziell den Sonntag als Ruhetag eingeführt, 337 ließ er sich auf seinem Sterbebett taufen. Im Jahre 354 setzte der römische Bischof Liberius das Geburtsfest Christi offiziell auf den 25. Dezember fest. Er ließ auf dem Esquilin in Rom die neben dem Petersdom größte römische Basilika Santa Maria Maggiore bauen, wo der römische Papst am Vorabend des neuen Geburtsfestes Christi eine Messe zelebrierte. In dieser Kirche wird seit dem 8. Jahrhundert eine "heilige Krippe" verehrt, die angeblichen Reste der Krippe aus der Geburtshöhle von Bethlehem. Damit wurde theologisch zum Ausdruck gebracht, dass am 25. Dezember die leibliche Geburt Christi gefeiert wurde, während am 6. Januar weiterhin die geistige Geburt, das heißt die Offenbarung seiner Göttlichkeit im Mittelpunkt stand."
    Das römische Reich der Kaiserzeit ist ein Schmelztiegel der Völker und Kulturen. Unterschiedliche Religionen und Kulte, vor allem aus dem Osten gelangten in die Hauptstadt Rom. Das Christentum war eine von ihnen, bis zu Konstantin dem Großen stellte es im Westen des Reiches nur eine geringe Minderheit dar. Mächtige Konkurrenten hatte es im ägyptischen Isis-Osiris-Kult, im Mysterienkult des Mithras und vor allem in der Verehrung des Sol invictus, des Sonnengottes.

    "Mit der Eroberung Syriens durch die Römer im 1. Jahrhundert n. Chr. gelangte der Kult des Baal-Helios unter der Bezeichnung sol invictus nach Rom. Anfang des 3. Jahrhunderts machte Elagabal von Emesa in Syrien den Versuch, den Sonnenkult als Staatsreligion in Rom einzuführen. Als Hohepriester des Sonnengottes hatte er vorgegeben, ein Sohn Kaiser Caracallas zu sein und wurde 218 unter dem Namen Heliogabalus zum Kaiser ausgerufen, vier Jahre später jedoch ermordet.
    Der Sonnengott wurde auf römischen Münzen mit einer Strahlenkrone, mit einer segnenden rechten Hand und einer Peitsche in der Linken als Lenker eines von vier Rossen gezogenen Wagens, also einer Quadriga, dargestellt. Im 3. und 4. nachchristlichen Jahrhundert haben sich römische Kaiser selbst die Attribute des Sonnengottes und die Bezeichnung invictus zugelegt. Das Geburtsfest des unbesiegten Sonnengottes wurde in Rom am 25. Dezember mit großen Wagenrennen im Circus maximus und mit dem Abbrennen gewaltiger Feuer gefeiert."
    Die christliche Kirche in Rom besetzte mit dem neuen Geburtsfest Jesu im Jahr 354 das prominente Datum eines Rivalen und suchte ihn zu verdrängen, es war eine Demonstration des monotheistischen Wahrheitsanspruchs. Die Kirchenväter waren sich dieser Machtprobe durchaus bewusst. So erklärte Christostomos in Antiochia in Kleinasien, wo das Weihnachtsfest 388 eingeführt wurde, in seiner ersten Weihnachtspredigt:

    Man nennt den Tag auch Geburtsfest des invictus. Ja, wer ist denn so unbesiegbar außer unserem Herrn, der den Tod siegreich unterworfen hat? Und wenn man sagt, es sei der Geburtstag der Sonne, nun er selbst ist die Sonne der Gerechtigkeit.
    Der religiös-geistige Machtkampf war so nicht schnell entschieden, obwohl das Christentum unter Kaiser Theodosius im Jahr 380 Staatsreligion im Römischen Reich wurde. Noch zu Beginn des 5. Jahrhunderts beteuerte Augustinus, der in Nordafrika wirkte

    Wir feiern den 25. Dezember nicht wegen der Geburt der Sonne wie die Ungläubigen, sondern wegen der Geburt dessen, der die Sonne erschaffen hat.

    Die Beteuerung des Augustinus verrät auch eine länger anhaltende Unsicherheit unter den Christen selbst. Hatte man tatsächlich nur ein äußerliches Datum des Rivalen besetzt, oder gab es auch innere Bezüge? Hatte das junge Christentum, abgesehen von der jüdischen Tradition, bei der Einführung des Weihnachtsfestes Elemente älterer Kulte und Religionen übernommen. Das ist auch unter heutigen Wissenschaftlern umstritten.

