Archiv


Christoph Schlingensief verbreitet Angst und Schrecken

Christoph Schlingensiefs "Church of Fear" handelt von einer Kunstaktion, die irgendwie mit dem Weltjugendtag zu tun, irgendwie aber auch nicht. Sie ist eine unspektakuläre Persiflage auf das papistische Spektakel, das derzeit die Kanäle füllt, zugleich aber eine Art sektiererische Glaubenspropaganda in der Gegenrichtung, denn auch Schlingensief kann man nur fühlen und nicht verstehen.

Von Sofia Mindel |
    Angst verbreitet sie nicht, die kleine weiße Holzkirche auf dem Dach des Kölner Museum Ludwig. Dabei heißt sie doch "Church of Fear", Kirche der Angst. Während sich unten die Touristen drängen, ruft hier oben ein Muezzin. Innen thront ein Beichtstuhl, mit lilafarbenem Samt verhängt. Zwei seitliche Schlitze geben den Blick frei auf digitale Kamerabilder des Kölner Doms. Auf der Rückseite zeigt ein Schwarzweiß-Film den Verwesungsprozess eines Hasen. "Habt Angst" ist mit weißer Farbe auf den Boden gepinselt. Die Innenwände der Kirche sind mit Bildern von Voodoo-Masken geschmückt. Das Bild eines Hundeafters über dem Eingang erinnert an katholische Kirchenrosetten und buddhistische Zeichen wie das Sonnengeflecht. Die Kirchen der Welt sind hier zusammengekommen.

    Gegründet wurde die "Church of Fear" im März 2003, als Gemeinschaft von Nichtgläubigen und Terrorgeschädigten. Anstatt sich den Versprechungen von Religion, Politik und Medien zu überlassen, bekennen sich die Mitglieder zu ihren persönlichen Ängsten. Ihr Gebot lautet: Habt Angst! Angst ist Macht! Heilsbotschaften haben da keine Chance. Das Unideologische gilt auch für die Holzkirche, wie Professor Kasper König, Direktor des Museum Ludwig, erklärt:

    " Es ist natürlich jetzt keine Therapiemaschine, die sozusagen die Angst absorbieren soll, sondern, dass man eigentlich mehr mit dem Momentum der Angst produktiv umgeht und die reflektiert. Also, ich sehe das auch, das hat überhaupt nichts Missionarisches. Es ist mehr so wie ein Büdchen, wie Kinder eine Bude bauen, und wenn die Bude voll ist, muss einer wieder aussteigen, dann kommt der nächste rein."

    Die Kirche der Angst stand bereits in Venedig und Frankfurt, begleitet von einem Pfahlsitzwettbewerb, dessen Gewinner als "Säulenheiliger" gefeiert wurde. Noch in Köln hängen die Schiefertafeln mit den Sitzergebnissen und - über dem Eingang - die Fotos der Teilnehmer, arg verblichen. Die Kirche der Angst trägt ihre Vergangenheit mit sich und auch die ihres Künstlers Christoph Schlingensief. Am neuen Ort werden die Zeichen und Elemente mit frischer Bedeutung geladen. Der Hase ist ursprünglich ein heidnisches Symbol. Er bezieht sich außerdem auf eine Kunstaktion von Joseph Beuys und auf Schlingensiefs Wagner-Inszenierung in Bayreuth. Er ist hier Zeichen der Erlösung, entsteht doch aus seinem Vergehen neues Leben. Für die Church of Fear schnitt Schlingensief Szenen seiner Island-Aktion des Animatographen in die Zersetzungsbilder. Unterstützt durch die dramatische Untermalung mit Wagners "Parsifal", persifliert das neu entstandene Stück sektiererische Missionierungsfilme. Der Hase erinnert damit auch an einen "Angst"-Hasen, den die Religion auszutreiben verspricht.

    Dass Schlingensief mit Symbolen und Versatzstücken meisterhaft umgehen kann, ist nicht neu. Interessant an der Kölner Variante der Kirche der Angst ist das Zurückgenommene, das Unspektakuläre. Bewusst nur im seitlichen Blick auf den Dom errichtet, steht sie unauffällig auf dem Museumsdach. Keine spektakulären Aktionen begleiten ihren Aufenthalt in Köln. Sie ist einfach Ausstellungsstück und soll es sein, wie Museumsdirektor König beschreibt:

    " Mir ging es schon darum, dieses Objekt im musealen Zusammenhang auf der Terrasse zur Altstadt hin zu präsentieren. Und dann ist Schlingensief gekommen, dann haben wir das besprochen, und er wurde auch irgendwie immer begeisterter. Und er hat dann gesagt: Genau so. Wir stellen das ab und das machen wir. Ohne jetzt das Ganze mit einem Sonderprogramm aufzuladen, sondern nur mit dem Verweis auf die Existenz dieses Kirchleins."

    Gerade ohne die Schablone "Schlingensief" bietet die "Kirche der Angst" eine freie Projektionsfläche für den Zuschauer - möglicherweise zusätzlich aufgeladen durch tagesaktuelle Ereignisse wie den Weltjugendtag oder die Terroranschläge von London. Letztlich kehrt die Kirche der Angst wieder an ihren Ursprung zurück: sie wird Ort des Glaubens und des Glauben-Lassens.