    Auffallend sind zum Beispiel verschiedene Gemeinsamkeiten mit dem Isis-Osiris-Kult.

    "Isis, Schwester und Gemahlin des Osiris, gebar in einem in Unterägypten verbreiteten Mysterienkult als Jungfrau ihren göttlichen Sohn Horus am 6. Januar. Horus wurde als Licht- und Sonnengott und Quelle allen Lebens verehrt - Horus war die junge Frühlingssonne, in der sich Osiris, Herrscher des Totenreichs, alljährlich erneuerte. .. Ihr 12tägiges Fest wurde in der Zeit vom 25. Dezember bis zur Geburt des Horus am 6. Januar gefeiert. Es fiel mit dem Ende der Überschwemmungszeit des Nil und mit der neuen Aussaat zusammen. So gehörte auch feierliches Wasserschöpfen zu diesem Kult, ja in diesen Tagen soll das Nilwasser teilweise zu Wein geworden sein, so dass sich Gemeinsamkeiten des Osiris mit dem späteren griechischen Dionysos-Kult auftaten. Vor allem fallen enge Parallelen mit den christlichen Vorstellungen der Jungfrauengeburt Marias ins Auge. Isis-Darstellungen mit dem säugenden Horus Kind gelten als Vorbild für die ersten Mariendarstellungen. Am 6. Januar wurde Jesus im Jordan getauft und in Analogie zu dem feierlichen Wasserschöpfen aus dem Nil wurde das Taufwasser neu geweiht. In der griechisch orthodoxen und in der römisch-katholischen Kirche ist die Wasserweihe am 6. Januar heute noch ein wichtiger Bestandteil des Festes, in der armenischen Kirche wird das Epiphaniefest noch heute als einziges Geburtsfest Christi gefeiert."
    In Deutschland und auch in Frankreich jedoch war Weihnachten noch im 8. Jahrhundert unbekannt. Erst die Synode von Mainz ordnete 813 die erste Weihnachtsfeier in Deutschland an. Das Fest wurde anfangs vier, später drei Tage lang gefeiert bis ins späte Mittelalter hinein.
    Das deutsche Wort Weihnachten tauchte zum ersten Mal im 12. Jahrhundert auf in einem Gedicht des bayrischen Spielmanns Spervogel aus dem Jahre 1170:

    Er ist gewaltic unde starc,
    der ze wihen naht geborenwart: daz ist der heilige krist. Ja lobt in allez, das dar ist, niewan der tievel eine durh sinen grozen übermuot so wart ime diu helle ze teile.

    Gewaltig ist er und ist stark,
    der zu Weihnacht geboren ward:
    das ist der heilige Christ.
    Es lobt ihn, was erschaffen ist.
    Allein der Teufel nicht;
    dem ward für seinen Übermut
    zur Straf' zuteil der Hölle hart Gericht.


    Die Formulierung "ze wihen naht", "zu der geweihten Nacht" kann man als Übersetzung des lateinischen nox santa - heilige Nacht lesen. Vielleicht hat das Wort aber auch vorchristlichen Ursprung und verweist auf die Opferzeit der germanischen Mittwinternächte. Von den germanischen Wurzeln des heutigen Weihnachtsbrauchtums wissen wir nur wenig genaues, da die Berichte meistens von Missionaren stammen, das heißt den Gegnern der damaligen so genannten Heiden. In der Heimskringla, in der Geschichte der norwegischen Könige heißt es Anfang des 13. Jahrhunderts:

    In ganz Inner-Drontheim ist fast das ganze Volk heidnisch in seinem Glauben, wenn auch einige Männer dort getauft sind. Nun ist es ihr alter Brauch, im Herbst ein Opferfest zu begehen, um den Winter zu begrüßen, ein zweites im Mittwinter und ein drittes im Sommer, um den Sommer zu begrüßen.

    "Den winterlichen Zeitraum etwa von November bis Februar nannte man bei den Germanen Jul, eine Bezeichnung, die sich heute noch in den skandinavischen Sprachen auf Weihnachten im engeren Sinn bezieht. Im Mittelpunkt der germanischen Feiern stand Freyr, der Gott der
    Sonne und des himmlischen Lichts. Den Menschen soll er Wärme und Fruchtbarkeit und vor allem Frieden gebracht haben. Sein Opferfest war das Julfest. Dabei wurde ein großer Eber geopfert, über dessen Borsten man schwören und Gelübde ablegen sollte. Es gab die Vorstellung, dass das Sonnenrad, auch Juel genannt, zum Stillstand gekommen sei und mit dem Opfer wieder angestoßen werde. Bei dem Fest, bei dem reichlich selbstgebrautes Bier floss, wurden die Götter um ein gutes neues, fruchtbares neues Jahr angerufen, Jul-Gaben und Neujahrsgeschenke wurden verteilt. Ob damals bereits Tannengrün zum Schmuck oder Schutz der Häuser benutzt wurde, ist nicht belegt. Sicher ist jedoch die Vorstellung von der Beseeltheit der Natur: der Donnergott Donar lebte in der Donar-Eiche, der Weltenbaum Yggdrasil umspannte die ganze Welt, gute Geister wohnten in den Bäumen, die Spitzen der immergrünen Tannen und Fichten sollten Unheil, Dämonen, Krankheiten und Blitzschlag abwehren. Hier spannt sich der Bogen bis zum immergrünen Weihnachtsbaum, der noch heute Mittelpunkt unseres Weihnachtsfestes ist."
    Die Zeit der Wintersonnenwende ist seit alters her eine magische Zeit, wenn das Licht wieder zunimmt, die lebendige Natur aber noch in Kältestarre wie tot danieder liegt. Die bäuerliche Welt des Mittelalters entwickelte eine Fülle von Bräuchen, den Winter zu bannen und eine gute Ernte im neuen Jahr zu beschwören.

    Im süddeutschen Raum und im Alpenland zogen früher an den letzten drei Donnerstagen vor Weihnachten - in den so genannten Klopfnächten - verkleidete Gestalten mit Glocken, Hämmern und Ruten umher. Wenn sie mit den Winterzweigen, die voller Knospen sitzen, gegen die Tür schlugen, so wollten sie Segen und Fruchtbarkeit auf das Haus übertragen. Analogiezauber.

    Anderswo gingen vermummt Pelzmärte, Krampus, Klabauf und andere böse Winterdämonen um, bevor sie - wie Knecht Ruprecht als Begleiter des Nikolaus - gleichsam christlich gezähmt wurden.

    Vorchristliche und christliche Bräuche durchdrangen einander und verschmolzen in einem Festzyklus dessen Mitte Weihnachten darstellt und der von Sankt Martin, Martini am 11. November bis zu Mariä Lichtmess am 2. Februar reicht.
    Trotz der vielfältigen Einflüsse ist der christliche Kern des Weihnachtsfestes eindeutig. Und die nordisch-germanischen Mitwinterbräuche bieten, gerade weil man nicht viel über sie weiß, eine wohlfeile Projektionsfläche für obskure Ideologien. Die Nationalsozialisten, in ihrem Willen das christliche Weihnachten auszulöschen, hängten Sonnenräder und Runen in ihre Tannenbäume.

    Die Tradition des Weihnachtsbaumes ist aber gar nicht so alt wie man denkt. Die Spuren weisen zurück ins Elsass des 16. Jahrhunderts, so Torkild Hinrichsen:

    "Der Weihnachtsbaum gehörte ursprünglich in die Straßburger Gegend, er ist gebunden an die Handwerkerzünfte, also zum großen Jahresfest der Handwerkerzünfte gab es einen Baum, der keine andere Aufgabe hatte als die Geschenke an die Kinder zu tragen, und sozusagen mit einem kleinen Hintergedanken, dass etwas Grünes zur dunklen Zeit schön ist, aber ohne weiteren Sinn stand er mitten in der großen Zunfthalle und wurde dann zuletzt geplündert, er war also ein Gabenträger und sonst nichts. Und dann macht sich dieses Phänomen auf den Weg hauptsächlich nach Norden - in den katholischen Kirchen hat es ganz spät erst Eingang gefunden, das ist erst in den letzten 30, 40 Jahren, vorher gab es keinen Tannenbaum drin, es galt als etwa ausgesprochen Protestantisches, das heißt es wird transportiert von protestantischen Handwerkerzünften, dann wird es im 18. Jahrhundert vom Adel übernommen, und dann schwappt es allmählich auf das Großbürgertum über, der Tannenbaum gerät über schleswig-holsteinische Adelsfamilien auch erst nach Dänemark, ... in Kopenhagen wird der Tannenbaum im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts beschrieben als ausgesprochen deutsches Phänomen und ist hauptsächlich in den deutschstämmigen Familien, und von dort aus verbreitet sich dann die Geschichte."
    Torkhild Hinrichsen richtet im Altonaer Museum in Hamburg, es ist zugleich das Norddeutsche Landesmuseum seit 19 Jahren in jedem Winter eine völkerkundliche Ausstellung zu Aspekten der Weihnachtszeit aus. Dieses Jahr ist der Lebkuchen Thema, der sich von Deutschland aus über ganz Europa verbreitete. Auch den Wandel in Gestaltung und im Schmuck des Weihnachtsbaumes hat Torkild Hinrichsen erforscht.

    "Die Wende ist sozusagen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, vorher war der Weihnachtsbaum ausschließlich mit selbst Gemachtem dekoriert, mit Essdingen, mit roten Äpfeln, die sollten an das Paradies erinnern oder mit Papierschnitten, das wird sehr schön beschrieben bei Hans Chr. Andersen, der auch solche machte, oder bei Theodor Storm, der auch sein Weihnachtsfanatiker war, also weitgehend selbst Gemachtes oder Essbares und dann plötzlich schwenkt das um, indem man anfängt mit Hilfe von Surrogaten - erstaunlicherweise aus Glas all diese Dinge nachzumachen. Aus dem Apfel wird eine rote Kugel und all die anderen Dinge, die teilweise Geschenke oder essbar waren, die werden in verkleinerter Form in einem Surrogat symbolisch dargestellt."
    Der Weihnachtsbaum wanderte vom gemeinsamen Zunfthaus der Handwerker ins private Wohnzimmer von jedermann und zuletzt auch in die katholischen Kirchen, die vor allem die Weihnachtskrippen pflegten. Der heutige Christbaumschmuck, insbesondere die Glaskugeln sind Resultat einer Ästhetisierung, die in der großbürgerlichen Familie ihren Höhepunkt erreicht. Thomas Mann hat das festliche Weihnachtsbaumerlebnis in seinem Roman "Buddenbrooks" geschildert:

    Die Flämmchen der Kerzen, die dort hinten zwischen dunkelrot verhängten Fenstern den gewaltigen Tannenbaum bedeckten, welcher, geschmückt mit Silberflitter und großen weißen Lilien, einen schimmernden Engel an der Spitze und ein plastisches Krippenarrangement zu seinen Füßen, fast bis an die Decke emporragte, flimmerten in der allgemeinen Lichtflut wie ferne Sterne.

    Und dann sang die Familie gemeinsam Stille Nacht, heilige Nacht, jenes Lied das 1818 in einer Dorfkapelle nahe Salzburg das erste Mal erklang, Inbegriff deutscher Weihnachtsseligkeit und -rührung, ein Lied, das um die Welt ging und in viele Sprachen übersetzt wurde. In den USA ist es so populär, dass manche es für ein amerikanisches Volkslied halten.
    Das christliche Weihnachten hatte sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. Dabei spielten die Reformation und Martin Luther eine entscheidende Rolle.
    Um den Glauben zu erneuern zog Martin Luther gegen Ablasshandel, Wunderglauben und Heiligenkult zu Felde. Die mittelalterliche Verehrung der Heiligen hatte Züge eines Polytheismus angenommen, wo man für jedes Leid oder Problem einen Spezialheiligen anrief.

    Luther lehrte die Rückkehr zum Evangelium, zur Strenge des Wortes. Die protestantische Ausrichtung des Glaubens verlor mit den Heiligen und Ritualen aber auch an Farbe und Sinnlichkeit. Nur das gesungene Wort ließ Luther gelten. Und so brachte der Protestantismus eine Fülle an Kirchenliedern und -musik hervor, gerade auch zu Weihnachten. Luther selbst werden Text und Melodie des Weihnachtsliedes "Vom Himmel hoch, da komm ich her" zugeschrieben.

    Luthers Bruch mit dem Heiligenkult bedeutete den Abschied von Nikolaus, der bis dahin für die Geschenke zuständig war.
    Ralf Wüstenberg:

    "Für Luther gab es die Bescherung noch zu Nikolaus. Also Nikolaus war die entscheidende Figur, 6. Dezember, und am Vorabend gab es die Geschenke, die Bescherung, und der Nikolaus soll ja auf den historischen Nikolaus von Myra, 4. Jh. in der heutigen Türkei zurückgehen, der u. a. eine große Bedeutung für die Kinder gehabt haben soll, und eindeutig positiv in der gesamten Tradition belegt ist. Für Luther selbst war es so, dass er - mit dem Heiligen Nikolaus hatte man in der evangelischen Kirche gewisse Probleme wegen des Heiligenkult - als erster Abstand genommen hat von der Bescherung durch Nikolaus, und er hat dann Bescherung in Richtung Heiligabend verlegt, also weg von dem Heiligen hin zu Weihnachten."
    Statt Nikolaus sollte nun der Herre Christ den evangelischen Kindern an Weihnachten die Geschenke bringen. Die Entwicklung ging jedoch weiter. Auch die katholischen Regionen im Westen und Süden Deutschlands lösten sich vom Gabenbringer Nikolaus, der heute nur noch eine Nebenrolle spielt. Nun bringt den Katholiken das Christkind die Geschenke.
    Im protestantischen Norden und Osten Deutschlands wiederum entstand der Weihnachtsmann, zunächst als eine Art Kompromissfigur zwischen dem verpönten Nikolaus und Herre Christ.
    Seine heutige globalisierte Gestalt sollte der Weihnachtsmann aber erst in Amerika erlangen, nach einer weiteren Verwandlung:

    "Die Gestalt des Weihnachtsmannes hat eine Metamorphose durchlitten, durchlaufen, indem sie von Nikolaus ausgehend, der hier in den ganzen Küstenstädten ein wichtiger Heiliger war, weil er für die Schifffahrt zuständig war, dann über eine Metamorphose in Holland als Sinter Klaas plötzlich mit den deutschen und holländischen Auswanderern in Amerika ist, und dann gänzlich andere Gestalt annimmt. Erst in den 1860ern erscheint dieses typische feiste dicke Bild durch den Zeichner Nast, und dann in den 1930er Jahren eine Umformung für Coca Cola erscheint der gleiche feiste Mann in Rot-Weiß und nicht mit einem Gabensack, sondern mit einem geöffneten Kühlschrank. Das ist die letzte Stufe - Und dieser rotweiße Coca-Cola-Mann; der kommt erst zurück nach Deutschland und zweitens verbreitet der sich weiter über die ganze Welt. "
    Tatsächlich hat zuerst Coca Cola den Weihnachtsmann für die Werbung eingespannt und ihn zu diesem Zweck ins firmeneigene Rot gewandet. Eine Farbe, die er vor der Reise über den Atlantik nie trug, wie alte Weihnachtspostkarten belegen.

    "Da war er noch nicht rotweiß, sondern grün, rot, blau oder sonst was, es war eben ein greiser Herr in einem so genannten Herrenpelz, der Herrenpelz war das, was der bessere Herr im Winter anhatte, Fell nach innen, Stoff nach außen - und dieser Stoffwintermantel, der hatte eben verschiedene Farben, aber rot war er nie, das war er erst, nachdem die Getränkeindustrie ihn zu fassen bekam."

    Der Weihnachtsmann ist den Händen der Werbung nicht mehr entkommen. Heute geistert er als eine Art Konsumkobold durch den gesamten Dezember. Ständig und überall im Einsatz, soll er für Kauflaune sorgen. In tausendfacher Zahl wandert er durch Geschäfte, Märkte und Medien, turnt an Balkonen und Hauswänden empor, um Geschenkware anzuliefern.

    Das Schicksal des Weihnachtsmannes spiegelt die Kommerzialisierung des Festes. Manche Branchen - Spielzeugindustrie, Verlagswesen und Schmuckproduktion machen im Dezember den Löwenanteil ihres Jahresumsatzes. Und auch in diesem Jahr läuft das Weihnachtsgeschäft trotz Finanz- und Wirtschaftskrise gut.

    An der Gestalt des Weihnachtsmannes ist alles spezifisch Christliche getilgt. Er ist vollkommen unverbindlich und bar jeder Tiefe, für jede Kultur oder Religion auf der Erde annehmbar, weil er niemandem irgendeinen Glauben oder eine Überzeugung zumutet. Der Weihnachtsmann ist nur mehr eine globalisierte Spaßfigur, die nichts weiter bedeutet.
    Weihnachten funktioniert inzwischen ohne besonderen christlichen Bezug. Viele vermeintliche Weihnachtslieder bieten nur vage Sentimentalität oder einfach Winterromantik, Schnee und Schlittengeläut, gerne auch amerikanisch beschwingt: von Jingle bells, über Rudolph, the red-nosed rendeer bis let it snow, let ist snow von Frank Sinatra.
    An anderer Stelle aber hat Weihnachten jenseits des Christlichen eine neue große Verbindlichkeit erhalten - Weihnachten wurde ein, nein: das Familienfest schlechthin.
    Rainer Kampling:

    "Beginnend mit dem 18. Jahrhundert, haben wir eine Entwicklung des Weihnachtsfestes hin zu einem bürgerlichen Familienfest. Dieses bürgerliche Familienfest hat sich immer weiter vom christlichen Weihnachtsfest entfernt, hat eigene Ausdrucksformen, ... - es hat sich herausgebildet, dass wir zwei ganz verschiedene Feste haben, die zufälligerweise den gleichen Namen und den gleichen Tag haben."

    Rainer Kamplings These von den zwei Festen pointiert eine Entwicklung: Heiligabend und mindestens der erste Weihnachtstag gehört in vielen Ländern Europas der Familie. Erwachsene, sofern sie noch keine eigene Familie haben, reisen heim zu ihren Eltern. Man versammelt sich im engsten Kreis: teure Geschenke unter dem Weihnachtsbaum, feierliche Tafel, engstes Beisammensein, beschworene Harmonie.

    Seit dem 19. Jahrhundert vergewissert sich die Familie ihrer Beziehungen, indem sie dieses Fest inszeniert. Die Institution Familie und ihre Rollen, Vater, Mutter, Kind werden bestätigt und idealisiert, wobei man die biblische Familie als religiöse Überhöhung der eigenen Wirklichkeit in Dienst nimmt. Das ist eine Verkennung des biblischen Textes, der keine Familiengeschichte darstellt, zumal Joseph nur eine untergeordnete Rolle spielt.
    Haben wir also heute tatsächlich zwei Weihnachtsfeste, ein christliches und ein familiäres?

    "Ich gebe zu, es hat es mit dem Gordischen Knoten zu tun, diese Entscheidung: es sind zwei Feste, zum Beispiel enthebt mich das des Klagens über die Kommerzialisierung, denn es war völlig normal schon im 19. Jahrhundert dem Gesinde zu Weihnachten Geschenke zu machen, im Sinne von Zuwendungen. Das Grundproblem der Kommerzialisierung des bürgerlichen Weihnachtsfestes - in der Form ist das natürlich noch nie denkbar gewesen, wie es jetzt ist, - aber es hat immer dazugehört, die Kommerzialisierung des bürgerlichen Weihnachtsfestes ist das bürgerliche Weihnachtsfest, natürlich feiert der Bürger sich mit Besitz, natürlich wurden die Geschenke immer kostbarer, ich finde es entspricht genau dem, sich selber zu feiern, zum Beispiel ist der Begriff Luxus und Weihnachten nicht umsonst so nah in der Verkaufsstrategie, das ist der eine Punkt - ich würde sagen wenn es eine Krise des bürgerlichen Weihnachtsfestes gibt, kommt es aus dem Problem der Familie."
    Kein Fest rührt so viele Emotionen auf wie Weihnachten. Von den einen, vor allem den kleinen als Fest der Bescherung herbeigesehnt, von den anderen - größeren - wird die familiäre Zusammengehörigkeit beschworen. Diejenigen aber, die allein stehen, fürchten und hassen die Weihnachtstage, manche fliehen in einen Urlaub, um nicht von Einsamkeitsgefühlen deprimiert zu werden.

    Familienmitglieder, die ihren Alltag sehr individuell und oft auch ganz woanders leben, versuchen sich in innigem Beisammensein, das dann oft zu bedrückender Enge gerät. weil die Ansprüche an Harmonie so hoch gehängt sind, frustriert man sich gegenseitig noch schneller als sonst. Nicht selten kommt es zu Szenen unter dem Weihnachtsbaum. Die Literatur hat Nostalgie und Stress der Familienweihnacht reichlich dargestellt, etwa in Heinrichs Bölls Satire "Nicht nur zur Weihnachtszeit". In der Hauptrolle die neurotische Tante Milla, die ihre Familie terrorisiert, weil sie nicht mehr aufhören kann, Weihnachten zu feiern, auch als Maria Lichtmess längst vorüber ist.

    Und auch die Musik hat sich in unzähligen Parodien an Weihnachten abgearbeitet.
    Weihnachten ist ein Fest, das seit Kindertagen mächtig und unverrückbar den Jahreskreis beherrscht. Ist es ein Familienfest, ein Konsumspektakel, oder immer noch ein christliches Ereignis?

    Manch einer hat gegenüber den Widersprüchen resigniert. Es gibt aber auch Versuche, an den ursprünglichen christlichen Gehalt wieder anzuknüpfen, und ihn für sich in neuer Weise zu interpretieren. Ralf Wüstenberg:

    "Weihnachten hat für mich eine große Bedeutung gerade wenn man vom Advent her denkt, und Advent bedeutet Ankunft, und ist eine Zeit der Buße, der Einkehr, der Besinnung, eine Zeit der Reflexion, der Inventur, wo es gilt sich vorzubereiten auf etwas ganz Neues, was passiert - ... und dann diese Ankunft zu feiern, darin besteht Weihnachten und durchkreuzt alles was den Leistungsdruck entsprechen würde, es soll zum einen sein ein Fest der Liebe, in der vielleicht auch durch Geschenke etwas widergespiegelt wird von der bedingungslosen Liebe Gottes, die Weihnachten das zentrale Thema ist, ... es ist das was man menschlich gerade nicht antrifft, ein Mensch, der nur lieben kann wie Jesus, den treffe ich ja sonst nicht, sondern es ist immer untergemischt ein Moment von eigenem Nutzen von Antrieb, also das ist etwas ganz Besonderes, dass etwas heil wird, die Beziehung zu Gott zunächst einmal, dann die Beziehung zu anderen Menschen und auch die Beziehung zu sich selbst, das ist etwas sehr Kostbares, etwas Wertvolles, was nun gerade nicht voraussetzt, dass ich mich irgendwie angestrengt habe, sondern dass ich eigentlich gelten lasse, was da in dem Jesus zwischen Gott und Mensch passiert ist, nämlich dass da wieder etwas heil geworden ist."
    Ralf Wüstenberg grenzt seine Erfahrung von Advent und Weihnachten gegen das Leistungsprinzip und die Idee der Machbarkeit ab. Die Zuwendung Gottes erfahre ich, ohne dass ich sie mir erarbeitet und deshalb einen Anspruch darauf hätte. Das ist ein protestantischer Grundgedanke, den Ralf Wüstenberg auch auf das weihnachtliche Schenken bezieht.

    Normalerweise orientiert sich das wechselseitige Schenken am anthropologischen Prinzip des Gabentauschs, der sehr alt und fundamental wichtig ist für die Stabilisierung menschlicher Beziehungen. Zumeist erfolgt er nach der Logik von Leistung und Gegenleistung: do ut des - ich gebe, damit Du gibst.

    Aber darin erfüllt sich für Wüstenberg gerade nicht die Idee eines christlichen Schenkens.

    "Ich würde es interpretieren von einer Dankbarkeit her, Dankbarkeit für die Liebe die ich erfahre im Glauben, aber auch für die Liebe, die ich in dem erfahre, in dem sich der Glaube spiegelt, also etwa in zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch in der Beziehung zu mir selbst - man darf sich auch zu Weihnachten etwas selbst schenken, - also in diesen Beziehungen eher unter dem Aspekt von Dankbarkeit als dem von Leistung."

    Problematisch findet Ralf Wüstenberg auch die weihnachtliche Fixierung auf die Familie.

    "Ich sehe das durchaus kritisch, weil gerade die Nächstenliebe, die hervorgehen kann aus dem Bewusstsein dessen, worum es zu Weihnachen geht, dass diese Momente sich doch nicht entscheidend auf die Familie beziehen, sondern gerade auch auf die Personen beziehen, die außerhalb von Familie stehen, und das Christentum ist eine Religion, die nicht der Logik des Exklusivismus, sondern des Inklusivismus folgt, das heißt es geht darum Menschen einzubeziehen in das, was Neues geworden ist und nicht auszuschließen - gerade nach Epiphanias, nach der Erscheinung des Herrn und seinem irdischem Wirken danach, da kann man unheimlich viel sehen und davon lernen."
    Hier liegt vielleicht der schärfste Widerspruch zwischen dem Familienfest und der christlichen Weihnacht, auf den gerade die junge, nicht etablierte Generation immer wieder stößt. Wenn sich die Familie Heiligabend auf sich selbst zurückzieht und die Türen verschließt, sperrt sie Alleinstehende, Bedürftige, Fremde, die Menschen in Not aus, all jene, denen wie weiland Maria und Josef die Unterkunft verweigert wurde.
    Rainer Kampling zieht aus diesem Widerspruch seine persönliche Konsequenz.

    "Ich selber pflege Weihnachten nicht in den Dom zu gehen oder zu großen Gottesdiensten, sondern in Krankenhauskapellen, weil ich denke, dass dort Weihnachten eine ganz eigene Erfahrung ist vergleichbar den Hirten auf dem Felde, - ich verzichte auf den Gesang der Engel - aber es ist eben sehr real Weihnachten dort, wo Not ist, da ist tatsächlich Weihnachten sehr nah."
    In der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hängt die so genannte Madonna von Stalingrad. Eine Kohlezeichnung, die an Heiligabend 1942 im Kessel von Stalingrad der Arzt und Theologe Kurt Reuber auf Bitten der Soldaten gezeichnet hat: eine Mutter birgt in einem schwarzen Mantel schützend ihr Kind, das von einem feinen Licht umflutet ist. An den Rand des Bildes schrieb der Zeichner: Licht, Leben, Liebe.

    Das Bild war ein Trost, eine letzte Hoffnung für die verzweifelten, halb verhungerten, halb erfrorenen Soldaten. Ein Schwerverletzter brachte die Zeichnung auf einem der letzten Flüge aus dem tödlichen Kessel.
    Was wird künftig aus dem Weihnachtsfest?

    Die Meinungen könnten divergenter nicht sein. Rainer Kampling ist optimistisch, jedenfalls in Bezug auf das christliche Weihnachten.

    "Ich mache mir, ehrlich gesagt wenig Sorgen um Weihnachten, weil ich glaube, dass die christliche Botschaft des Weihnachtsfestes überall da Gehör finden wird, wo Menschen auf Erlösung warten, und ich kann nicht erkennen, dass das Thema alt wird. ... Das christliche Fest muss man nicht retten, weil es das Fest der Rettung ist."

    Torkild Hinrichsen beurteilt die Überlebenschancen von Weihnachten pessimistisch, gerade weil das Fest bisher weltweit so erfolgreich war.

    "Ich glaube es ist eine Hülle und die Prognose lässt sich schwer stellen. Nur:
    die Oberflächlichkeit, die feiert immer größere Blüten, und ... die Transportmöglichkeit dieser Festtagshülle in andere Kulturen ist eigentlich ein Zeichen dafür, dass es sich inhaltlich nicht stabilisiert. Der neuere Erfolg der Kirche mit Selbstfindung, der läuft auf völlig anderen Kanälen, der wird Weihnachten nicht vor sich selber retten können. Weihnachten ist sich selbst zum Opfer gefallen."
    Ralf Wüstenberg ermuntert im Vertrauen auf die christliche Weihnachtsbotschaft zu mehr Gelassenheit mit diesem unverwüstlichen Fest, das bislang alle Versuche es abzuschaffen, überlebt hat und allen Unkenrufen zum Trotz nicht untergegangen ist.

    "Ich denke, dass es vielleicht entscheidend ist, ein Bewusstsein stärker noch dafür zu bekommen, dass das, was mit Weihnachten gefeiert wird, und was mit Weihnachten begonnen hat, nämlich dass Gott zu den Menschen kommt und sie auch verändern möchte und sie auch zu Menschen machen möchte, die in der Lage sind zu geben, zu lieben - eine Sache ist, die sich vielmehr auf das ganze Jahr verteilt. Dass man diesen Druck, den man verspürt, wenn man in jedes Kaufhaus kommt, wenn man mit anderen spricht und den man auch bei sich selber spürt, wenn man sich fragt: Habe ich für meine Kinder jetzt alle Geschenke? - Dass man davon auch ein bisschen entspannt sein kann und ein bisschen von der Ruhe, der Liebe und der Besinnlichkeit über das ganze Jahr verteilt."